die kleine Kneipe

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Mittlerweile ist es Juli und der Sommer ist vor einigen Tagen ins Land gezogen. Ich wohne jetzt richtig in Lous Wohnung, der Mietvertrag wurde auf mich umgeschrieben. Lous Eltern haben mich darum gebeten, anfangs war ich mir nicht sicher ob mir das wirklich gut tut. Aber den Gedanken,dass ein Fremder diese Wohnung bezieht konnte ich einfach nicht ertragen. Zwischenzeitlich ist wieder ein wenig Normalität in mein Leben getreten. Der Alltag hat mich wieder. Zwar konnte ich in meinen alten Job, den ich verloren habe da ich einfach nicht hingegangen bin, nicht zurück, jedoch habe ich mir was anderes gesucht um meinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Naja hat auch was als Studienabsolventin in einer Bar zu arbeiten, Leute zu bedienen und Bier zu zapfen.
So bin ich aber wenigstens ein bisschen unter Menschen, auch wenn ich mich Privat eher zurückziehe und für mich bin. Heute ist Dienstag und vermutlich wird es eher eine ruhige Schicht im Gegensatz zu freitags und samstags. Mit erschrecken stelle ich fest, dass es schon 15 Uhr ist. Schnell springe ich unter die Dusche, schäume meine langen braunen Haare ein. "Verdammt " entfährt es mir. Shampoo in den Augen tut nicht gut! Ein perfekter Tag, erst rutsch mir meine Kaffeetasse auf der Hand und beim aufwischen stoße ich mit meinem Hinterteil die große Pflanze um, die direkt hinter mir stand. "Willkommen in meinem Leben" Schnell spüle ich das Shampoo aus meinem Haaren und das Duschgel von meinem Körper, bevor ich ein Handtuch um mich wickel und mit einem zweiten einen Turban um meine Haare baue. Im Kleiderschrank greife ich zielsicher nach meiner blauen Lieblingsjeans und einem schwarzen schlichten T-Shirt. Fertig angezogen, widme ich mich der Haarbändigung. Meine Haare nass zu bürsten ist die reinste Zumutung, sodass ich es aufgebe und mir einen ungewollten Messydutt am Hinterkopf binde. Ein prüfender Blick, in dem großen Spiegel, mit der Erkenntnis eh nichts mehr retten zu können, da ich jetzt dringend los muss. Noch ein paar Spritzer meines derzeitigen Lieblinhsdufts Alien und los geht's. Ich nehme immer zwei Treppenstufen auf einmal und sprinte zur S-Bahnstation. Natürlich fährt mir die Bahn genau vor der Nase weg. Jetzt habe ich noch 12 Minuten Zeit um wieder zu Atem zu kommen. Ich finger mein Handy aus meiner Hosentasche und gucke was die Welt heute so zu bieten hat.
Nach einiger Zeit fährt die Bahn ein, schnell lasse ich mich auf einem freien Platz, in türnähe, nieder.

"Hi" rufe ich meinen Arbeitskollegen zu, der hinter der Theke einer kleinen rustikalen Kneipe steht. Alte Blechbilder schmücken die urigen Fachwerkwände. Mein Blick schweift durch den Raum um zu erfassen was heute so los ist. Eine Gruppe junger Männer sitzt an einer der Tischgruppen, drei ältere Herren auf den Hockern am Tresen. Jemand hat die Musikbox bedient, aus der die Klänge zu dem Lied 99 Luftballons ertönen. Rechts am Billiardtisch versuchen zwei junge Mädels sich gegenseitig von ihrem Können zu überzeugen. "Hi Tilda" lächelt mir Lukas entgegen, als er drei neue Bier einzapft. Ich laufe hinter den Tresen um durch die Schwingtür in die Küche zu gehen, neben dem sich ein kleiner Aufenthaltsraum befindet wo ich meine Tasche, auf dem braunem Sofa ablege. "Du hast Feierabend " rufe ich Lukas zu als ich wieder nach vorne komme. Mein Handy lege ich neben die Kasse auf den uralten Vitrinenschrank, in dem sich die ganzen Gläser befinden. Trotz der ganzen Technik scheint die Zeit hier stehen geblieben zu sein, wir haben noch eine Kasse ganz ohne Schnickschnack und Kartenzahlung ist hier, zum erschrecken einiger Gäste, nicht möglich. Bevor ich mich zum Zapfhahn begebe dimme ich das Licht der alten Hägelampen die in über dem Tresen hängen sodass der Raum in eine schummrige Atmosphäre getaucht ist. Einer der Männer an der Theke sieht zu mir auf: " unsre Tilda ist wieder da, es wird dunkler und gleich werden die Kerzen angezündet". "So ist es", bringe ich mit einem Lächeln hervor. Seit einem Monat bin ich ein festes Bestandteil der Crew und die Stammgäste kennen mich und meine Macken schon. Nachdem alle Kerzen flackern bekommt jeder Gast ein Bier aufs Haus, das ist schon zu einer kleiner Tradition geworden. Lukas hat sich vor der Theke auf einem Hocker niedergelassen. Seine grünen Augen beobachten mich. "Na ?! Willst du heute gar nicht nach Hause?", frage ich ihn als sich unsere Blicke treffen. "Nein, mach mir mal lieber ein Bier". Wie vermutet ist heute nicht viel los. Nachdem ich Lukas sein Bier vor die Nase gestellt habe und den drei Herrschaften ihre Wacholder vor sich haben setze ich mich zu Lukas um ein bisschen zu quatschen. Zwei weitere Stammgäste treten hinein und gesellen sich zu uns an die Theke. Es herrscht eine lockere Stimmung und ich beschließe ein frischgezapftes Bier mitzutrinken. Hier fühle mich eigentlich ganz wohl, keinen stört meine kesse Schnauze und manchmal kann ich auch einfach einen mittrinken. Es gibt eigentlich keine Zickereien,da wir überwiegend männliches Publikum haben und auch alle Kollegen der Gattung Mann angehören. Zwischendurch kommt es mal zu hitzigen Diskussionen bis wieder zusammen angestossen wird. "Will die aufreizenste Bedienung des Ladens einen Kurzen mit mir trinken?", kommt es von Lukas. "Oh ja, soviel Haut wie ich heute zeige, siehst du sonst nirgends. Wenn ich mich bücken würde könntest du glatt meinen Schlüppi sehen" lachend schaue ich an mir herunter bevor ich uns zwei Jägermeister einschenke und mich wieder zu ihm setze. "Warum willst du nicht nach Hause?" frage ich ihn. "Stress!" ,beantwortet er meine Frage knapp. Als die Mädels den Laden verlassen betreten zwei neue Gäste den Raum die sich angeregt unterhalten. Sie suchen sich einen Platz und beschließen sich neben Lukas an der Theke Platz zu nehmen. Als sich der Typ sich zu mir umdreht, um zwei Budweiser zu bestellen, muss ich kurz schlucken. Gespielt cool, hole ich zwei Flaschen aus der Kühlung hervor, schmeiße zwei Bierdeckel auf den Tresen und stelle die geöffneten Flaschen darauf. Scheiße, was will er denn hier, geht es in meinem Kopf vor. "Kennen wir uns irgendwoher?", fragt er mich und runzelt die Stirn als würde er angestrengt nachdenken, "Du kommst mir bekannt vor." "Nicht das ich mich erinnern könnte", entgegne ich ihm lässig bevor ich mich wieder zu Lukas drehe und einen großen Schluck von meinem Bier nehme. Ich merke wie mich sein Blick noch eine ganze Weile mustert, bis er frech lächelt: "Kann es sein, dass du mir deine Tür vor der Nase zugeknallt hast?" Mit einem kurzen Blick schmeiße ich ihm ein "Möglich",entgegen. Paddy hier? In der kleinen Eckkneipe. "Tilda, ist alles okay?" , erkundigt sich Lukas leicht besorgt. "Passt schon!"
"Einmal zahlen bitte, Madame" ruft mir Erwin lallend zu. Gekonnt zähle ich die Striche, die jeweils für ein Bier stehen, zusammen und verabschiede mich. Ein bisschen nervös versuche ich mich selbst wieder runter zu holen, indem ich den Ignoremodus aktiviere, was mir anfänglich auch ziemlich gut gelingt. In der Disziplin bin ich ein wahrer Meister. Hier weiß einfach niemand von meiner Vergangenheit und das soll auch so bleiben. Eine Zeitlang läuft alles wie immer.Bier zapfen, Deckel abrechnen, kurze Konversationen führen. Nach und nach verabschieden sich die Gäste. Gegen 21 Uhr sitzen nur noch eine Hand voll Leute an dem rustikalen Tresen, darunter auch Lukas, Paddy und seine Begleitung. Die Musikbox gibt jetzt keinen Laut mehr von sich, da niemand mehr Geld hineingeschmissen hat. Über den Rechner lasse ich meine Playlist laufen, zuerst ertönen die Klänge der Red Hot Chilli Peppers mit 'Otherside'.
"Tilda, wie wär es mit ner Runde Karaoke?" lacht Lukas. Eigentlich bin ich immer mit dabei aber heute ist mir gar nicht danach. "Nee, lass mal lieber. Das nächste mal bin ich wieder mit von der Partie" , beschwichtige ich ihn.
Immer wieder bemerke ich wie Paddy mich mit seinen Blicken verfolgt, während er sich mit seinem Kumpanen unterhält. Unbehagen macht sich in mir breit. Hoffentlich spricht er mich nicht nochmal darauf an. Zum einem um das Thema nicht wieder auszuwühlen da ich es doch so sehr versuche zu verdrängen und zum anderen sollen die Anderen nichts davon erfahren. Sonst würde ich immer wieder darauf angesprochen und würde Mitleid ernten.

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