Kapitel 12

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Als einige Zeit später ein Auto vor mir hielt und hupte, sah ich auf. Ich hatte mir meinen Kopf zwischen die Beinen geklemmt und versucht regelmässig zu atmen. Meine Beine hatten aufgehört zu zittern. Aber die Kopfschmerzen, die Übelkeit und die Schuldgefühle waren geblieben. War ja klar. Meine Haare hatten ihren Knoten schon lange verlassen und waren völlig wirr. Die Tränen hatten aufgeführt zu fliessen, trotzdem war ich froh, dass jemand kam, um mich abzuholen. Ich fühlte mich immer noch schwach.
In jenem Moment, in dem ich aufsah, öffnete jemand die Beifahrertür und Felix kam mit grossen Schritten auf mich zu. „Jules!", er sah ernsthaft besorgt aus, „Weshalb hast du nicht abgenommen?" Mein Handy hatte ununterbrochen geklingelt. Aber das war okay.
Ich zuckte mit den Schultern als Antwort und stand auf. Sofort begann alles zu drehen und Pünktchen begannen vor meinen Augen zu tanzen. Felix fester Griff an meinem Arm half mir, wieder zu fokussieren. „Was ist los?", er klang jetzt echt beunruhigt.
Sein Griff erinnerte mich an einen anderen. Wieder begannen Erinnerungen auf mich einzustürzen. Ich brachte kein Laut über meine Lippen und ich schüttelte stumm den Kopf. Der Kloss in meinem Hals wurde immer grösser und Tränen stiegen mir wieder in die Augen. Ich konnte nichts sagen, also schlang ich einfach meine Arme um seinen Hals und begann zu weinen.
Ich fühlte, wie er sich kurz versteifte, sich dann aber schnell wieder entspannte und begann mir über den Rücken zu streicheln.
Von da an weiss ich nicht mehr viel. Es verschwimmt zu einer Art Fiebertraum. Alles war verschwommen. Irgendwann führte Felix mich zum Wagen und wir stiegen hinten ein. Ich hatte meinen Kopf an seine Schultern gelehnt und den Tränen freien Lauf gelassen. Ich weiss, dass Felix dem Fahrer (wahrscheinlich Izzi? Keine Ahnung mehr) erklärte hatte, er solle einfach mal ein wenig umher fahren. Ich musste eingeschlafen sein. Denn das nächste was ich weiss, ist, wie ich aufwachte.
Das Bett war so bequem und die Decke so weich. Aber es war so heiss. So unglaublich heiss. Ich schreckte hoch und schob eine weiss bezogene Decke, welche nicht meine war, von mir weg. Sofort wurde es ein wenig angenehmer, aber ein pochender Schmerz in meinem Kopf liess mich zusammenzucken und zurück in das Kissen sinken. Es roch angenehm und irgendwie bekannt. Nach Taddl. Wie konnte das sein? Ich versuchte mich Stück für Stück, an dass zu erinnern, was seit dem Feierabend gestern geschehen war. Aber so weit ich wusste, kam Taddl nicht darin vor. Mir war unglaublich übel und alles schien sich zu drehen. Ich spürte die Schuldgefühle tief in mir drin pochen, auch wenn sie nicht mehr so stark waren, wie am Abend zuvor. Ich begann einige Atemübungen, die mir mein Therapeut gezeigt hatte, mir aber gestern unerklärlicher Weise nicht eingefallen waren. Sofort begann ich mich ein wenig zu entspannen. Die Übelkeit und die Kopfschmerzen, sowie die Hitze, blieben aber. Als ich mich wieder gut genug fühlte, um mich auf etwas anderes als die Schuldgefühle zu konzentrieren, sah ich mich in dem Zimmer um. Es war karg eingerichtet. So als wäre das ganze neu und jemand erst gerade eingezogen. Es hatte nicht mehr als ein Bett und einen Schrank. Wo um Himmels Willen war ich? Vorsichtig schwang ich ein Bein über die Bettkante dann das andere. So vorsichtig wie möglich versuchte ich aufzustehen. Sofort verstärkten sich meine Kopfschmerzen und ich musste mich am Bettgestell festklammern, um nicht umzukippen. Wie ich dieses Gefühl hasste. Als ich mich sicher genug fühlte, begann ich auf die einzige Tür im Zimmer zu zugehen. Angekommen, öffnete ich sie leise und stellt mich in den Türrahmen, um meine Umgebung zu mustern. Ich befand mich in einem schmalen Gang. Die Wand war weiss gestrichen und zu beiden Seiten des Ganges zweigten immer wieder Türen ab.
„Wie geht es ihr?" Ich zuckte erschrocken zusammen. Da war jemand im Nebenzimmer! Die Stimme hörte sich sehr nach Felix an. Ich blieb stehen, um zu lauschen.
„Ich weiss es nicht. Als ich das letzte Mal nach ihr gesehen habe, schien sie immer noch ziemlich schlecht zu träumen. Und ihre Haut fühlte sich fiebrig an." Na, wenn das nicht Taddl's Stimme war. Er hatte nach mir gesehen, während ich schlief? Mein Herz machte einen kleinen Satz. Aber fiebrig? Ich hatte doch kein Fieber. Ich befühlte meine Stirn. Sie schien normal heiss zu sein.
„Danke, dass ich sie bei dir schlafen lassen konnte. Ihr habt ja euer Sofabett.", meinte Felix. Sofabett? Mein Bett schien ziemlich normal zu sein. Wahrscheinlich hat Taddl mir seins überlassen, deshalb hatte es auch so nach ihm gerochen.
Ich fuhr mir durch die Haare, um sie ein wenig zu glätten und sah dann an mir hinunter. Ich trug immer noch die selben Jeans und die selbe Kapuzenjacke wie am Abend zuvor. Sie waren ein wenig zerknittert, aber da liess sich nichts machen. Ich atmete tief durch und trat ins Zimmer, aus dem die Stimmen zu kommen schienen. Es war etwas grösser als mein Wohnzimmer und in einer Ecke befand sich ein grosses Sofa, welches jedoch eher ein Bett war. Darin sass Taddl, an die Wand dahinter gelehnt, im Schneidersitz und sah mich überrascht an. Felix sass in einem Sitzsack daneben und streckte sich gerade. Ardy stand, nur in Boxershorts, an einen Türrahmen direkt mir gegenüber gelehnt. Ich konnte nicht anders, als meine Augen kurz über seinen Körper wandern zu lassen. Er sah echt nicht schlecht aus. Taddl trug ein lockeres T-Shirt, aber was er unten trug konnte ich nicht sehen. Er hatte eine Decke bis zur Hüfte gezogen. Felix trug Jeans und ein T-Shirt. Alle drei sahen mich an, als wäre ich ein Gespenst.
„Jules! Du bist nicht in der Verfassung, um aufzustehen.", brachte Felix schliesslich als erstes hinaus. „Du schienst gestern ziemlich hohes Fieber zu haben."
„Mir geht es super!", wiedersprach ich und wollte schon eine Pirouette drehen, als sich mein Schwindelgefühl wieder meldete und ich nur einen leicht schwankenden Schritt zu Stande brachte.
„Dir geht es nicht super.", erklärte Ardy und tönte dabei ziemlich entschieden. Er kam zu mir hinüber und schob mich, leicht an den Schultern packend, durch den Gang in (wahrscheinlich) Taddls Zimmer zurück. Es war mir zu anstrengend zu protestieren, weshalb ich mich einfach auf das Bett setzte und dabei leicht das Gesicht verzog, weil sich meine Kopfschmerzen wieder meldeten.
„Siehst du!", meinte Ardy triumphierend. „Also, mal im Ernst, wie geht es dir?"
Ich wollte schon super sagen, aber irgendetwas hinderte mich daran. „Ich habe Kopfschmerzen und mir ist übel.", gab ich kleinlaut zu und machte eine Grimasse. Niemand gab gern Schwächen zu.
Doch Ardy lächelte und es wirkte warm und echt. „Hast du Hunger?"
Ich schüttelte den Kopf. Ans Essen konnte ich jetzt echt nicht denken. „Du hast eine typische Grippe.", diagnostizierte er, „Ruh dich aus, schlaf noch ein bisschen. Ich bring dir einen Tee."
Ein „Ja, Doktor." lag mir auf den Lippen, aber ich liess es. Ardy verschwand und ich sass alleine auf einem Bett, das einem praktisch Fremden gehörte. Weshalb liessen sie mich einfach bei sich? Jeder andere hätte mich doch jetzt einfach nach Hause gebracht. Aber es machte mir nichts aus. Zu Hause würde ich wieder alleine sein. Alleine mit meinen Büchern. Klar, dass konnte manchmal ganz schön sein, aber es war genauso schön, umsorgt zu werden. Dann spürt man, dass man etwas wert ist.
Aber war ich es wirklich wert? Von einen Moment auf den anderen waren die Schuldgefühle zurück. Ich begann meine Schläfen zu massieren. Doch sie gingen nicht weg. Sie waren wie festgeklebt in meinem Gehirn.
Ich bemerkte Taddl erst, als er direkt vor mir stand. Er ging vor mir in die Knie und sah mir in die Augen. Seine waren so wunderbar blau. „Willst du ein Aspirin?", seine tiefe Stimme lies mich schaudern. Aber es war ein angenehmer Schauder.
Ich nickte leicht. „Gerne." Er nickte und stand wieder auf. Dabei fuhr er mir kurz durch die Haare. Er war schon beinahe wieder draussen, als er sich noch einmal umdrehte. „Willst du was anderes anziehen?" Ich zuckte mit den Schultern. Ich würde schon gerne, was anderes anziehen, aber es kam mir ein wenig frech vor, einfach zu bejahen. „Felix?", rief Taddl in die Küche, „Hast du bei dir oben noch ein Aspirin?" Ich verzog das Gesicht. Das war so laut. Es klingelte in meinen Ohren. Felix Antwort konnte ich nur knapp als „ja" identifizieren. „Kannst du es Jules schnell holen?", fragte Taddl immer noch halb schreiend. Auf jeden Fall kam es mir so vor.
Während Taddl um das Bett herum ging, um zum Schrank zu gelangen, zog ich die Füsse hoch und setzte mich in den Schneidersitz. Er wühlte im Schrank umher, fischte eine Boxershorts und ein T-Shirt heraus und warf sie mir zu. „Ich geh dann schnell raus.", sagte er und zwinkerte mir zu.
So schnell ich konnte, schlüpfte ich in seine Klamotten. Jede Bewegung schien eine Anstrengung zu sein und bei jeder Bewegung stach es einmal in meinem Kopf. Meine eigenen Kleider faltete ich zusammen und legte sie neben das Bett. In den kurzen Klamotten begann ich zu frieren, also wickelte ich mich in die Decke ein. Ich konnte nicht anders. Ich musste einfach einmal tief einatmen und seinen Geruch in mir einsaugen. Es roch so gut.
Ein Klopfen an der Tür liess mich zusammenzucken. „Nur herein.", sagte ich und sofort ging die Türe auf. Ardy kam mit einem Tablett hinein. Darauf befand sich eine dampfende Tasse und ein Glas Wasser, so wie ein Toastbrot. Er stellte das Tablett neben das Bett und machte Anstalten wieder zu gehen.
„Geh nicht.", die Wörter waren mir hinausgerutscht, bevor ich näher über sie nachdenken konnte. Er sah mich überrascht an und ich hatte sofort das Gefühl, mich verteidigen zu müssen. „Ich bin nicht müde. Bleib. Sonst wird mir nur langweilig."
Er lächelte und setzte sich ans Ende des Bettes. „Willst du nicht deinen Tee trinken?", machte er mich auf das Tablett aufmerksam und durchbrach somit die leicht peinliche Stille, die zwischen uns geherrscht hatte. Ich schreckte ein wenig hoch und bückte mich nach dem Tee, was mir ein Aufstöhnen entlockte. Sich bücken mit Kopfschmerzen war einfach die Hölle.
„Danke.", meinte ich, nachdem ich den ersten Schluck genommen hatte. Orangenblütentee. Den hatte meine Oma immer für mich gemacht. „Für alles.", fügte ich hinzu, „Auch dass ich hier übernachten durfte."
„Kein Problem.", Ardy und ich zuckten zusammen, als wir Taddl's Stimme hörten. Er stand im Türrahmen und grinste uns an. In der Hand hielt er zwei dampfende Tassen, die verdächtig nach demselben Tee rochen. Die eine hielt er Ardy hin, von der anderen nahm er selbst einen Schluck. Ardy nahm sie dankend an und rutschte automatisch zur Seite, so das Taddl sich neben ihn setzen konnte. Taddl lächelte und liess sich fallen. Im selben Moment klingelte es. Taddl und Ardy blieben seelenruhig sitzen. „Wollt ihr denn nicht aufmachen?", fragte ich leicht verwirrt. Ardy sah daraufhin Taddl an und die beiden grinsten. „Das ist Felix. Nach dem dritten Mal klingeln, kommt er sowieso einfach rein.", erklärte mir Taddl. In den nächsten Minuten sagten wir nichts und lauschten. Ein zweites Mal klingelte es. Beim dritten Mal konnte man die Tür knarren hören. Ich kicherte. „ihr kennt einander ziemlich gut, hmm?" „Ziemlich ist noch untertrieben.", stellte Ardy fest und ich hatte das Gefühl, einen angespannten Unterton hinaus hören zu können. Aber vielleicht war das auch nur Einbildung, denn als Felix den Raum betrat, zwinkerte Ardy ihm zu. „Na, Süsse, willst du nicht bei unserem Kaffeekränzchen dabei sein?" Ardy hatte seine Stimme verstellt und seinen kleinen Finger dabei von der Tasse weggespreizt. Eine echte englische Lady eben. Felix lachte auf. „Klar. Ich mach mir nur kurz Kaffee."

Eine andere Welt ~ Eine Youtuberfanfiction (Taddl & co.)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt