K A T R I N A
Einige Tage sind vergangen, doch den stummen Jungen sah ich nicht mehr. Genauso wenig wie Leroy. Auch er war wie vom Erdboden verschluckt. Doch daran ist nichts schlecht, denn jetzt wo ich mir sicher bin, dass er nicht im Haus ist, kann ich abhauen. Ich habe alles durchdacht. Fünf Nächte lang habe ich die Security bei ihrer Arbeit beobachtet und mir gemerkt, dass sie alle sechs Stunden ihre Schicht wechseln. Denn dann gehen die vier Männer, die den Vorgarten bewachen, für zehn Minuten hinter das Haus, um den elektronischen Zaun im Garten anzuschalten.
Und in diesen zehn Minuten werde ich heute Abend verschwinden.
Jeden Abend kommt Yang um Punkt acht Uhr in mein Zimmer und bringt mir eine Schüssel Suppe. Sobald auch dies erledigt ist, geht sie unter die Dusche. Dort verbringt sie exakt siebenundzwanzig Minuten. In der sechzehnten Minute, gehen die Securitymänner in den Garten und das wäre dann mein Moment. Ich habe weder vor mir Essen mitzunehmen noch werde ich mir Klamotten mitnehmen. Ich werde verschwinden, wie ich gekommen bin. Meine Eltern werden in vier Tagen zuhause sein und bis dahin werde ich in einem Hotel schlafen. Jedoch muss ich daran denken, Tara irgendwie anzurufen, denn ich brauche für diese wenigen Tage Geld, das sie mir ausleihen muss.
Tief durchatmend lehne ich mich zurück.
Danach muss ich sofort zur Polizei. Meinem Fuß geht es auch besser, das heißt, ich werde rennen können. Und dann werde ich mir meine Eltern schnappen und untertauchen. Ich werde das Kontinent komplett verlassen, wenn es sein muss. Leroy wird mich sicher töten, wenn er erfährt, dass ich weg bin und ihn bei der Polizei verraten habe.
Jedoch gibt es bei allem noch ein Problem. Leroys Hunde. Auch sie werden am späten Abend frei gelassen und leider können sie mich immer noch nicht leiden. Zumindest die Schäferhunde. Ich habe drei Minuten und sechsundvierzig Sekunden Zeit, bevor die Hunde frei gelassen werden. Bis dahin muss ich hinter dem Zaun sein. Dann wird alles einfacher.
In sieben Minuten geht es los.
Es wird nicht schief gehen. Das kann es gar nicht!
„Alles wird gut, Rina. Du wirst das schaffen", spreche ich mir selber Mut zu.
„Hallo, Herzchen", höre ich auch schon Yang.
Es geht los.
Schritt eins.
Ein leichtes Lächeln huscht mir über die Lippen. Yang werde ich sogar ein kleines wenig vermissen. Sie war so gutherzig und liebevoll zu mir gewesen, obwohl ich ja eigentlich eine Gefangene bin. Am liebsten würde ich mich für alles bei ihr bedanken, doch das Risiko, dass sie Verdacht schöpft ist zu groß.
„Hallo", erwidere ich.
„Lass es dir schmecken, mein Herz. Ich gehe jetzt schnell unter die Dusche. Gute Nacht!", ruft sie noch, bevor sie das Zimmer wieder verlässt. Eigentlich ist es oft so zwischen uns. Selten können wir uns wirklich unterhalten, denn Yang hat immer viel zu tun und muss weg, kaum dass sie bei mir ist. Doch heute ist genau das sehr gut. Ich bin froh, dass sie mich nicht auch noch nach meinem Tag gefragt hat, denn dann müsste ich sie ebenso fragen wie ihrer gewesen ist und schon würde ich hier viel zu lange sitzen.
Schritt zwei.
Sobald das prasseln des Wassers aus der Dusche ertönt, springe ich aus dem Bett und schleiche mich in Richtung des Fensters. Mein Licht ist aus, dass heißt die Wachmänner werden denken, ich sei schon am schlafen. Wie Soldaten stehen sie vor dem Eingang und tun rein gar nichts. Oft habe ich mich gefragt, wie dieser Job nur erträglich sein kann, denn ich könnte sowas nicht. Stehen und versuchen nicht müde zu werden. Denn es ist ja eben so wichtig, dass man aufmerksam ist, was ich gerade so besonders schwer finde. Nicht ein einziges Mal habe ich einen Mann mit sackenden Schultern gesehen. Nein. Ihre Bewegungen wirken angespannt, genauso wie ihr ganzer Körper eine übertriebene, militärische Straffheit verströmt. Hochkonzentriert blicken sie geradeheraus, wahrscheinlich blinzeln sie sogar sehr selten. Sprechen tun sie ebenso kaum. Mit mir sprechen sie sowieso kein Wort, doch auch untereinander höre ich sie selten sprechen. Aber sie gucken. Aus Argusaugen analysieren sie alles und wissen alles. Leroy hat nicht irgendwelche Leute eingestellt. Diese Leute sind dafür ausgebildet worden. Schwer wird es auf jeden Fall.
DU LIEST GERADE
Belleza del Silencio
Misteri / Thriller[Band I] Leroy Kingston. Er ist gefährlich. Er ist skrupellos und er lechzt nach Rache. Als Mafiaboss ist er es gewohnt, Leben einfach auszuschalten, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Wieso nur klappte es bei Katrina nicht? War es die Angst i...