Kapitel 10

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Ich seufzte erleichtert auf, als ich hörte, wie die Tür in ihre Angeln fiel. Barbie 1 und Barbie 2 hatten sich mindestens noch eine viertel Stunde weinend in den Armen gelegen und einander alles verziehen, was je geschehen war. Offensichtlich hatte Kristens Unfall sie mehr berührt, als ich es angenommen hatte. Ich war während der ganzen Versöhnungsgeschichte, damit beschäftigt gewesen, die Augen zu verdrehen, kotzen zu simulieren und den Laden Feierabend fertig zu machen.

Ich schlüpfte noch schnell in meinen Pullover und trat dann an die frische Luft. Endlich.

Ich schloss ab und begann in Richtung Krankenhaus zu laufen. Dass war zwar ein ziemlich langer Weg, aber die frische Luft würde mir gut tun. Vielleicht würde ich auch noch einen Blumenstrauss oder so etwas finden, was ich Kristen mitbringen könnte. Irgendwie musste ich sie einfach besuchen.

Ich steckte meine Kopfhörer ein und sofort durchfloss mich ein Gefühl der Erleichterung. Es war so normal, nach der Arbeit Musik zu hören. Und Normalität hatte etwas beruhigendes. Ich checkte meine Nachrichten während dem Laufen. Klar, dass ist gefährlich, aber wer tat das nicht? Weder Sean noch Clarice hatten sich gemeldet. Sean war an Dienstagen generell nie erreichbar und wie ich Clarice kannte, war sie zu Hause, sah sich traurige Filme an und stopfte Süsses in sich hinein. Dass war ihre Art mit deprimierenden, traurigen oder schockierenden Dingen umzugehen.

Aber Felix hatte geantwortet.

Probleme? Was für Probleme?

Und Ja, Tim ist aufgetaucht. Er ist auch ein Youtuber, aber dass hast du wahrscheinlich erraten.

Ach ja und Taddl sagte, du musst dich nicht entschuldigen. Er fragt nach deiner Nummer. Ist es okay, wenn ich sie ihm gebe?

Ich wiederstand dem Gefühl, ihm sofort antworten zu müssen, als ich in der Ferne das grosse Gebäude erkannte, nach dem ich Ausschau gehalten hatte. Das Krankenhaus war grösser als ich es in Erinnerung hatte und ein kalter Schauer dunkler Vorahnungen rieselte meinen Rücken hinunter. Alle Härchen meines Körpers stellten sich auf. Ich wollte nicht hinein. Nicht zurück. Ich massierte meine Schläfen, um all die Gefühle zu vertreiben, die auf mich einzustürzen drohten. Schliesslich atmete ich noch einmal tief durch und überquerte die Strasse.

Kaum war ich die Stufen hoch und durch die schwere Tür getreten, kam mir ein nur allzu bekannter Geruch entgegen. Dieser typische Krankenhausgeruch. Eine Mischung aus Medikamenten, Desinfektionsmitteln und Krankheit. Zu all den anderen Gefühlen gesellte sich ein Schwindelgefühl. Meine Knie begannen zu zittern und ich sah nicht mehr klar.

„Kann ich Ihnen helfen? Fühlen sie sich nicht gut?“, eine Krankenschwester im mittleren Alter stellte sich vor mich. Als sich mein Blick langsam klärte und auf ihr Gesicht fixierte, konnte ich erkennen, dass sie so aussah, als wäre sie bereit mich aufzufangen, falls ich ohnmächtig werden würde.

„Nee, nee.“, antwortete ich und versuchte angestrengt meine Stimme sicher klingen zu lassen.  Trotzdem hatte ich das Gefühl, dass sie leicht zitterte. „Ich suche jemanden.“ Die Krankenschwester nickte. „Dann wenden sie sich bitte an den Informationsschalter.“ Sie musterte mich noch einmal kritisch. „Sind sie sicher, dass sie sich nicht lieber schnell setzten wollen?“

Ich schüttelte den Kopf. „Mir geht es gut. Aber danke.“

Ich wandte mich ab und ging so zielstrebig wie möglich auf den Schalter zu. Das Krankenhaus sah noch genau gleich aus, wie ich es in Erinnerung hatte. Der Informationsschalter in der rechten Ecke und die zwei verbitterten, übergewichtigen Krankenschwestern gleich dahinter. Links befand sich eine kleine Lobby mit unbequemen Plastikbänken für die Angehörigen, welche auf Neuigkeiten warteten. Ich konnte mich nicht daran erinnern dort jemals niemanden zu entdecken, der weinte. Gleich dahinter in der Ecke stand die Kaffeemaschine, welche den schlechtesten, überteuertsten Kaffee anbot. Zwischen der grossen Eingangstür und dem Informationsschalter befand sich ein kleiner Kiosk, der alles anbot, was man im letzten Augenblick für kranke Bekannte kaufen wollen könnte. Von bunten Ballons bis zu Blumen, die alle gleich rochen und so aussahen als würden sie schon am nächsten Tag verwelkt sein. Ich konnte aus eigener Erfahrung bestätigen, dass sie nicht nur so aussahen, sondern am nächsten Tag tatsächlich nur noch ein Häufchen Elend waren. Trotzdem drehte ich kurz vor dem Informationsschalter noch einmal um und kaufte einen Strauss Nelken. Ich hoffte, sie würden ihr gefallen. Schliesslich konnte ich es nicht mehr länger hinauszögern und trat vor Rosie. Jene der beiden Frauen am Schalter, welche ihre Haare rot gefärbt hatte und die ich immer ein wenig mehr gemocht hatte, weil sie trotz ihrer verbitterten Art eine weiche Seite hatte. Während meinem Aufenthalt hier, war mir das einige Male aufgefallen.

Eine andere Welt ~ Eine Youtuberfanfiction (Taddl & co.)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt