flieg, kleine Seele

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Viel zu schnell rase ich die kleine Straße entlang. Es ist 4:20 Uhr und kaum ein Mensch ist auf der Straße unterwegs. Ich drehe das Radio lauter und lausche Lous Lieblings CD. Aus der Musik hat Lou immer Kraft geschöpft obwohl sie das unmusikalischte Menschenwesen unter dieser Sonne ist. Als das nächste Lied erklingt und die ersten Zeilen ihres Lieblingsmusikers erklingen : "I remember a state of suicide
Standing out a window opened wide
Hold on hold on I heard a voice inside", schießen mir erneut Tränen in die Augen. Man sollte meinen , dass es eigentlich gar nicht möglich ist das mein Körper überhaupt noch mit der Produktion nachkommt. Eigentlich müsste ich völligst dehydriert sein. Ich biege rechts auf den Parkplatz der Klinik ab und stelle mich auf den reservierten Parkplatz für Taxen ab. Scheiß auf das Parkverbot, geht es in meinem Kopf vor. Hastig springe ich aus dem Auto und laufe schnellen Schrittes Richtung Eingangshalle. Die Dame an der Information grüßt mich nett. Im vorbeilaufen werfe ich ihr ein flüchtiges:" Hallo", zurück und husche Richtung Treppenhaus , indem ich immer zwei Stufen auf einmal nehme. Schwer atmend werde ich langsamer als ich mich der Tür näher. Es hängt ein Schild davor mit der Aufschrift, 'Bitte nicht stören'. Langsam drücke ich die kalte Klinke runter und öffne die Tür. Lous Mama steht mit Tränen in den Augen am Bett ihrer Tochter und hält ihre Hand. "Schön, dass du so schnell gekommen bist. Lou hat nach dir gerufen." Ihre Worte sind zittrig und leise. Sie beugt sich über das Bett und gibt ihrer Tochter einen Kuss auf die Stirn. Jetzt kommt sie auf mich zu und legt ihre Hand auf meine Schulter. "Ich lasse euch einen kleinen Moment alleine" und verlässt das Zimmer. Ich stehe da wie angewurzelt. Die Kälte durchfährt meinen Körper und ich beiße die Zähne zusammen um nicht in Tränen auszubrechen. Langsam bewegen sich meine Füße Richtung Bett. "Hey little sister from another Mister" entfährt es mir als ich ihre Hand nehme. Lous Hand ist kühl und leicht bläulich marmoriert. Müde öffnet das hübsche Mädchen ihre Augen und ich fühle, dass es das letzte mal sein wird. "Soulsister, danke dass du da bist." Eine Träne läuft ihre Wange entlang. "Ich lasse dich doch nicht alleine", gebe ich zurück. "Lou du darfst nicht aufgeben", erschrocken über meine verzweifelten Worte atme ich tief ein und versuche mich zu sammeln. "Tilda, ich habe den Kampf verloren. Danke, dass du mir immer so eine gute Freundin gewesen bist. Du warst immer der Sonnenschein in meinem Leben der mich immer zum lachen gebracht hat, egal wie schwer die Situation auch war. Bitte, bleib so herzlich wie du bist und kümmer dich ein bisschen um meine Eltern wenn ich nicht mehr da bin". Ich muss schlucken , versuche stark zu bleiben was mir jetzt aber nicht mehr gelingt. Der Damm bricht und meine Tränen bahnen sich einen Weg über meine Wangen. "Lou, du kannst mich nicht alleine lassen. Was soll ich ohne dich klarkommen?!" .
"Ich passe von da oben auf dich auf", verspricht sie kaum hörbar. Ein tapferes Lächeln erscheint auf dem bleichen Gesicht meiner besten Freundin. Ich beuge mich zu ihr und nehme ihren abgemagerten Körper in den Arm. "Ich liebe dich" ertönt es leise gefolgt von ihrem letzten Atemzug.
"Ich liebe dich auch". Ich drücke einen sanften, letzten Kuss auf ihre Stirn. Nun sitze ich einfach da und halte ihre Hand. Es herrscht eine ganz merkwürdige,stille ubd kalte Atmosphäre die mich völlig durchdringt. Es riecht nach Tod. Ich weiß nicht wie lange ich schon dagesessen habe als die Tür aufgeht und Susanna eintritt. Neben dem Bett ihrer toten Tochter bricht sie zusammen und ruft immer wieder "Lou ! Nein, bitte nicht". Völlig hilflos muss ich mit ansehen wie Susanna einen Nervenzusammenbruch erleidet. Ich sehe es, kann aber nichts machen.Wie gelähmt sitze ich da und starre ins Leere. Keine Tränen mehr, nur ein ausdrucksloses Gesicht.
Ich fühle mich wie in Watte gepackt , so als würde ich gar nicht richtig mitkriegen was hier abgeht.
Plötzlich reißt Lous Vater die Tür auf und stürmt rein. "Ich bin zu spät", gibt er verzweifelt von sich und hält kurz inne bis er die Situation erfasst, läuft schnellen Schrittes auf Susanna zu und nimmt sie in den Arm. "Warum hilft hier denn keiner? ",wirft er nun in den Raum, "Wo sind die Ärzte?" Verzweifelt drückt er die Patientenklingel.
Kurze Zeit später betritt eine Krankenschwester den Raum. Schnell überblickt sie die Situation und holt Luft um etwas zu sagen, jedoch ist Lous Vater schneller. "Was stehen sie da nur rum? Tun sie endlich was. Meine Tochter, sie atmet nicht mehr", bricht es aus ihm heraus. "Ich weiß, dass es sehr schwer für sie sein muss aber leider können wir nichts mehr für Lou tun. Bitte warten sie einen Moment draußen vor der Tür. Ich hole meine Kollegin dazu und dann werden wir ihre Tochter einmal frisch machen, damit sie sich dann in aller Ruhe von ihr verabschieden können." Widerwillig stapft er aus dem Zimmer und zieht Susanna hinter sich her. "Möchten Sie in der Zeit gerne einen Kaffee oder Tee trinken?" Er schüttelt energisch seinen Kopf. "Tilda, darf ich dich auch einmal rausbitten?" Als ich die Stimme der Krankenschwester wahrnehme, die ich in letzter Zeit schon kennen lernen durfte, antworte ich mit einem klaren "Nein! Ich muss ihre Hand halten, das geht nun wirklich nicht". Behutsam fasst sie mir auf die Schulter: "Nur einen kurzen Moment", versucht sie mich zu überzeugen. Langsam erhebe ich mich von dem Stuhl und schwanke benommen Richtung Tür als mir die Kollegin entgegen kommt und die Tür von Innen, hinter mir schließt.
Ich laufe den langen Flur rauf und runter bis sich nach einer gefühlten Ewigkeit, die Zimmertür des Raums 246 endlich wieder öffnet. Ich mache auf dem Absatz kehrt und eile Richtung Lou. In meinem Kopf tobt die Hoffnung, dass sie sich wieder bekrabbelt hat und jeden Moment ihre Augen öffnet. Langsam trete ich an das Bett und bemerke wie die Hoffnung schwindet. Sie liegt da. Friedlich in ihrem Bett , die Hände auf der Bettdecke gefaltet. Mit ihrem blauen Lieblingskleid bekleidet sieht sie aus als würde sie einfach nur schlafen. Um ihren Hals hängt eine Kette woran ein kleiner silberner Ring befestigt ist indem die Worte: True love... eingraviert sind. Ich trage das Gegenstück mit der Inschrift: ... never ends. Ich näher mich dem Bett, nehme ihre Hand, beuge mich vor und flüster ihr ins Ohr: "ich werde dich nie vergessen, ich hoffe dir geht es gut da wo du jetzt bist".
Eine Träne tropft auf ihre Wange und ich bilde mir ein ein kleines Lächeln auf ihren Lippen zu sehen. Langsam lasse ihr ihre Hand los und drehe mich um und laufe. Laufe aus dem Zimmer, aus dem Krankenhaus. Am Auto angekommen , ziehe ich den Schlüssel aus der Tasche, öffne die Tür der Fahrerseite und lasse mich auf den Sitz fallen.

There is hopeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt