Kapitel 25

3.9K 207 2
                                    

Während ich also auf die Geräusche zu lief, fiel mir ein, dass ich, trotz meiner neuen Vlogging-Kamera, noch nichts aufgenommen hatte. Ich zog also meine Kamera aus der Hosentasche, hielt sie mir vors Gesicht und (mit einem Seitenblick auf mein Aussehen, einem Seufzer und einem Augenverdrehen) drückte ich den Aufnahmeknopf. „Na, meine Lieben? Ratet mal, wo ich gerade bin! Genau. Der Videoday." Schlenker der Kamera durch die Umgebung. „Ich komme gerade von der Bühne. Hier folgen jetzt wahrscheinlich Aufnahmen von Taddl oder Ardy, da ich es natürlich vergessen habe aufzunehmen. Aber glaubt mir, wenn ich sage, dass es unglaublich war. Und so wie es aussieht, waren dass nicht einmal alle! Es ist ja erst Nachmittag und es hat auch hier auf dem Gelände noch Aktivitäten. Wie auch immer. Da vorne ist irgendetwas los und dahin nehme ich euch jetzt mal mit." Schon im Reden hatte ich zu laufen begonnen. Mit jedem Schritt wurde der Lärm lauter. Ich filmte kurz meine Füsse, dann die Umgebung und dann drehte ich sie wieder zu meinem Gesicht. „Was läuft denn da? Warum rasten alle so aus?"
In diesem Moment konnte ich erkennen, wer da am Geländer gelehnt stand. Wer alle Fans, die die Treppen und unteren Stockwerke belagerten, zum Ausrasten brachte. Ich verdrehte kurz die Augen in Richtung Kamera und drehte diese dann in ihre Richtung. „Es ist Apecrime. Weshalb überrascht mich das jetzt nicht?" Cengiz stand, Faxen schneidend, neben seiner Freundin. „Seht ihr die beiden?", fragte ich die Kamera, „Wie süss sind die denn bitte?" Ich schwenkte wieder auf die beiden. Es stimmte. Wenn sie sich ansahen, konnte man die Funken beinahe sprühen sehen.
Andre und Jan standen neben einander und winkten breit grinsend zur Masse hinunter. Ich kannte die drei jetzt schon eine Weile. Sie hatten mit zu den ersten gehört, die ich kennen gelernt hatte. Und ich mochte sie alle mit ihren so unglaublich unterschiedlichen Charaktereigenschaften. In diesem Moment entdeckte Andre mich. Er lächelte und kam auf mich zu. „Jetzt kommt Andre!", kommentierte ich. Als ob sie das nicht selber sehen würden.
„Na hallo, Jules." Er gab mir ein High Five. Eine Umarmung wäre mit der Kamera auch ziemlich kompliziert geworden. „Na hallo?", hackte ich nach, „was ist das für eine Begrüssung?" Er zuckte mit den Schultern. „Lass die Kamera an.", fügte er hinzu, als er sah, dass ich sie ausmachen wollte. Fordernd streckte er die Hand aus. Was hatte er vor? Mit einem fragenden Blick reichte ich sie ihm und er drehte sie so, dass man ihn sah.
„Ich werde Jules jetzt etwas zeigen." Dann drehte er die Kamera wieder und filmte meinen verwirrten Gesichtsausdruck. „Du bleibst schön, wo du bist." Seine Stimme hatte einen befehlsartigen Ton angenommen und ich musste mir ein Grinsen verkneifen. Er drehte sich um und ging zum Geländer hinüber. Dabei sagte er irgendetwas in die Kamera, dass ich nicht verstand. Als er das Geländer erreichte, ging eine Welle von Gekreische los. Jetzt konnte ich das Grinsen nicht mehr zurück halten. Apecrime kannte halt wirklich jeder. Okay, das stimmte nicht ganz. Ich hatte sie vor Taddl schliesslich auch nicht gekannt. Vor Taddl. Das klang nur schon in Gedanken komisch. Als hätte durch ihn eine neue Ära angefangen. Aber für mich war das ja tatsächlich so.

Jan hatte mich unterdessen auch gesehen und kurz die Hand gehoben, aber Andre begann genau in diesem Moment mit ihm zu sprechen. Jan nickte zu Andres Worten in meine Kamera. Was war da los? Beide drehten sich zu den Fans um. Aus meiner Perspektive konnte ich nicht sehen, wieviele es waren und sie konnten mich wahrscheinlich auch nicht sehen. Weshalb musste ich stehen bleiben? Nervös begann ich von einem Bein aufs andere zu treten. Ich hasste es, in Geheimnisse nicht eingeweiht zu sein. Meine Neugier war mir schon öfters zum Problem geworden.
„Okay! Kannst kommen!", rief Andre nach hinten. Etwas vorsichtig ging ich auf das Geländer zu. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht hatte Andre die Kamera auf mein Gesicht gerichtet. Ich warf ihm einen weiteren fragenden Blick zu und erreichte das Geländer. Was ich aber nicht bedacht hatte, war, dass ich somit ins Sichtfeld der Fans rückte. Ein Jubel ging los. Automatisch sah ich mich um. Weshalb wurde gejubelt? Erst als ich meinen Namen aus den Schreien heraushörte, ging mir ein Licht auf. Sie jubelten meinetwegen. Sie feierten mich. Mein Mund klappte auf und meine Augen schienen mir aus dem Kopf fallen zu wollen, als ich auf die Masse hinunter starrte. Es waren viel weniger als auf der Bühne. Sie gehörten wahrscheinlich zu jenen, die Sitzplätze hatten und die Zeit bis zur grossen Show noch draussen nutzen wollten oder die Autogrammstunden besuchten. Aber obwohl es weniger Menschen waren, traf es mich beinahe doppelt so stark wie zuvor. Alles verschwamm und meine Beine zitterten. Sie feierten mich. Wirklich mich. Nicht Taddl oder sonst wen. Dieser Gedanke war gleichzeitig unglaublich faszinierend und Angst einjagend. Verdammt grosse Angst. Und im Gegensatz zu auf der Bühne vorhin, war Taddl nicht da, um mich zu beruhigen. Ich war mir nicht sicher, ob ich bereit war. Bereit für dieses Leben. Bereit so in der Öffentlichkeit zu stehen.
Andre's Lachen liess mich aus meinen Gedanken auftauchen. Er lachte ganz offensichtlich über meinen überraschten Gesichtsausdruck. Und er hatte Recht. Er hatte so Recht, obwohl er nichts gesagt hatte. Ich hatte längst entschieden. Es brachte nichts darüber nachzudenken. Denn an diesem Tag, als ich mit Taddl und Dominik in jenem Strassencafé sass, hatte ich entschieden. Jetzt musste ich damit zurecht kommen. Ausserdem, weshalb machte ich mir diese Gedanken gerade jetzt? Es war toll, nicht beängstigend. Dieser Moment. Ich sollte ihn geniessen.
Ich atmete einmal tief durch und schüttelte alle Zweifel ab. Als ich die Augen nach einmal Zwinkern wieder öffnete, sah ich alles anders. Es fühlte sich an, wie in einem Traum. Als ich meine Hand, die ich vor Überraschung auf meinen Mund gepresst hatte, senkte, hatte sich ein breites Lächeln auf mein Gesicht gelegt. Mein Körper hatte auf meinen Gefühlswechsel reagiert und Adrenalin floss durch meinen Körpern. Alles kribbelte und ich fühlte mich, als könnte ich es mit der Welt aufnehmen.
„Krass, nicht wahr?", meinte Jan und stellte sich hinter mich.
Ich nickte. „Stell dir die Arena nachher vor, wenn alle 15'000 versammelt sind."
Jan stiess angespannt Luft aus. „Ich weiss. Wir müssen da auftreten."
Ich lächelte ihm über die Schultern zu. „Das schafft ihr locker." Und ich meinte es so. Schliesslich waren sie Profis in diesem Zusammenhang.
„Klar, schaffen wir das!", meldete sich Cengiz, der mit seiner Freundin, von mir unbemerkt, zu uns hinübergeschlendert war. „Hallo Jules. Schön dich zu sehen." „Gleichfalls.", gab ich zurück und lächelte ihn an. „Wie war's auf der Bühne vorhin? Ich hab euch von der Tribüne her beobachtet." Seine Frage klang ehrlich und ich konnte nichts Böses darin erkennen. Er hatte also noch nichts von meiner kleinen Eskalation danach gehört. „Unglaublich. Ich... kann es einfach immer noch nicht fassen. Es ging so schnell.", antwortete ich schliesslich wahrheitsgetreu. Cengiz nickte verständnisvoll und Sara lächelte mich an. „Mir geht es auch so. Und ich habe nicht einmal einen eigenen Youtube-Kanal." „Ist es bei dir auch so krass?", fragte ich nach und legte meinen Kopf schräg. Dieser Gedanke war interessant. Wie es wohl gewesen wäre, wenn ich nicht selbst begonnen hätte Youtube zu machen. Sofort überschlugen sich die Gedanken in meinem Kopf und ich bekam Saras Antwort überhaupt nicht mehr mit.

Eine andere Welt ~ Eine Youtuberfanfiction (Taddl & co.)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt