Die absolute Stille, die zwischen uns allen herrscht, wird von einer sehr akzentuierten Stimme unterbrochen.
Vitali.
Er unterhält sich mit einem weiteren Mann, der so aussieht, als könne er sein leiblicher Vater sein.
Ob der Unbekannte das wirklich ist? Der Erzeuger eines... Eines Monsters? Eines Widerlings? Vielleicht war der Mann mittleren Alters selber so ein furchtbarer Mensch, dass seine Söhne gar nicht anders hätten werden können? Oder aber er wusste nichts von diesen schrecklichen Dingen, die seine Jungs am Abend mit hilflosen Mädchen anstellten.
Alles Dinge, die in Sekundenschnelle durch meinen Kopf jagen, während sich meine Nackenhaare vor Ekel senkrecht aufstellen.
Allerdings werden meine voreiligen Schlüsse schnell zunichte gemacht, als er sich mit Nikita Galanow vorstellt, was bedeutet, dass er der Eigentümer des Boxclubs ist und nicht der Vermehrer solchen Übels.
„Wen haben wir denn da? Fast die ganze Truppe vom alten Daniel Blade." Es schwingt so viel Abscheu in der tiefen Stimme von Galanow mit, dass es mich fröstelt.
Mit seinen stechend grauen Augen lässt er seinen abschätzigen Blick über jeden einzelnen meiner Jungs gleiten, nur nicht über mich. Scheinbar bin ich viel zu unbedeutend für ihn als, dass er mir nur einen einzigen Augenaufschlag schenken kann. Einer von der Sorte Mann, der einer Frau nichts zutraut, stelle ich fest.
„Sie boxen neuerdings auch mit kleinen Mädchen. Endlich merken sie, dass sie gegen richtige Männer nicht ankommen." Süffisant schaut Vitali mit belustigter Mine zwischen mir und seinem Trainer hin und her. Was Diesem wiederum die Augenbrauen in die Höhe schießen lässt.
„Wirklich?", fragt er mit seinem russischen Akzent erstaunt nach.
Jetzt bin ich doch interessant genug, denn sein stechender Blick durchbohrt mich unangenehm.
„Nicht so ganz. Es ist richtig, dass ich boxe, aber nicht gegen die Jungs. Sie wissen wenigstens, wie man mit einer Frau umzugehen hat", zische ich wütend zu Vitali.
Einen ganz kurzen Moment huscht Unsicherheit über sein kantiges Gesicht, was mich innerlich mehr als erfreut. Immerhin hat er meinen Wink mit dem Zaunpfahl erkannt. Er hat verstanden, dass ich über ihn Bescheid weiß und das soll er auch.
Solche Individuen wie er haben von mir nicht mehr wie Verachtung verdient, weswegen ich mein Gesicht angeekelt verziehe, um den Ganzen noch mehr Ausdruck zu verleihen.
Die Jungs sind alle mucksmäuschenstill und beobachten die Unterhaltung aus Argusaugen.
Der blauäugige Zwilling tritt näher an mich heran, sogar so dicht, dass er in meine persönliche Komfortzone eindringt, was mir nicht behagt. Aber ich bleibe tapfer und blicke immer noch stur zu ihm herauf, um mir ja kein Stück meiner Unruhe anmerken zu lassen.
Er ist mit seinen 1,90 Metern bestimmt drei Köpfe größer als ich und könnte mich mit Leichtigkeit wie eine Ameise unter seinen riesigen Füßen begraben. Dennoch lasse ich mich nicht von ihm einschüchtern! Der Zug ist damals mit Jayden zusammen abgefahren.
Mit Schwung schießt sein Kopf zu mit herunter und umhüllt mich mit seinem penetranten Parfüm, weswegen ich meine Nase rümpfe.
Vitali schaut mir hinterhältig ins Gesicht, weshalb ich mich frage, was er vor hat. Seine Nasenspitze berührt fast meine Eigene, was mich total anwidert.
Er ist mir viel zu nah, aber wenn ich jetzt zurückweiche, wird er es als Sieg für sich deklarieren, und das gönne ich ihm auf keinen Fall!
Eigentlich total kindisch, ich weiß, aber der Gedanke an Delia und Mason lässt mich immer mehr die Muskeln anspannen.
All die schlimmen Dinge, die er und sein großer Bruder Delia in dieser einen Nacht angetan haben, will ich mir gar nicht ausmalen. Was für eine Angst, Schmerz und Scham sie gehabt haben muss, zerreißt mir mein Innerstes, aus diesem Grund muss ich meine Hände zu Fäusten balle.
Wütend blicke ich ihm in seine kalten Augen, bis er sich noch ein Stückchen dichter zu mir beugt. Genau neben meinem Ohr macht er halt und lässt mich erstarren.
„Das weiß ich auch." Sein Blick schweift süffisant zu den Jungs hinter mir und sein Grinsen wird breiter. Das kann ich spüren, weil er während dessen mit seiner Wange meine berührt. Ekelhaft!
„Frag deinen Freund."
Mein Herzschlag setzt für einen Augenblick aus. Wie betäubt versuche ich zu begreifen, was er da gerade von sich gegeben und somit indirekt zugegeben hat.
„Du verdammter Wichser!", brüllt plötzlich hinter mir Kalvin aufgebracht.
Der sonst so fröhliche Junge stürmt schützend vor mich und schubst Vitali an der Brust kräftig nach hinten. Dieser federt den Angriff von Kelvin mit Leichtigkeit ab, weshalb er nichts weiter als einen erneuten missbilligenden Blick für ihn übrig hat.
Überrascht von den Gefühlsausbruch des Boxer's vor mir kann ich es dennoch nachvollziehen. Mason ist sein Freund und selbst mir tut das, was Delia zugestoßen ist, unendlich Leid. Auch wenn ich sie nicht kennengelernt habe, aber so etwas hat niemand verdient!
„Na, na, na, nicht in meinem Club. Wenn ihr was zu klären habt, dann im Ring oder Draußen!", blafft nun auch Galanow dazwischen. Kopfschüttelnd wendet er sich von uns ab, holt eine Schachtel Zigaretten heraus und läuft auf die Glastür zu. Mit einem lauten Schwung knallt sie ins Schloss.
„Keine Sorge, an euch mache ich mir meine Hände bestimmt nicht schmutzig. An der Kleinen hingegen vielleicht schon."
Vitali richtet sein dunkles Shirt und verschwindet auch durch eine der Türen die zu dem Hinteren Bereich des Boxclubs führen. Sein hämisches Lachen ist dabei nicht zu überhören.
„Du mieses Schwein! Warte ab, wenn ich dich in die Finger bekomme!" Erneut stürm Kalvin auf den Zwilling zu, wird aber Gott sei Dank von den anderen Jungs erneut aufgehalten. Ich möchte mir nicht ausmalen, wo das Ganze sonst geendet hätte.
Mit wild pochendem Herzen schaue ich zu den Jungs. Beobachte, wie sie einen unkontrollierten Kalvin versuchen zu beruhigen. Garnicht so einfach, schmunzle ich.
„Mensch Kalvin, bis du wahnsinnig? Jetzt wo Mason endlich seine Chance hat mit einem der Tarek-Brüdern abzurechnen flippst du hier aus!", seufzt Alexander auf. Der Blondhaarige schaut niedergeschlagen seinen Kumpel entgegen.
„Beruhig dich, Mann", setzt Percey hinterher. Langsam aber mit wachsamen Augen lösen die Jungs ihre festen Griffe von Kalvin, der sich nun wütend zu uns herumdreht.
„Warum soll ich mich beruhigen? Dieses Dreckschwein hat zugegeben was sie mit Delia gemacht haben und hat im gleichen Atemzug Ava mit dem selben Scheiß gedroht! Da kann ich nicht nur einfach zuschauen so wie ihr es getan habt!" Immer noch außer sich presst er wutverzerrt seine Lippen fest aufeinander. Ihn so zu sehen jagt mir ein wenig Angst ein und ich folge der Auseinandersetzung nur am Rande des Geschehens. Halte mich besser heraus.
Aber Kalvin hat Recht! Vitali hat mir unterschwellig gedroht, was ich erst jetzt begreife. Plötzlich wird mir etwas mulmig zumute.
In Zukunft werde ich aufpassen, wer sich in meiner Nähe befindet, zudem möglichst viel Abstand zwischen mir und den Zwillingen schaffen. Lieber etwas mehr Vorsicht als hinterher etwas zu bereuen. Immerhin sind diese Brüder Kriminelle, die meinen, ihnen gehöre die Welt und ihre Taten haben keine Konsequenzen.
„Das stimmt doch gar nicht. Schau dir die Jungs doch einmal an. Siehst du sie unbeeindruckt herumstehen?
Nein! Ganz im Gegenteil. Jeden Einzelnen von ihnen nimmt diese Scheiße genauso mit wie dich. Wir wollen alle Gerechtigkeit, aber das heißt nicht, dass wir es auf solch eine Art und Weise lösen. So wären wir kein Stück besser als sie.
Zudem sollte Mason die Ehre gebühren und nicht dir. Er wartet schon viel zu lange auf diesen Tag. Nun ist er gekommen und wir, als seine besten Freunde, sollten dafür sorgen, dass er ihn best möglich übersteht. Findest du nicht auch, Kalvin?" Alexanders unverblümte Worte setzen Kalvin zu und er gibt ihm schlussendlich Recht. Brüderlich klopfen sie sich auf die Schultern, aber dennoch ist jedem von ihnen die Anspannung ins Gesicht geschrieben. Auch mir setzen die neuen Informationen sehr zu, weswegen ich mich versuche zu lockern. Wenigstens etwas Anspannung abfallen zu lassen, was definitiv eine sehr große Herausforderung für den Rest des Tages ist.Eine halbe Stunde später füllt sich die Trainingshalle immer mehr.
Die Jungs und ich haben uns schon frühzeitig an den Seilen positioniert. Ganz vorne, damit wir auch alles im Blick haben.
Hoffentlich verlässt Mason den Ring als Sieger. Er hat es so sehr verdient. Dafür habe ich sogar ein kleines Stoßgebet in den Himmel gesendet. Mal abwarten, ob es auch erhört wird.
Meinen Blick lasse ich über die ganzen Menschen in diesem Boxclub streifen, als mir eine Statur förmlich ins Auge springt.
Diese Anordnung von Muskeln kommt mir sehr vertraut vor. Auch die Art, wie sich dieser Körper bewegt, mit diesem gewissen Linksdrall. So selbstsicher und vor allem selbstverliebt hat sich nur einer verhalten.
Jayden.
Daraufhin steigt mein Puls und ich habe das Gefühl gleich in Ohnmacht zu fallen. Einfach hier und jetzt auf den kalten Linoleumboden.
Intensiv verfolge ich mit meinen zusammengekniffenen Augen diesen Rücken, der in einer Ecke weiter weg steht, bis ich letztendlich laut auflachen muss. Bin ich jetzt schon wahnsinnig geworden? Sehe ich neuerdings Gespenster?
Leicht schüttle ich meinen Kopf und reibe mir mit meinen Handinnenflächen über mein blasses Gesicht.
Als ich wieder aufschaue ist dieser Jemand der definitiv nicht mein Ex-Freund sein kann, da er immerhin im Rollstuhl sitzt, verschwunden.
„Alles klar bei dir?", fragt mich Alexander besorgt.
„Klar." Entgegne ich ihm so selbstsicher wie möglich. Seine Mine verrät mir aber, dass er mir nicht glaubt.
„Heute ist scheinbar für uns alle ein nervenaufreibender Tag." Sein Blick wird weicher während er meine Schultern leicht knufft und sich wieder von mir abwendet, worüber ich auch ganz froh bin.
Im Augenblick habe ich einfach keine Lust mich zu unterhalten oder mich mit irgendjemanden auseinander setzen zu müssen.
Ein dickes Fettes X wird meinen Kalender zieren, wenn der heutige Tag endlich vorüber ist, beschließe ich.
Bleibt nur zu hoffen, dass der Samstagabend schnell und vor allem ohne Dramen vorüber geht.
DU LIEST GERADE
Angel Kiss (Beendet)
Romance"Ich gebe nicht auf, niemals. Wenn es sein muss, dann kämpfe ich bis zum bitteren Ende und notfalls noch weiter." Ava Sawyers große Leidenschaft ist das Boxen. Im Boxverein eines alten Bekannten möchte sie von vorn beginnen, einen Neustart wagen, d...