»43« Pablo Di Fina

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K A T R I N A

Am nächsten Morgen fühle ich mich nach langer Zeit wieder viel wohler in meiner Haut. Ich bin wach, während Leroy sich noch im Tiefschlaf befinden und nutze den Moment dafür aus, um etwas spazieren zu gehen, bevor er wieder wach wird. Ich denke zwar nicht, dass er irgendwelche Einwände hätte, nachdem ich auch gestern hinaus gehen konnte, doch da man sich bei ihm nie sicher sein kann, gehe ich lieber eilig meinen Wunsch nach und bin wieder da, ehe er die Augen öffnet.

Doch gerade als ich mich umdrehe, um das Zimmer zu verlassen, öffnet er die Augen, was ich noch im Augenwinkel erkennen kann.

„Morgen", murmele ich ertappt und erröte. Leroy gähnt und streckt die Arme aus, ehe er innehält und mich ansieht - die Augen zu Schlitzen geformt.

„Wohin geht es?", hakt er irritiert nach, während er meine Kleidung näher betrachtet. Ich beiße mir auf die Unterlippe und zucke leicht mit den Schultern.

„Wieder spazieren", antworte ich wispernd und sehe ganz genau, wie sich etwas in seinem Blick ändert, doch ich kann nicht erklären, was es ist. Ich frage mich bloß, wieso er mich so ansieht...

„Okay. Bleib' nicht zu lange weg."

Ich stutze und reiße für einen Moment die Augen auf, kriege mich jedoch hastig wieder in den Griff.

Hat er gerade wirklich gesagt, dass ich gehen kann? Wieder?

„Nimm das Telefon mit. Du wolltest doch deine Eltern anrufen, nicht?"

Jetzt wird es merkwürdig.

Ich runzle die Stirn und gehe langsam auf ihn zu. Er hat die Hand ausgestreckt, in welcher ein schwarzes Telefon liegt, was ich nun langsam ergreife. Mein Herz schlägt mir dabei bis zum Hals, denn ich befürchte, dass er mich gleich am Handgelenk packen wird, ehe er mir den Arm bricht, bloß um mir sodann ins Gesicht zu lachen, was ich mir denn dabei denken würde, doch das passiert nicht. Er lässt mich das Telefon tatsächlich nehmen.

Dann steht er auf und verschwindet ins Bad, ohne mich weiter zu beachten.

Schluckend sehe ich auf das kleine, viereckige Gerät in meiner Hand hinunter und wieder zur Badezimmertür, hinter der er verschwunden ist. Hatte er nicht zu mir gesagt, dass ich nur in seiner Anwesenheit telefonieren darf? Und nun? Da lässt er mich einfach allein hinaus mit einem Telefon? Mit dem Wissen, dass ich die Polizei oder sonst wen benachrichtigen könnte, nein. Das ist nicht Leroy Kingston. Die Eigenschaft, jemandem zu vertrauen, fehlt ihm und das ist es nun, was mir ganz besonders Bauchschmerzen macht.

Er hat irgendetwas vor und ich habe keine Ahnung, was es sein könnte.

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„Hey Mom", begrüße ich sie, sobald ich auf einer Bank im Park platz nehme und sie abhebt.

„Katrina?", ruft sie überrascht, ehe es für einen Moment still bleibt. Dann höre ich sie schluchzen. „Schatz", wispert sie und ich beiße mir auf die Unterlippe, als ich eine Gänsehaut durch ihre Stimme bekomme. Langsam aber sicher sammeln sich Tränen in meinen Augen an. Gott, was habe ich sie vermisst!

„Ich habe dich so sehr vermisst", sagt sie mit belegter Stimme, gerade als ich genau das Selbe denke.

„Ich habe dich auch sehr vermisst, Mom. Wie geht es dir? Und wie geht es Dad? Hast du in den letzten Tagen vielleicht Tara gesehen?", stelle ich auch schon sogleich eine Frage nach der anderen und blinzle die Tränen fort. Zumindest versuche ich es, denn je mehr sie erzählt desto stärker wird das Gefühl der Sehnsucht.

„Und ja, ich habe mit Tara vor einigen Tagen gesprochen, ich traf sie im Supermarkt. Ihr geht es gut, aber sie vermisst dich sehr. Ihr mehr zu erzählen wäre vielleicht gar keine so schlechte Idee, Spatz. Sie hat sehr viele Fragen und das zurecht. Überlege es dir, Rina."

Belleza del SilencioWo Geschichten leben. Entdecke jetzt