Kapitel 21

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Das Licht der Sonne strahlte mir direkt auf die geschlossenen Augen. Verschlafen rieb ich sie mir und blinzelte so lange, bis sich meine Sicht klärte. Dass Taddl noch schlief, konnte ich am gleichmässigen Auf und Ab der Bettdecke erkennen. Ich lächelte. Ich war immer zu erst wach. Als ich ihn dann tatsächlich neben mir liegen sah, wurde mein Lächeln nur noch breiter. Seine Haare standen verstrubbelt auf alle Seiten ab und er sah viel jünger aus ohne das Gel und das Bandana. Einen Moment spielte ich mit dem Gedanken, ihm den nackten Bauch zu kitzeln, aber er sah so friedlich aus, dass ich es lieber liess. So sanft wie möglich hob ich die Bettdecke an und schlüpfte aus dem Bett. Meine Kleider lagen am unteren Rand des Bettes, aber ich war zu faul, sie anzuziehen. Stattdessen schlüpfte ich eine von Taddls Boxershorts, die frisch gewaschen und zusammengefaltet, aber noch nicht eingeräumt, auf dem Nachtisch lagen. Auf seiner Seite des Bettendes lag noch das T-Shirt, welches er am Abend zuvor getragen hatte. Bevor ich es überzog, drückte ich es gegen meine Nase und zog seinen Duft ein. Er roch so gut.
Noch immer mit einem Lächeln im Gesicht betrat ich das Wohnzimmer der Wohnung. Ardy lag auf dem Sofa und sah mir grinsend entgegen. „Na, du?"
„Na?", antwortete ich und ging in die angrenzende Küche hinüber, um mir eine Tasse Tee zu machen. „Willst du auch Tee?", rief ich ins Wohnzimmer hinüber und es dauerte nicht mal eine Sekunde, da kam auch schon ein Ja zurück. Ich grinste. Ich hätte nicht fragen müssen. Dieses am-Morgen-zusammen-Tee-trinken hatte sich zu einer Art Ritual zwischen Ardy und mir entwickelt. Manchmal kam auch noch Felix nach unten, aber das war eher selten. Meistens ging ich zu ihm nach oben, nachdem Taddl aufgewacht war und er und Ardy zusammen Dragonball oder sonst ein Anime sahen. Klar hatten sie mir angeboten mitzusehen, aber mir schien das eine Art heilige Tradition zwischen den beiden zu sein, weshalb ich Zuflucht bei Felix suchte, Arbeiten oder auch mal kurz nach Hause ging. Heute aber hatte ich meinen ersten freien Sonntag seit Monaten und ich hatte vor, mir endlich wieder einmal eine Ruhepause zu gönnen.
Als der Tee fertig war, balancierte ich die zwei Tassen auf einem Tablett mit je einem Keks ins Wohnzimmer zurück. Ardy rutschte automatisch ein Stückchen und ich setzte mich neben ihn. Er hatte seinen Laptop auf dem Schoss und scrollte offensichtlich durch die Kommentare von irgendeinem Video. „Von welchem Video ist das?", fragte ich, nachdem ich ausgiebig gegähnt hatte. Ardy warf mir einen schiefen Blick zu und grinste schräg. „Deinem."
„Was?" Mein Herz sackte mir in die Hose. Das hatte ich vollkommen vergessen. „War wohl 'ne ziemlich heisse Nacht, das du sowas vergessen konntest, was?", Ardy zwinkerte mir zu und grinste noch breiter, als er sah, dass ich errötete. Ich verdrehte bloss die Augen und stiess ihm den Ellbogen zwischen die Rippen. „Und? Ich meine, wie kommt es an?" Er scrollte nach oben und meine Augen drohten mir aus zu fallen. „15'000 Klicks?", meine Stimme überschlug sich beinahe. Ardy lachte leise. „Na, was dachtest du denn? Die Nachricht das Taddl's Freundin ein Video hochgeladen hat, schlug ein wie eine Bombe. Wart bloss ab. Das war ja nur über Nacht. Heute Abend wird es noch viel mehr Klicks haben."
Er hatte nicht übertrieben. Innerhalb von drei Tagen hatte mein Video 150'000 Klicks und mein Kanal 25'000 Abonnenten. Wie war das nur möglich? Auch wenn ich heute zurück denke, scheint es mir vollkommen unrealistisch zu sein. Alles nur weil ich Taddl's Freundin war.
Die Kommentare waren auch beinahe durchgehend positiv und wenn jemand es wagte, etwas negatives oder gar beleidigendes zu sagen, waren sofort andere da, um mich zu verteidigen. Viele kannten mich schon aus dem ein oder anderen ungefilmt-Video oder dem Dnerstag und freuten sich darüber, jetzt mehr über mich zu erfahren. Was mich jedoch am meisten überrascht hatte, war das Mail von Mediakraft, das schon am nächsten Tag kam. Ich zögerte eine Weile, ob ich den Vertrag eingehen sollte oder nicht, aber da ich wusste, dass ich keine Zeit hatte, um mich um Dinge wie Werbung oder den Kontakt mit Youtube selbst zu kümmern, unterschrieb ich schliesslich. Natürlich nicht ohne ein Meeting und noch lange nicht ohne mich mit Taddl abzusprechen.
Von da an lud ich jede Woche meine zwei Videos hoch, arbeitete nur noch Nachmittags im Starbucks und besuchte Morgens die Uni. Da ich auch noch Zeit mit Taddl verbringen wollte, schlief ich beinahe nicht. 9 Uhr Uni, ab 15 Uhr Starbucks, danach ins Youtuberhaus (meistens bei Simon essen, er war der einzige, der irgendetwas essbares hatte), versuchen zu lernen, während Taddl aufnahm (ab und zu selbst aufnehmen oder schneiden), wenn noch Zeit war, lesen, um meinen Zuschauern auch etwas zu bieten und schliesslich, wenn Taddl ENDLICH fertig aufgenommen hatte, mit ihm meine Zeit verbringen. Das war mein Leben.
Ich fühlte mich, als würde ich in einem Zug sitzen, der einfach nicht langsamer wurde und ich keinen blassen Schimmer hatte, wo oder wann die nächste Haltestelle war. Auch wenn ich nicht aussteigen wollte, machte die Geschwindigkeit mir Angst. Die Landschaft veränderte sich so schnell, dass ich mich beinahe nicht mehr an die vorherige erinnern konnte.

Aber ich hatte Spass. Die Mädels Abende mit Caty, während die Jungs aufnahmen, der tägliche Morgentee mit Ardy, die Abendessen bei Simon... Ich könnte noch viel mehr aufzählen. Was mir aber am meisten Spass machte, war Youtube selbst. Meinen Kanal auf zu bauen, mir meine eigene Community zu schaffen. Ich könnte nicht sagen, was ich mehr mochte. Meine Bücher-Videos oder die Collabs und Vlogs. Obwohl ich Vlogs wirklich selten machte. Die Collabs waren auch viel witziger und kamen auch bei den Zuschauern viel besser an. Ich machte auch Videos wie 25 Facts about me. Mal ehrlich, fünfzig interessante Fakten brachte ich überhaupt nicht zusammen. Mein Kanal wuchs und wuchs, so dass es mir beinahe Angst machte. Wie sehr begann ich erst zu realisieren, als auch ich nach einem Foto oder Autogramm gefragt wurde, wenn ich mit den anderen aus dem Youtube-Haus unterwegs war. Ich hatte mich daran gewöhnt, jene zu sein, die die Fotos machte und geduldig wartete, wenn wir angesprochen wurden. (Es gab natürlich auch einige unschöne Momente, vor allem wenn ich mit Taddl unterwegs war, aber das war eher selten.) Jetzt selbst nach Fotos gefragt zu werden, war ein Schock für mich. Auch im Starbucks wurde ich immer öfter um ein Autogramm gebeten und auch wenn Kristen wieder gesund war, übernahm jetzt meistens ich den Bürojob. Aber wie krass das Ganze tatsächlich war, wurde mir erst etwa 3 Monate, nachdem ich Taddl kennengelernt hatte, im August klar. Am Videoday.

Eine andere Welt ~ Eine Youtuberfanfiction (Taddl & co.)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt