„Na dann, alle mal aufstellen und ein paar Runden im Kreis laufen", befiehlt uns Daniel und wir alle setzen uns langsam in Bewegung. Ich halte mich eher im Hintergrund, weswegen ich extra ganz Hinten laufe. An der Spitze kann ich Josh in seinen schwarzen knielangen Shorts erkennen. Er wirkt sehr diszipliniert und trainiert, zudem scheint er auch eher einer der ruhigeren Zeitgenossen von den ganzen Jungs zu sein.
Wenn ich mir im Gegensatz zu Josh Kalvin anschaue, wie er immer ein überdimensionales Grinsen im Gesicht trägt und wie ein Flummi auf und ab springt, ist er echt die Unschuld in Person.
Kalvin wirkt auf mich wie ein typischer Macho. Ganz genau so wie er im Buche steht. Allerdings auf eine positive und überhaupt nicht aufdringliche Art und Weise. Er hat eine so freundschaftliche Ausstrahlung, dass man ihm seine blöden Kommentare nicht wirklich übel nehmen kann und sie nur mit einem Augenrollen quittiert.
„Jetzt die Beine bis zum Bauch hochziehen", hallt Daniels poröse Stimme durch die Halle. Er steht am Rand und beobachtet uns mit Adleraugen, dass ja jeder seinen Anweisungen Folge leistet.
Daniel kenne ich jetzt schon einige Jahre und ich kann sagen, dass man sich ihm besser nicht widersetzt. Zudem wird man in seinem Training bis an seine Grenzen getrieben, oder auch weit darüber hinaus. Er erwartet nicht Hundertprozentig, sondern Tausendprozent. Aber genau das macht ihn zu einem der besten Trainer, denen ich bis jetzt begegnet bin!
Mit immer wieder angezogenen Beinen tapse ich Runde um Runde durch die große Halle. Genauso wie Percey vor mir, mit seinen extrem muskulösen Waden, die mich echt einschüchtern. Sie sind so groß und prall, dass ich der Meinung bin, ein Tritt genügt, um mit Leichtigkeit Knochen brechen zu lassen. Er ist der einzige Dunkelhäutige unter den Jungs, was mich ehrlich gesagt wundert. Denn im Blade's habe ich schon einige Afroamerikaner ein und aus gehen sehen, aber nie mit diesen sechs Jungs. Percey hat diese typischen kleinen Löckchen. Sie sind trotz seines Kurzhaarschnitts sichtbar. Ich liebe solche Locken und würde am liebsten meine Hände in seine tiefschwarzen Haare vergraben. Vielleicht sogar mal daran ziehen, um zu gucken, wie lang seine Haare wirklich sind.
Alexander folgt Percey mit einer Leichtigkeit, um die ich ihn beneide. Diese Übungen machen ihm überhaupt nichts aus. Der Schweiß steht ihm noch nicht einmal ansatzweise im Gesicht.
Beim näheren Betrachten würde ich ihn eigentlich eher wie einen typischen Surferboy beschreiben und nicht wie einen Boxer. Mit seiner braun gebrannten Haut und seinen wasserstoffblondem Haar, welches sehr in Kontrast zueinander steht. Wenn er lacht, kommen seine perfekten weißen Zähne zur Geltung. Ob er schonmal das Gesicht einer Zahnpastawerbung war, frage ich mich sogleich? Schmunzelnd schiebe ich diesen Gedanken schnell wieder beiseite.
„Jetzt einmal umgekehrt, ich möchte das ihr mit den Fersen euer Gesäß berührt, während ihr zügig lauft." Wir kommen alle der Aufforderung von Daniel nach und verpassen uns selbst Arschtritte, im wahrsten Sinne des Wortes. Dies scheint auch den Jungs klar geworden zu sein, denn es bricht leichtes Gelächter in der Trainingshalle aus. Aus der Ferne kann ich Noah und Mason erkennen, wie sie sich etwas zurufen und schmunzeln. Die beiden laufen nebeneinander her und schenken sich nichts. Sie scheinen sich gegenseitig immer hoch zu pushen, in der Hoffnung der Bessere zu sein. Dabei ist Mason Noah körperlich überlegen, allerdings möchte ich da noch nicht voreilig sein, denn der Schein kann trügen. Muskeln sind nicht immer alles. Schnelligkeit und Taktik spielen auch eine sehr große Rolle beim Boxen.
Wie mir auch auffällt sind die Zwei immer zusammen. Ob in der Umkleidekabine letztens oder auf dem Campus, sie stehen meist nebeneinander oder unmittelbar in der Nähe des Anderen. Ich schätze, die Beiden verbindet eine noch tiefere Freundschaft als schon mit dem Rest der Bande.
Ein wirklich sehr unterschiedlicher Haufen, stelle ich fest. Aber genau das macht sie aus. Sie ergänzen sich und es scheint auch für jeden Geschmack etwas dabei zu sein.
Ich bin sehr gespannt, alle mal Live und in Aktion zu sehen, ob sie auch beim Boxen so unterschiedlich sind? Wenn dem so ist, dann werde ich noch eine Menge von ihnen lernen können.
„Gut, jetzt holt ihr euch Springseile und hüpft noch 10 Minuten in einem angemessenen Tempo."
Die Jungs bewegen sich alle auf eine schwarze Kiste zu, die weiter abseits in der Halle steht. Anscheinend liegen dort die Springseile drin, weswegen ich ihnen unauffällig folge.
Kalvin zieht einige gelbe Springseile aus der schwarzen Kiste heraus und verteilt sie. Auch mir drückt er eins in die Hand und zwinkert mir mit seinem typischen Macho-Grinsen zu. Sogleich rolle ich mit meinen Augen, aber kann mir ein leichtes Lächeln nicht verkneifen. Er ist halt einfach ein sympathischer Macho. Einer von denen, die man gern haben muss.
Wir stellen uns alle mit großzügigen Abstand zueinander in der Halle auf. Ab jetzt ist es sehr still um mich herum, ich kann nur das Surren von unseren Springseilen hören und den Aufprall unserer Sohlen auf dem harten Boden nach jedem Sprung. Wir alle springen locker und lässig vor uns her. Niemand springt schneller oder langsamer, alle im Einklang zueinander. Wie eine Einheit.
Am liebsten wärme ich mich mit Laufen oder Seilspringen auf, da ist es heute schonmal der perfekte Anfang für mich gewesen. Mich entspannt das im Rhythmus bewegende Auf und Ab. Zudem kann man sich selber schnell an seine Grenzen bringen und genau das habe ich jetzt vor. Mal sehen ob einer der Jungs mitzieht und wir uns ein Duell liefern. In Mancos haben wir das oft getan und ich war sehr gut darin. Ein teuflisches Grinsen huscht über mein Gesicht, während ich darüber nachdenke.
Die Enden meines Seiles fasse ich straffer und fester in meinen Händen und beginne erst einmal damit mein Tempo zu steigern. Nun ertönt der Aufprall meines Körpers auf dem Boden doppelt so oft, wie der der Jungs. Was Josh rechts neben mir bemerkt und ein schelmisches Lachen erscheint auf seinem sonst so konzentriertem Gesicht. Er schaut zu mir rüber und dreht sich im Sprung so, dass wir uns nun gegenüber stehen. Dennoch mit genügend Abstand zueinander, damit die Seile sich nicht ineinander verheddern.
Gespannt darauf wer dieses Duell gewinnen wird erhöhe ich noch einmal mein Tempo. Josh legt sogleich nach und springt nun so, dass die Füße sich bei jeder Drehung des Seils mit dem Aufprall auf den Boden abwechseln. Rechts, links, rechts, links, rechts ...
Die anderen Jungs haben sich nun alle in unsere Richtung gedreht, springen dennoch genüsslich im normalen Tempo weiter. Daniel ist gerade nicht da, also die perfekte Gelegenheit für Josh und mich.
Mein Atem ist noch sehr ruhig, was mir nur willkommen ist, denn so habe ich dem Jungen vor mir schon etwas voraus.
„Jetzt gib mal Gas, Josh, oder willst du gegen ein Mädchen verlieren?", höre ich die Jungs spotten. Aber es ist kein böser Spott mir gegenüber, eher ein Aufziehen von Josh. Dieser spannt sich sogleich an und legt noch einen Zahn zu. Der Schweiß steht ihm auf der Stirn und seine Brust hebt und senkt sich immer schneller. Wenn man ihm eins lassen muss, dann, dass er wirklich ehrgeizig ist.
Mein Puls fängt langsam aber sicher auch an zu rasen, die Luft wird knapp und dennoch beschleunige ich mein Tempo ein weiteres Mal. Aufgeben kommt für mich nicht infrage, geschweigedenn kampflos verlieren!
Josh scheint zu bemerken, dass ich mich nicht so leicht geschlagen gebe. Er ist sichtlich außer Atem und mit einem leichten Schweißfilm bedeckt, genauso wie ich, aber wir wir hüpfen wie wild geworden immer weiter.
„Na komm schon Kleines, gleich hast du ihn", höre ich Noah. Mein Lächeln wird immer breiter, da auch ich jetzt begreife, dass Josh es nicht mehr lange durchhalten wird.
Mein eiserner Blick bohrt sich in Josh's karamellisierten Augen. Seine Stirn trieft so langsam vor Schweiß und seine Wangen haben Feuer gefangen, so errötet sind sie von der Anstrengung. Selber dürfte ich auch nicht viel besser aussehen und hoffe so langsam, dass Josh aufgeben wird.
Das Gejohle und Gejubel der Jungs wird immer lauter, so dass Daniel sich wieder blicken lässt, um nachzusehen was hier vorgeht. Er stellt sich an den Rand und sagt nichts dazu, er beobachtet uns einfach nur.
„Oh Fuck!", stöhnt Josh plötzlich laut auf. Er hört auf zu springen, und somit habe ich das Duell für mich entschieden.
Seine Hände stützt er auf seinen Knien ab, lässt den Kopf nach unten hängen und versucht nach Luft zu schnappen.
Das war mein Stichwort um noch einen Doppelsprung hinzulegen und auch endlich aufhören zu können. Direkt ertönen Pfiffe und die Jungs schauen anerkennend in meine Richtung.
Mensch, so aus der Puste war ich schon lange nicht mehr. Meine Lunge brennt so doll, dass man meinen könnte, sie explodiert bei jedem weiteren Atemzug. Mein Brustkorb hebt und senkt sich im Sekundentakt. Auch ich stütze mich nun mit meinen Ellenbogen auf den Oberschenkeln ab und lasse meinen Kopf nach unten hängen in der Hoffnung, auf diesem Weg mehr Luft inhalieren zu können. Den Schweiß wische ich mir mit meinem Arm von der Stirn und schaue wieder langsam auf.
Immer noch schwer atmend schaue ich zu Josh herüber, der sich hingesetzt hat und etwas trinkt. Als unsere Blicke sich treffen nickt er anerkennend in meine Richtung. Diese Geste lässt mich innerlich vor Freude ausrasten. Bei ihm habe ich mir schonmal Respekt verdient. Fehlen nur noch Fünf, witzele ich mit mir selber herum.
„Das ist sie, meine Geheimwaffe. Schaut sie euch ganz genau an und macht ja nicht den Fehler und unterschätzt sie. Denn was ihr alle langsam begreifen müsst, ist nicht, dass die Größe oder gar die Muskeln ausschlaggebend sind. Nein! Es ist die Technik und vor allem die Einstellung, der Wille und die Zielstrebigkeit. Es sind viele Faktoren nötig um erfolgreich zu sein", ruft Daniel plötzlich laut in die Halle. Mit langsamen Schritten kommt er auf mich zu, weswegen die Jungs mich nun auch etwas neugieriger mustern. Irgendwie ist es mir unangenehm das er mich seine 'Geheimwaffe' nennt. Geheimwaffe wofür? Zum schön in der Ecke stehen und Däumchen drehen?
Denn kämpfen werde ich bestimmt nicht mehr!
Immer noch außer Atem lasse ich mich auch auf den Boden sinken und setze mich in einen Schneidersitz. Meine Lunge brennt nicht mehr bei jedem Atemzug und der Schweiß ist verflogen. Es bleibt nur noch der kalte Schweiß an meinem Rücken zurück und das ist kein schönes Gefühl, aber immerhin erträglicher als die explodierende Lunge. Leicht klopft Daniel mir auf meine Schulter, als er neben mir zum Stehen kommt.
„Ihr fragt euch sicher, woher wir uns kennen?" Daniel lässt seinen Blick über die Jungs gleiten und schaut mich im Anschluss undurchdringlich an.
Er wird doch wohl nichts ausplaudern, oder noch schlimmer, von Jayden anfangen, schießt es mir fragend durch den Kopf? Auf der Stelle verkrampfen meine Muskeln und ich halte die Luft an. Er darf jetzt bitte nicht alles zerstören, nicht, wo es doch gerade erst angefangen hat. Unbehagen breitet sich in mir aus, weswegen ich meinen Kopf senke. Innerlich bereite ich mich schon auf die negative Stimmung vor.
„In Colorado gehörten wir demselben Boxclub an. Allerdings bin ich leider nie in den Genuss gekommen, sie zu trainieren, was sich ja jetzt endlich ändern wird. Unsere Wege trennten sich, da ich mein eigenes Geschäft hier aufgebaut habe und lustigerweise treffen wir nun wieder aufeinander, weil Ava hier studiert. Wenn dann nun alle Ungereimtheiten geklärt wären, können wir jetzt anfangen, ein paar Techniken zu üben, und denkt über meine Worte nach! Auch jemand, der Unscheinbar ist, kann ein großer Gegner sein!" Damit beendet Daniel seine Ansprache und ich kann wieder erleichtert aufatmen. Er hat nichts verraten, aber dennoch wundere ich mich darüber, dass er erzählt hat, woher wir uns kennen. Mich interessiert ja auch nicht die Lebensgeschichte der Anderen.Die Jungs wissen genau, was sie zu tun haben und laufen auf verschiedenen Geräte zu. Mason, Noah und Josh stellen sich an die Boxbirnen, während Kalvin und Percey sich dem großen Ring in der Mitte nähern. Alle haben ihre Boxhandschuhe dabei.
Bleiben nur noch Alexander und ich übrig. Er verbindet sich gerade seine Hände während er zu den Sandsäcken herüber läuft. Diese Gunst der Stunde nutze ich, weshalb ich auf Daniel zugehe, der immer noch neben mir steht. Er scheint zu erahnen, warum ich auf ihn zukomme und schaut mich abwartend an.
„Daniel, sag mal, warum hast du den Jungs erzähl woher wir uns kennen? Das ist doch eher uninteressant", frage ich sehr neugierig nach.
„Weißt du Ava, einige Jungs hier waren sichtlich verwirrt darüber, dass wir uns schon länger kennen. Damit sie nicht anfangen herumzuschnüffeln habe ich ihnen halt etwas Futter gegeben. Denn wenn du es genau nimmst bräuchten sie dich nur zu Googeln, um zu wissen was in Mancos war", fasst er sachlich zusammen. Überrascht stelle ich fest, dass er Recht hat!
Um ehrlich zu sein, ist es eine nette Geste von Daniel. Es könnte ihm ja eigentlich total egal sein, was die Jungs denken und worüber sie sich informieren könnten. Aber er hat sich Gedanken über diese ganze Sache gemacht, beziehungsweise Gedanken über mich gemacht. Diese Erkenntnis lässt mein Herz höher schlagen und Daniel hat sich damit definitiv noch mehr Pluspunkte bei mir verdient.
Es mag sein, dass Daniel den Anschein eines alten verbitterten Trainiers erweckt, aber das ist er ganz und garnicht. Eher ein stiller Beobachter, der öfters etwas grummelig ist. Dennoch ist er ein liebenswerter Mensch, allein diese Geste hier beweist es mir.
Viele Trainer interessieren sich nur für dein Talent und dafür, sich einen Namen zu machen. Sie wollen durch uns Boxer erfolgreich werden.
Egal zu welchem Preis.
Egal, wer dabei auf der Strecke bleibt.
Wenn es nötig ist lassen, sie jemanden wie eine heiße Kartoffel fallen, bei dem sie eigentlich davon ausgegangen sind, eine große Nummer im Business zu werden. Ja, genau das ist mir vor einem Jahr passiert.Überarbeitet am 29.07.2019
Hallo ihr Lieben,
heute mal endlich wieder ein neues Kapitel. Ich hoffe wie immer, dass es euch gefallen hat.
Wie findet ihr die Länge des Kapitels? Soll ich sie jetzt immer so lang machen? Bin gespannt auf eure Meinungen.
Bis zum nächsten mal, meine Lieben❤️
Eure eljomucona
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Angel Kiss (Beendet)
Romance"Ich gebe nicht auf, niemals. Wenn es sein muss, dann kämpfe ich bis zum bitteren Ende und notfalls noch weiter." Ava Sawyers große Leidenschaft ist das Boxen. Im Boxverein eines alten Bekannten möchte sie von vorn beginnen, einen Neustart wagen, d...