»17« Der Masterplan

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K A T R I N A

Wie ist das möglich? Das ist nicht echt. Es kann nicht echt sein. Er kann nicht echt sein. Er ist tot. Ich habe ihn doch sterben sehen!

Er ist tot.

Aber warum lächelt mich genau der Mann an, den ich eigentlich vor geraumer Zeit noch habe sterben sehen? Halluziniere ich? Hätte ich doch nicht auf eine Dusche und Essen verzichten sollen? Wahrscheinlich, denn mein Verstand scheint mir einen ganz üblen Streich zu spielen.

Als Leroy mir einen undefinierbaren Blick von der Seite zuwirft, beiße ich die Zähne zusammen. Fordert er mich gerade dazu auf den - eigentlich - toten Charles zu begrüßen? Doch das kann es nicht sein, denn Charles und seine Begleitung schenken mir kaum Beachtung. Erst als Leroy mir sachte mit den Fingerkuppen auf die Hand klopft, begreife ich, dass er mich so ansieht, weil ich gerade meine Nägel in seine Hand bohre. Konsterniert entziehe ich sie ihm, als etwas Blut aus der Wunde tritt. Es ist nur ein kleiner Kratzer, aber manchmal tun die kleinen Dinge mehr weh, als die großen Dinge.

„Setzen wir uns doch, Mr. Richards", vernehme ich seinen angenehmen Bariton. Charles wendet den Kopf lächelnd von seiner Begleitung ab und nickt Leroy zu. Dieser greift sanft nach meinem Handgelenk und zieht mich hinter sich her, denn meine Beine sind wie festgefroren, doch weder zischt er mir etwas zu, noch zerquetscht er mir meinen Arm. Wir kommen an einen Stehtisch an und sogleich erscheint ein Kellner neben dem Tisch. Erwartungsvoll betrachtet er uns. Hat Leroy nicht gerade gesagt, dass wir uns setzen? Jetzt stehen wir aber und ich kann nicht garantieren, dass meine Beine mich noch lange halten. Vor allem nicht, wenn ich steht's diese Leiche vor Augen habe! Doch selbst als ich meinen Blick schweifen lasse, muss ich feststellen, dass es hier nur Stehtische gibt - ohne Stühle. So ein Mist!

„Champagner?", fragt der Kellner in die Runde, als ihm keine Beachtung geschenkt wird.

„Aber natürlich", ruft Charles erfreut und klatscht grinsend in die Hände. Dabei bilden sich tiefe Fältchen um das Gesicht des alten Mannes, besonders jedoch um seinen Mund herum. Ich schätze ihn auf etwa siebzig Jahre alt, doch selbst wenn er etwas jünger wäre, wundere ich mich doch, wieso jemand wie er in seinem Alter nicht die Rente genießt, sondern gerne fremden Leuten den Tod vorgaukelt. Was hat er denn davon?

„Für mich bitte Weißwein", höre ich die Frau sagen.

„Und was darf es für Sie sein?", wendet der Kellner sich nun an mich, sobald er sich die Bestellung notiert hat. Gerade als ich fragen möchte, ob es auch Gin Tonic gibt, kommt mir eine bekannte Stimme zuvor.

„Für sie einmal Traubensaft", antwortet Leroy an meiner Stelle, ehe er sich wieder Charles widmet. Zittrig hole ich tief Luft, während der Kellner unsicher zu Leroy schielt.

„Das Stärkste, das Sie da haben", werfe ich ein, woraufhin der Kellner wieder Leroy ansieht. Unglaublich, denke ich mir, als er immer noch nicht reagiert. Ich sehe Leroy an. Dieser wirft dem Kellner einen scharfen Blick zu, ehe er wieder wegsieht.

Und schon zischt der Kellner ab.

„Was glaubst du eigentlich, wer du bist?!", fauche ich ihn leise an. Wütend darüber, dass er mich hier doch ernsthaft wie ein kleines Kind behandelt, schnaube ich. Leroy leckt sich über die Unterlippe, zieht diese sekundenspäter zwischen seinen Zähnen und sieht sodann aus halbgeschlossenen Lidern zu mir runter an. Sein warmer Atem streift mein Dekolleté, so nah ist er mir. Sein Blick ist undefinierbar.

„Die Frage ist wohl eher, wie du kleines Schäfchen darauf kommst, so etwas bestellen zu wollen? Ich sagte dir doch, dass du dich ruhig verhalten musst. Bei starken alkoholischen Getränken passiert das Gegenteil. Dass dein kleines Hirn, das höchstwahrscheinlich aus Zuckerwatte besteht, das doch niemals digerieren kann, ist uns jawohl beiden klar." Leroy hebt eine Augenbraue in die Höhe und schenkt mir einen bedeutungsschwangeren Blick zu, während ich nur gekränkt die Zähne zusammenbeißen kann. Wie gerne würde ich ihm wieder ins Gesicht schlagen, genau jetzt. Doch stattdessen schüttle ich nur den Kopf über sein Verhalten und wende den Blick ab. Dafür spüre ich seinen noch lange auf meiner Haut, weshalb ich am liebsten fluchen würde, da mein Körper dies mit einer schamhaften Röte quittiert. Wie sehr ich es schon immer gehasst habe, dass diese roten Pünktchen meinen Hals hochkrabbeln, immer, wenn mir etwas unangenehm war.

Belleza del SilencioWo Geschichten leben. Entdecke jetzt