»23« Im blutigen Blümchenkleid

26.8K 1.1K 329
                                    

K A T R I N A

Stille.

Die Schönheit der Stille.

Was genau ist nur so schön an der Stille? Wieso sagte Leroy damals diese Worte und wieso ließen sie mich nie wieder mehr los? Sie haben mich gepackt und sich an mir festgeklebt - mit einem starken Sekundenkleber! Ich seufze und schüttle den Kopf. Jetzt werde ich schon wütend auf einfache Worte. Worte ohne jegliche Bedeutung.

Lüge.

Diese Worte haben eine Bedeutung. Und ich glaube, so langsam beginne ich zu verstehen, was Leroy mit diesen Worten gemeint hat, doch tief im Inneren weiß ich, dass ich es nicht wahrhaben will. Es ist so... böse und irgendwie auch so barbarisch, dass es das einfach nicht sein kann und doch passt es so gut zu ihm, dass das die Wahrheit sein muss. Still muss man sein, das weiß ich nun.

Denn je stiller du bist, desto mehr kannst du hören.

Hatte Leroy die tödliche Stille so schön gefunden? Diese tödliche Stille, die damals an der Brooklyn Bridge herrschte, nachdem er diesen Mann ermordet hat, dass man einzig die Todesangst, das viel zu schnell schlagende Herz und die innerlichen Gebete der Menschen hörte? Denn dann beginne ich zu verstehen.

Jetzt gerade wirkt es nämlich gar nicht still in diesem Keller, obwohl niemand spricht und ich auch keine Bewegung wahrnehmen kann. Doch wenn man richtig hinhört, dann versteht man, dass die Stille laut ist. Mein viel zu schnell schlagendes Herz, meine Furcht, die jegliche Vernunft in meinem Kopf verstummen lässt und der kalte Angstschweiß, der mir den Rücken runterrollt - sie alle sind laut. Ich höre nichts anderes, außer das. Vor Nervosität knabbere ich auf meine Unterlippe rum, bis ich Blut schmecke und lasse die Finger knacken. Nicht eine Sekunde lang habe ich damit aufgehört zu zählen, seit ich hier im Keller hocke, doch da ich jetzt weiß, dass ich schon seit sechs Stunden, acht Minuten und vierundzwanzig Sekunden im Keller sitze, habe ich aufgehört mit dem zählen. Davon habe ich nur unglaubliche Kopfschmerzen bekommen und jetzt bin ich einfach nur noch müde. Es muss auch bereits kurz vor Mitternacht sein.

Wimmernd schließe ich die Augen. Woher kommen diese Stimmen? Wer spricht da? Und wieso sind die Worte, die sie sagen, so grausam und dämonisch? Doch die viel wichtigere Frage ist, wieso hören sich die Stimmen so kindlich an? Sind das tatsächlich Kinder oder werde ich bloß verrückt? Verliere ich den Verstand? Von dem Mädchen namens Stacy höre ich gar nichts mehr, doch das Weinen hat ein Ende gefunden, nachdem ich hier eingesperrt war. Stattdessen haben sie nun angefangen zu kichern und ständig den Tod zu erwähnen. Ist das vielleicht doch nur ein blöder Streich?

„Was passiert hier nur?", wimmere ich und kneife die Augen zusammen. Ich habe mir das selbst eingebrockt! Ich hätte Yang auf das alles ansprechen müssen und dann erst schauen, was sie zu sagen hat. Jetzt stecke ich in der Klemme und weiß nicht, ob man mich hier rechtzeitig finden wird.

„Hast du Angst?", raunt mir wieder die selbe kindliche Stimme zu, die ich schon vor drei Minuten gehört habe, doch diesmal klingt sie verdammt nah. Ruckartig drehe ich mich um, doch dort ist niemand.

Diesmal schreie ich. Ich halte diese Angst nicht mehr aus und ich bin mir sicher, dass man schon nach mir sucht, also schreie ich so laut, wie ich es noch nie getan habe. Und ich werde wirklich erhört, denn kaum zwei Minuten später vernehme ich mehrere feste Schritte. Leroy's Männer öffnen mit einem Tritt die Tür, in den Händen halten sie ihre Waffen, doch als sie mich erkennen, senken sie die Revolver sogleich aus geweiteten Augen. Einer jedoch nicht. Mein Herz setzt einen Schlag aus, als mir klar wird, dass er auf etwas hinter mir zielt, doch ehe ich noch vor Angst zergehe, werde ich kräftig am Arm gepackt und weggezogen. Ein Blick über die Schulter genügt und ich verliere beinahe das Bewusstsein, als ich das grinsende Mädchen im blutigen Blümchenkleid erkenne und den Boden, der wie eine Tür geöffnet wurde.

Belleza del SilencioWo Geschichten leben. Entdecke jetzt