Wahrheit

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Zoey:

Die ganze Strecke über lehnte ich schweigend an Ethans Körper und starrte aus dem Fenster des Busses auf die Straße. Ich genoss die Stille zwischen uns, auch wenn mir im Kopf immer mehr Fragen einfielen, wagte ich keinen Laut von mir zu geben.

Die heiße Frühlingssonne war schon längst untergegangen und somit war auch die Temperatur gesunken. Durch das leicht geöffnete Fenster oben am Glas wehte kühler Wind gegen meine nackten Oberarme. Mir fröstelte es und eine zarte Gänsehaut bildete sich auf meiner gebräunten Haut. Plötzlich entfernte sich Ethan von mir. Ich hatte panische Angst, dass ihm wieder eingefallen war, wieso wir nicht miteinander geredet hatten, doch ich täuschte mich immer wieder gewaltig in ihn. Ohne zu zögern, zog er seinen dünnen Pullover aus und reichte es mir. Mit einem schüchternen Lächeln nahm ich seine Klamotte dankend an, zog mir das dunkelblaue Sweatshirt an und schmiegte mich wieder an Ethan, der mich mit offenen Armen willkommen hieß, um mich dann besitzergreifend, aber nicht fest, sodass es wehtat, noch enger an ihn ran zuziehen.

Wie schon gesagt, die Fahrt war sehr angenehm für mich, auch wenn mein Hirn mir immer Mal ein Streich spielte, sodass ich anscheinend mitbekam, dass Carter seinen Blick nicht von uns lösen konnte und uns beide die ganze Zeit mit einem schmerzlichen Blick beobachtete.

Nein, ich musste diesen Typen endlich aus meinen Gedanken streichen und dagegen ankämpfen, dass er nie wieder auftaucht. Er und sein perfektes Lächeln durften nicht weiter Besitz von all meinen Sinnen haben. Dafür kannten wir uns zu schlecht, außerdem mochten wir uns nicht mal. Na ja, oder er mochte mich nicht so wie ich ihn. Und nach der Aktion von eben glaubt er sicher, dass ich verrückt bin und irgendeine verkorkste Vergangenheit habe – was ja auch stimmt.

Doch jetzt wusste ich nicht, was genau mich geritten hatte, dass ich Carter mit Adam verwechseln konnte. Sie waren so unterschiedlich, doch in dem Moment kam alles wieder hoch. Es gab so viele Dinge, die noch unausgesprochen waren und die ich Lange für mich hielt. Auch jetzt noch, aber mit wem soll ich darüber reden?

Mit den Mädels? Ich liebe diese drei Mädchen, wie meine eigenen Schwestern, aber sie würden es vielleicht nicht verstehen und sie machen sich jetzt schon viel zu viele Sorgen.

Meine Mom? Nein, ihr wollte ich das nicht mehr antun. Sie musste schon wegen der ganzen Sache leiden und wie ich es zu Hause mitbekam, ging es ihr in letzter Zeit noch schlechter als sonst. Trotzdem spielte sie vor mir die gesunde Powerfrau, die keine Krankheit stoppen konnte. Auch mein Dad wich mir jedes Mal aus, wenn ich über Moms Zustand reden wollte, aber er schüttelte nur hartnäckig mit dem Kopf und versprach mir in nächster Zeit mit mir über alles zu reden. Ihm würde ich nie im Leben sagen, was in mir vorging und was mich bedrückte. Ich vertraue ihm nicht mehr.

Dann gab es da noch Ethan. Ethan … nein. Ihm wollte ich auf keinen Fall davon erzählen. Ich schäme mich und will nicht, dass er schlecht von mir denkt. Also, es gab niemanden mit dem ich wirklich über alles reden konnte in meiner Umgebung. Doch eine letzte Idee blieb mir noch …

„Wie geht es dir?“ Ich erschrak, als Ethans leise raue, aber vertraute Stimme, nahe an meinem Ohr anfing zu sprechen.

„Es ging mir schon mal besser. Aber ich danke dir wegen eben. Du weißt schon.“ Seine eindringlichen schokoladenbraunen Haare schauten mich ohne von meinem Blick zu weichen an. Einige braune Strähnen hingen ihm ins Gesicht, aber es sah an ihm gut aus. Seine strubbeligen dunkelbraunen Haare machten ihn noch charmanter als er eh schon ist, wodurch ich mir einfach nicht so recht vorstellen konnte, dass er keine Freundin hatte. Ober er überhaupt auf Mädchen steht?

Beschämt über so eine Frage in solch einen Moment nachzudenken, guckte ich wieder nach draußen und sah unser Spiegelbild verschwommen. Für alle, die nicht wussten, was vor Kurzen passiert war, sahen wir wohl so aus, als ob er und ich zusammen wären. Doch mir war es ziemlich egal, was die anderen dachten. Sie sollten ruhig tratschen und Gerüchte in die Welt setzen.

𝐑𝐞𝐬𝐭 𝐢𝐧 𝐏𝐞𝐚𝐜𝐞Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt