Kapitel 53

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Sein Lächeln erlosch, als er den Ausdruck auf meinem Gesicht sah. Stattdessen runzelte er die Stirn und seufzte. „Ardy hat dir den Brief gezeigt, oder?" Ich war zu wütend, um mich darum zu kümmern, dass er wusste, dass ich mich mit Ardy traf. Eigentlich hätte es mich überhaupt nicht überraschen müssen. „Ja, hat er.", sagte ich durch meine Zähne gepresst. „Wir haben uns getrennt, ja. Aber ich hätte erwartet, dass ich dir wenigstens noch vertrauen könnte." Während dem Sprechen hatte ich meine Stimme erhoben und ich klang schärfer, als ich es erwartet hatte. Dementsprechend sah Taddl auch aus, als hätte ich ihn geschlagen. Um ehrlich zu sein, war ich auch nahe dran. Um mich an etwas zu hindern, dass ich sehr wahrscheinlich bereut hätte, drehte ich mich um. Und ja, ich versuchte dabei meine Haare so dramatisch zu schwingen, wie man das in Filmen so tat. Aber weil das nun einmal kein Film war, ich keine blondhaarige Bimbo und Taddl kein High School-Footballstar, kam nicht alles sofort wieder gut, nur weil ich einen dramatischen Abgang hingekriegt hatte. Nein, Taddl hielt sich nicht an den Plan. Er packte mich am Arm und drehte mich sanft zu ihm um. „Jetzt lauf nicht schon wieder davon, Jules." Mir klappte der Mund auf.

„Wag es ja nicht mich anzufassen.", fauchte ich und liess meine Augen dabei nur so funkeln. Hoffentlich sah er die Wut in ihnen. „Und ich soll diejenige sein, die davonläuft? Ja, klar."

Sofort liess er mich los, als hätte er sich verbrannt. Gleichzeitig konnte ich sehen, wie er die Beherrschung verlor.

„Ja, Jules. Du. Dein ganzes Leben hast du nichts anderes getan. Du bist in das Baumhaus geflüchtet, wann immer du deinen Vater nicht mehr ertrugst, anstatt ihm deine Meinung zu sagen.
Du bist aus dem Dorf geflüchtet, um dich nicht vor deinen eigenen Taten zu verantworten.
Am Videoday, als wir uns gestritten haben, hast du mich nicht ausreden lassen, stattdessen bist du davongelaufen. Und hast dich dabei selbst in Gefahr gebracht, um das noch zu erwähnen.
Als du bei dem vielen Druck nicht mehr konntest, hast du so lange weitergemacht, bis ich mich gezwungen gefühlt habe, einzugreifen. Einfach nichts zu tun, ist auch eine Art zu flüchten. Du hättest dich sonst selbst zerstört. Also, bitte, lauf nicht wieder davon. Hör auf dich zu verstecken. Sprich mit mir."

Ich weiss nicht, an welchem Punkt, ich begonnen hatte, zu weinen. Als er aufhörte zu sprechen, liefen mir die Tränen wie ein Wasserfall hinunter. Ich war nicht fähig seine Worte ganz zu verstehen. In meinem Kopf drehte sich alles.

Seine Stimme war sanft, als er weitersprach: „Jules, ich weiss nicht, wie ich dir das klar machen soll. Du warst zu lange zu selbstlos. Du hast dich nie um dich selbst gekümmert. Allen anderen hast du bei ihren Problemen zugehört, aber nie jemanden von deinen erzählt. Ich weiss, es ist kein angenehmes Gefühl sich zu öffnen, aber spätestens als unsere Beziehung daran gescheitert ist, hatte ich gehofft, du würdest es verstehen. Als Ardy zu dir kam und dich bat, auf mich zu warten, dachte ich, du wärst endlich fähig, dich selbst zu respektieren. Aber nicht einmal heute, als du herausfandst, dass dein Vater dir verzeiht, konntest du für dich handeln."

Auf der einen Seite verstand ich, was er mir sagen wollte, auf der anderen Seite widersprach sich alles. Die Tränen liefen noch immer, aber ich räusperte mich. „Wie kann weglaufen selbstlos sein?"

Taddl lachte auf. Aber es war kein schönes Lachen. Es klang gepresst, bitter und gebrochen. „Das ist das Einzige nicht selbstlose, das du tust. Aber es folgt dem gleichen Ziel. Nicht über dich reden zu müssen. Nicht über das, was dich beschäftigt."

Auf einmal gab alles Sinn, einen verdrehten zwar, aber er hatte Recht. Nur eines, eines beschäftigte mich noch. „All diese Gespräche mit Ardy. All diese Wochen alleine. Du wolltest nur, dass ich endgültig zerbreche?" Taddl schüttelte energisch den Kopf. „Ich wollte, dass du dich selbst akzeptierst und dich nicht selbst klein machst. Du bist genauso wichtig, wie wir alle anderen auch. Du hast genauso ein Recht darauf, traurig zu sein, schlechte Laune zu haben, zusammenzubrechen und uns alle damit zu belasten."

Ich schüttelte nur noch den Kopf, wie um all die Neuigkeiten und tiefsinnigen Dinge zu vertreiben. „Du verdammter Lügner. Du hast zugesehen, wie ich brach. Du hast zugelassen, dass ich aufgab. Nein, das stimmt nicht einmal." Ich lachte verzweifelt auf und eine neue Welle von Tränen brach über mich hinein. „Du hast es sogar organisiert. Du hast nicht einmal zugesehen, du warst der Grund dafür." Ich zitterte jetzt am ganzen Körper. Ob vor Wut, Enttäuschung oder Unglauben konnte ich nicht sagen.
„Ja. Ich war der Grund dafür. Aber hoffentlich siehst du nun, dass selbstlos zu sein, in dieser Welt nichts bedeutet."
Durch den Schleier von Tränen konnte ich sehen, wie er sich umdrehte und in die entgegengesetzte Richtung davonlief. Es kam mir so unwirklich vor. Vor einer Stunde war mein ganzes Leben noch eine Lüge gewesen und ich hatte mit meinen Freunden, die davon wahrscheinlich alle wussten, im Park gesessen und gelacht. Auf einmal kam mir ein Gedanke. Taddl mochte zwar auf eine gewisse Weise Recht haben, aber er lag auch komplett falsch.

„Warte!" Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und sprintete ihm hinterher.

Eine andere Welt ~ Eine Youtuberfanfiction (Taddl & co.)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt