Kapitel 45

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Die Stühle waren tatsächlich unbequem. Was hatte sich Mediakraft nur dabei gedacht? Ich konnte doch nicht die Einzige sein, die die Stühle schrecklich fand. Als ich meinen Blick durch den Raum schweifen liess, bemerkte ich, dass sich alle anderen auf Priska (Sie hatte sich dann so vorgestellt. Props an mein Gedächtnis) konzentrierten. Kaum hatten alle gesessen, hatte sie begonnen, Taddl und meine Geschichte zusammenzufassen. Um ehrlich zu sein, war ich erst auf die Stühle gekommen, als ich begonnen hatte, ihre nervige Stimme auszublenden. Ich wusste nur zu gut, wie unsere Geschichte ging. Sie hatte sogar eine Powerpoint-Präsentation vorbereitet. Voller Bilder aus unseren Videos. Als ob es nicht schon schmerzhaft genug wäre. Die einzigen Personen, die wie ich nicht aufpassten, waren Ardy und Taddl, die sich andauernd etwas ins Ohr flüsterten und manchmal sogar leise kicherten. Jedes Mal war es ein Dolch direkt in mein Herz. Ich sollte ihn nicht so offen anstarren, dass war mir völlig klar. Aber ich konnte nicht anders. Ich saugte jedes einzelne Detail in mir ein und versuchte es zu speichern. Wie er sich bewegte, so leicht, beinahe als würde er schweben. Wie seine Augen blitzten, wenn Ardy ihn zum Lachen brachte. Den Ansatz seiner Haare, mit dem ein kleines bisschen meines Taddls wieder zu wachsen begonnen hatte. Wie sanft seine Nase geschwungen war.
„Und dann trennten sich die Beiden.“ Ich weiss nicht, ob Priska die Stimme extra gehoben hatte oder ob mir der Satz einfach entgegen gesprungen war. Aber er riss mich aus meinen Träumereien und auch Ardy und Taddl verstummten für einen Augenblick. Ich sah noch immer Taddl an, aber sein Blick ging weit in die Ferne. Für einen Moment schienen seine Mauern einzubrechen. Seine Schultern sackten nach unten. Seine Augen und sein ganzes Gesicht schienen nur unendlich traurig zu sein. Seine Stirn war in tiefe Falten gelegt. Er wirkte alt. Viel älter als er war. Und dann blinzelte ich und der Moment war vorüber. Vielleicht hatte mir meine Fantasie nur einen Streich gespielt. Seit ich selbst schrieb, schien sie ein wenig zu überreagieren.
Ardy legte Taddl wieder die Hand auf die Schultern und ich sah, wie er kurz zu drückte. Vielleicht war ich doch nicht die Einzige gewesen, die etwas bemerkt hatte. Und obwohl ich mich genauso fühlte, wie Taddl zuvor ausgesehen hatte, war ich froh, dass er jemanden hatte. Jemanden der ohne Wenn oder Aber für ihn da war und ihn so gut kannte, wie ich ihn. Denn so jemanden hatte ich nicht. Auch wenn ich es mir selbst nicht eingestehen wollte, Sean und Clarice waren kein Ersatz für die Freunde, die ich im Youtuberhaus gehabt hatte und erst recht nicht für Leo. Ich hatte mich in den letzten Monaten so sehr verändert, dass es war, als würden Sean, Clarice und ich uns neu kennenlernen müssen. Ich wünschte, Felix oder am aller liebsten Leo wären in diesem Moment bei mir. Aber sie beide hatte ich fortgeschickt. Felix, um ihm eine Entscheidung zu erleichtern und Leo, um sie vor mir zu beschützen. Weshalb, um Gottes Willen, konnte ich nie an mich selbst denken? Weshalb konnte ich nicht einmal in meinem Leben egoistisch sein?
Ich musste einmal leer schlucken, um zu verhindern, dass ich vor all diesen Menschen in Tränen ausbrach. Ich war stark. Ich musste stark sein.
Als ich mich wieder ein wenig beruhigt hatte, bemerkte ich, dass ich meine Hände um die Lehnen meines Stuhles geklammert hatte. So sehr, dass meine Nägel Abdrücke in dem hellen Holz hinterlassen hatten. Schnell hob ich meinen Blick. Niemand achtete auf mich. Noch einmal Glück gehabt. Und dann sahen Taddl und Ardy gleichzeitig zu mir hinüber und alles verblasste. Die Welt schien aufhören sich zu drehen und es waren nur wir drei. Die Zeit hatte angehalten und ich konnte beinahe die Staubflocken wirbeln sehen. Er sah mir direkt in die Augen. Und es schmerzte zu wissen, dass er genau lesen konnte, was ich in diesem Moment dachte. Ich liebe dich. Die Worte, die wir einander hunderte Male gesagt hatten, spukten in meinem Kopf herum. Ich würde nichts lieber tun, als sie laut auszusprechen. Sie in die Welt hinauszurufen. Es alle wissen zu lassen. Aber ich würde es nicht tun. Weil nichts zurückkommen würde.
„Jules.“ Die geflüsterten Worte drangen nur langsam zu mir um und ich fuhr herum. Jeanine betrachtete mich mit einem leicht besorgten Ausdruck. Dann lächelte leicht. Ein trauriges Lächeln. „Du starrst.“ Ich sah von ihr zu Taddl und wieder zurück. Langsam nickte ich. Wie das wohl wirken würde.

„Also“ Priska klatschte in die Hände und blickte breit grinsend in die Runde. Als hätte sie nicht gerade erzählt, wie meine grosse Liebe in die Brüche ging. Es begann in mir zu kochen. Die Wut, die in mir hoch stieg, richtete sich nicht nur gegen Priska. Nein, sie war nur das fehlende Stück gewesen. Mein Zorn richtete sich gegen alles. Taddl, Mediakraft, Felix, die Welt.
„Jules, was denkst du?“ Ardy. Er musste mir angesehen haben, dass ich in den Gedanken abdriftete. Ein wenig verwirrt, so aus den Gedanken gerissen zu werden, sah ich in die Runde. „Entschuldige. Ich habe die Frage verpasst“ Ich presste den Satz durch meine Zähne und versuchte gleichzeitig mein noch immer rasendes Gehirn zu beruhigen. Ein und ausatmen. Lockere deine Hände. Höre zu. Sitze gerader hin. Fokussiere deinen Blick.
Ardy lächelte mir kurz zu und wiederholte die Frage. „Findest du, man sollte Fansites mässigen? Sie sogar schliessen?“ Er schien mich immer wieder zu retten. Und dann realisierte ich, was gefragt wurde. Eine eisige Hand schloss sich um mein Herz und ich konnte nicht verhindern, dass ich meine Augen weit aufriss. Sie wollten gegen die Fans vorgehen? Waren sie verrückt?

Eine andere Welt ~ Eine Youtuberfanfiction (Taddl & co.)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt