Um 7 Uhr reißt mich mein Handywecker aus dem Schlaf. Gefühlt hatte ich meine Augen nur 5 Minuten geschlossen. Mein Kopf dröhnt. Der letzte Whiskey muss wohl schlecht gewesen sein. Ich stolper in die Küche um mir einen Kaffee zu kochen. Mein Handy klingelt. "Hallo" melde ich mich. "Guten Morgen,Tilda. Ich wollte nur grade wissen ob du dich entschieden hast?" Einen kurzen Moment schweige ich. "Ja Susanna, ich werde es mache. Wir sehen uns später." Schnell ist das Gespräch beendet. Worauf habe ich mich da wieder eingelassen? Verzweifelt begebe mich zum Kleiderschrank und suche nach einem geeigneten Outfit. Geeignetes Outfit für eine Beerdigung. Gibt es einen Dresscode? Schwarz? Es ist der letzte Tag meiner besten Freundin... Schwarz? No way! Schnell krame ich einer Lous Lieblingsjumpsuits aus dem Schrank. Er ist mir ein bisschen zu lang da Lou ein paar Zentimeter größer war alsnich. Ich streife den Einteiler über meine Hüfte und schließe eine Schleife im Nacken. Zu meiner Verwunderung bekomme ich den Reißverschluss an der Seite prompt zu. Ich muss ganz schön abgenommen haben, denn eigentlich trägt Lou ein bis zwei Größen kleiner als ich. Der Overall ist vorne hoch geschlossen, ärmellos und hat einen tiefen Rückenausschnitt, eigentlich nicht Beerdigungsgeeignet. Da ich mit manchen Normen und Erwartungen der Gesellschaft nicht übereinstimme, beschließe ich das rosa Kleidungsstück, als Zeichen der Verbundenheit zu Lou, an diesem Tag trotzdem zu tragen. In der Hinsicht haben Lou und ich gleich getickt: lass dich nicht von anderen verbiegen, die selbst nur Dinge tun, wobei die meisten nicht mal wissen warum sie mitmachen. Wenn man nachhakt heißt es oft : weil es einfach so ist. Klar bei einer Beerdigung soll das Schwarz die Trauer ausdrücken aber ich kann sogar traurig sein ohne das ich Schwarz trage. Beschlossene Sache also. Ich wander ins Bad um mir mit dem Babyliss Locken zu zaubern die Lou an mir geliebt hat. Bei dem Make-up bleibe ich mir allerdings treu, ein bisschen Wimpertusche und fertig. Ein Problem gibt es allerdings noch. Die Hosenbeine sind zu lang. Entweder trage ich hohe Schuhe auf denen ich laufe wie ein Storch oder meine Chucks und Krempel, dann müsste ich allerdings die Hosenbeine hochkrempeln. Eigentlich ist mir die Entscheidung absolut nicht schwer gefallen. Mitlerweile ist es halb neun, also habe ich noch ein bisschen Zeit mich vorzubereiten. Völlig vertieft auf der Suche nach den richtigen Worten, die gefühlt alle schon dreimal geändert wurden, vergesse ich die Zeit. Nach einer Weile klingelt es an der Tür. Schnell lege ich meine Kette an und trage Lous Lieblinhsduft auf, bevor ich in meine weißen, abgewetzten Chucks schlüpfe, mir eine schwarze Strickjacke überwerfen und nach unten laufe wo Lous Eltern vor ihrem Auto auf mich warten, da sie mir angeboten haben, mich mitzunehmen. Ich umarme beide ohne ein Wort zu verlieren und steige ins Auto. Die zehnminütige Autofahrt kommt mir vor wie drei Stunden. Meine Hände sind eiskalt und klitschnass geschwitzt. Am Friedhof sind wir die ersten, die die gruselige Halle betreten. Vorne in der Mitte ist der Sarg aufgebahrt und neben ihm ist ein Riesenbild von Lou zu sehen. Unzählige Blumenkränze füllen den restlichen Platz. Auf den Scherpen stehen kleine Sprüche und Abschiedsgrüße sowie die Namen derjenigen, die den jeweiligen Kranz haben anfertigen lassen. Der von ihren Eltern ist meiner Meinung nach der schönste und würde auch Lou am besten gefallen. Da bin ich mir sicher. Auf ihm befinden sich Sonnenblumen. Vom mir gibt es keinen Kranz. Anstelle dessen habe ich die letzte Woche damit verbracht eine riesige Stellwand mit Fotos zu errichten. Darauf befinden sich Fotos von Lou und allen Leuten, die ihr wichtig gewesen sind. Wie ein geistesblitz kommt mir die Erkenntnis, dass ich meine Zettel mit der vorbereiteten Rede vergessen habe. Schnell laufe ich zu Susanna und frage sie ob wir nochmal schnell zurück fahren könnten."Das tut mir leid, Liebes, aber das würden wir nicht mehr rechtzeitig schaffen." Panik steigt in mir auf. Sie greift meine Hand und sagt: " Das schaffst du auch so. Ich bin mir ganz sicher". Wir gehen gemeinsam zu unseren Plätzen die in der ersten Reihe für uns reserviert sind. Nach und nach füllt sich der Raum und es wird getuschelt. Ich denke mich an einen anderen Ort um der Realität zu entfliehen. Als sich die Seitentür der Friedhofskapelle öffnet,ein Pastor und zwei Messdiener eintreten, erstummt das Gemurmel innerhalb von Sekunden. Durch den Tränenschleier vor meinen Augen kann ich gar nicht richtig sehen. Wie versteinert starre ich auf Lous hübsches Lächeln welches das Bild zeigt. Susanna bufft mich leicht von der Seite an und ich schrecke kurz zusammen. Langsam erhebe ich mich von meinem Sitz und gehe mit wackligen Beinen vorne zum Mikrofon. Kurz Blicke ich auf die Menschenmenge bis ich meine Augen schließe und tief Luft hole. Zittrig kommen weinerliche Worte aus meinem Mund:" Schön, dass ihr alle hier seid." beginne ich. Schnell werfe ich meine Pläne über Bord und starte nochmal neu, dabei lasse ich mich von meinem Gefühlen leiten:" Liebe Lou, leider musstest du viel zu früh gehen. Wir hatten so viele geniale Pläne die ich niemals ohne dich verwirklichen kann. Im Moment fühlt sich alles falsch an was ich mache, weil du nicht mehr da bist. Ich habe nie gelernt ohne dich klar zu kommen, ich brauche dich wie die Luft zum atmen. Und dann soll man plötzlich versuchen ohne Luft auszukommen. Mit dir habe ich die schönsten Momente meines Lebens gehabt. Wir haben einfach alles miteinander geteilt. Wir brauchten nicht einmal Worte um uns zu verstehen. Mit deiner positiven Einstellung hast du die Leute immer in den Bann gezogen. Du hinterlässt ein ganz riesiges Loch, das kein Mensch in der Lage sein wird, je zu füllen. Seit ich denken kann gingen wir Hand in Hand durch die große Welt um alles zu erblicken und auszuprobieren was sie uns zu bieten hat. Ich danke dir für alles was du je für mich getan hast, was ich von dir lernen durfte und für jeden Moment den ich mit dir verbringen durfte. Und jetzt danke ich dir, dass du von da oben auf mich aufpasst und mir immer noch nah bist ohne hier zu sein. Niemals werde ich dich vergessen. Und um dir eine kleine Freude zu machen werde ich jetzt eines deiner Lieblingdlieder für dich singen, aber Soulsister nicht lachen, ich bekomme das raus und wenn ich irgendwann da oben bin bekommst du mächtig Ärger." Ich schaue kurz nach rechts und nicke mit dem Kopf. Das Zeichen um die Musik zu starten. Ich bin so in mich und meine Gefühle vertieft, dass ich die Menschenmenge vergesse und einfach anfange zu singen:
"Oh my love, my love, my love
We're running out of time
We're about to lose the light of day
I hear you knock, you knock, you knock
But I'm not home
I'm too far gone
In your eyes I learn to see
Oh the mirror hiding me
In the darkness I can dreamIf you give me high, high, higher love
Tell me there's no other one, one, one above
High, high, higher love
Tell me there's no other one, one, one above"Zurück an meinem Platz angekommen nickt mir Lous Papa anerkennend ,mit seinem Kopf,zu.
Der Pastor ergreift wieder das Wort. Eine ganze Weile sitze ich noch da, ohne zuzuhören. Als alle anderen aufstehen ,ziehe ich mit und Folge ihnen aus der Halle. Draußen steht Franka eine gute Bekannte die ich gebeten habe weiße mit Helium befüllte Luftballons zu verteilen. Ich habe 60 Ballons füllen lassen, was jedoch nicht annähernd für die anwesenden Menschen ausreicht. Als ich mich umsehe haben nicht mal die Hälfte einen Ballon, wobei mir übrigens auffällt dass ich die einzige bin die eine "Knallfarbe" trägt. Eigentlich sieht man nur schwarze oder Kleidungsstücke in gedeckten Farben. Langsam laufe ich hinter dem Sarg in der Menge mit. Es ist recht bewölkt und man kann einige Vögel zwitschern hören. Irgendwann endet der Weg und wir bleiben stehen. Der Pastor ergreift wieder das Wort. Als er endlich aufhört zu reden, nicht, dass er das nicht gut machen würde aber ich kann das alles grade echt nicht hören. Ein fremder Mann redet über meine beste Freundin als hätte er sie gekannt. Ich trete nochmal nach vorne ans Mikrofon: " Ich habe ein paar Luftballons mitgebracht um Lou einen kleinen Gruß in den Himmel zu schicken." Ich lasse meinen Ballon in den Himmel fliegen und sehe ihm nach. Die Anderen tun es mir gleich und lassen die Ballons los. Anschließend werfe eine Sonnenblume,die neben dem Grab bereitliegen, auf den Sarg der sich mittlerweile tief in der Erde befindet und gehe zurück vor die Friedhofskapelle um auf Lous Eltern zu warten. Wir stehen da und jeder kommt und gibt uns die Hand um uns ein herzliches Beileid zu wünschen. Als meine Mutter gefolgt von meinem Vater vor mir steht und mir die Hand entgegenstreckt, halte ich es nicht mehr aus. Ich drehe mich um und laufe zu Susannas Auto und lehne mich an die Motorhaube. Aus meiner Hosentasche krame ich ein Päckchen Zigaretten und ein Feuerzeug, öffne die Packung und zünde mir eine Zigarette an. Eigentlich habe ich das Rauchen vor vielen Jahren aufgegeben aber jetzt ist mir einfach danach. Ich nehme einen tiefen Zug und muss sofort husten. Ekliges Zeug, ich weiß gar nicht wie ich sowas mal regelmäßig machen konnte. Ich schmeiße die Zigarette auf den Boden und trete sie aus. Eigentlich gibt es im Anschluss noch eine Messe in der Kirche aber ich habe mich entschlossen nicht mitzugehen. Es liegt nicht daran, dass ich nicht an Gott glaube sondern eher daran, dass ich nicht an die Kirche glaube. Ausserdem brauche ich die ganzen mitleidigen Blicke nicht die mich durchbohren. Als Lous Eltern endlich zum Auto kommen erzähle ich ihnen dass ich jetzt nach Hause gehen werde. "Kommst du auch nicht zum Kaffeetrinken?" Möchte Susanna wissen. Ich schüttel den Kopf. Irgendwie fühlt es sich falsch an, da mit Menschen zu sitzen die ihre Trauer kundtun aber in letzter Zeit nicht einmal bei Lou waren um ihr beizustehen. "Okay, aber wenn du irgendwas brauchst oder reden möchtest meldest du dich bei uns." "Klar" lächel ich ihnen tapfer zu. Lous Mama ist wie meine zweite Mama, die ich schon immer kenne und die immer für mich da ist.
DU LIEST GERADE
There is hope
FanfictionEin dramatischer Schicksalsschlag stellt Tildas Leben total auf den Kopf. Sie verliert sich in ihrer Trauer und gibt sich selbst auf. Ob eine unerwartete Begegnung ihrem Leben wieder einen neuen Glanz verleihen kann? Ihr dürft mir gerne Feedback dal...