Kapitel 12 - Eingeständnis

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Meine Muskeln entspannen sich langsam wieder und schmerzen nicht mehr so sehr. Dafür sind aber wieder alte Wunden aufgerissen und viele Gedanken spuken in meinem Kopf herum. Es scheint so, dass das Aufleben meiner Sportart die Vergangenheit wieder präsenter macht, und somit auch Jayden, der sonst eigentlich nur in der Nacht sein Unwesen treibt.
An die Albträume habe ich mich allmählich schon gewöhnt. In der Regel sind es sowieso nur Erinnerungen, des Öfteren die Harmlosen. Aber davon möchte ich mir nicht mehr mein Leben bestimmen lassen und werde es aus meinem Kopf bekommen müssen. Mit Verdrängen scheint es ja nicht mehr so gut zu funktionieren, stelle ich fest.
Daniel hat Recht, es ist an der Zeit mich mal jemanden anzuvertrauen und Jayden hinter mir zu lassen. Aber es ist einfach leichter gesagt als getan. Ich möchte niemanden auf die Nerven gehen mit meinem Gerede und vor allem nicht schon wieder ein schlechtes Licht auf mich werfen.
Oft habe ich schon darüber nachgedacht, Liz wirklich alles zu erzählen. Aber als ich ihre glasigen Augen schon bei den eher harmlosen Geschehnissen zu Gesicht bekommen habe, es dabei belassen. Wer weiß, was sie nach der ganzen Wahrheit von mir denkt? Im schlimmsten Fall behandelt sie mich nicht mehr so wie zuvor, bemitleidet mich oder hält mich sogar für schwach. Was ich ja eigentlich auch war.

Mein Training beende ich für heute, packe meine Sachen zusammen und verschwinde in der Umkleidekabine. Jetzt habe ich noch Zeit mich alleine umzuziehen, denn wenn das Training der Jungs vorbei ist, würde es von ihnen hier nur so wimmeln. Das muss ich gleich auch noch mit Daniel klären bevor ich gehe. Ich bin nicht so scharf darauf mir die Umkleidekabine mit den Testosteron gesteuerten Jungs zu teilen.
Da ich befürchte, jeden Moment könnten jemand herein stürmen, werde ich das duschen ausfallen lassen und mich nur umziehen. Meine Boxhandschuhe noch schnell verstauen, und ich gehe zurück in die Trainingshalle.
Alle sind noch fleißig am Trainieren also setze ich mich auf eine der Bänke und beobachte ein paar von ihnen. Sie sind wirklich gut, muss ich zugeben. Wie ich vorhin mitbekommen habe ist der bärtige Noah und der mit dem giftgrünen Motorrad Mason. Die beiden sind gerade im Ring und sparren miteinander.
Beiden tropft der Schweiß nur so von der Stirn und die muskelbepackten Arme glänzen in dem kalten Licht der Halle. Bei jeder Bewegung kann man deutlich das Muskelspiel sehen. Wie sie angespannt auf und ab zucken, die Adern angeschwollen und mit Blut vollgepumpt.
Mason scheint diesen Kampf zu dominieren, wobei sich Noah auch ziemlich gut schlägt.
Daniel steht Außen am Ring, gibt den beiden Anweisungen und scheint zufrieden mit dem, was er sieht.
Als Daniel ein Zeichen gibt, hören beide auf zu sparren und schütteln erst einmal ihren Körper, damit die Muskeln sich entspannen können. Daniel sagt noch etwas zu ihnen und entfernt sich von dem Ring. Das ist meine Gelegenheit, noch einmal mit ihm über die Umkleide zu sprechen. Abrupt springe ich auf und laufe ihm entgegen.
„Daniel, ich muss dich nochmal stören. Hast du mit den Jungs schon wegen der Umkleidekabinen geredet?"
„Oh, nein. Das habe ich total vergessen", erwidert er erschrocken.
Daniel stellt sich mit mir in die Mitte der Trainingshalle und holt sich die komplette Aufmerksamkeit der Jungs mit einem lauten Pfiff.
„Jungs, bevor ich es wieder vergesse", er macht eine kurze Pause und zeigt auf mich, „das ist Ava. Sie wird ab jetzt auch hier trainieren und da es sonst nie ein Thema war, würde ich euch ab jetzt darum bitten immer die Rechte Umkleidekabine zu benutzen. So gibt es keine unangenehmen Situationen. Danke. Jetzt könnt ihr langsam zum Ende kommen und Mason, du bringst bitte die Bratzen wieder zurück. Wir sehen uns dann alle wieder Morgen, pünktlich!"
Daniel klopft mir noch einmal auf die Schulter und geht in sein Büro. Man kann den Jungs ihre prüfenden Blicke mir gegenüber ansehen. Aber daraus mache ich mir nichts mehr. Viele sind der Meinung, Boxen sei ein Männersport und Frauen seien dem nicht gewachsen. Da ich aber selber nicht kämpfen werde, wird es sie bestimmt nicht weiter interessieren.
Zum Gehen bereit werfe ich noch einen letzten Blick zum Ring. Dort stehen noch Noah und Mason. Noah ist dabei, seine Handschuhe auszuziehen, und Mason verlässt gerade den Ring. Er schlüpft sehr geübt unter den Seilen durch und wie es der Teufel so will treffen sich unsere Blicke. In meiner Bewegung drehend schultere ich meine Tasche, wende mich von ihm ab und laufe zu dem Ausgang.

Vor dem Boxclub atme ich einmal tief durch. Die frische Luft erfüllt meine Lungen und vertreibt den Geruch von Schweiß und Leder. Die reine Briese scheint auch meine ganzen Gedanken etwas zu sortieren, und da heute so ein anstrengender Tag war, beschließe ich nach Hause zu fahren und einfach nur noch frisch geduscht in mein Bett zu fallen, in der Hoffnung nicht von den Geistern meiner Vergangenheit verfolgt zu werden.

Überarbeitet am 05.07.2019

Angel Kiss (Beendet) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt