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Der Flug war der reine Horror. 

Ich mochte fliegen noch nie gerne. Schon als kleines Kind wollte ich immer lieber mit dem Zug fahren, statt in ein enges Flugzeug zu steigen. Zwar sind Zugabteile nicht viel größer, aber rational kann ich meine Gefühle nicht erklären. 

Meine gesamte Situation sorgte bereits dafür, dass meine Nerven bis zum reißen gespannt waren. Die Angst vor dem Fliegen machte es nicht besser. Am liebsten hätte ich laut losgeheult. Einfach alles rausgeschrien und den Piloten gezwungen, sofort zurück nach England zu fliegen. 

Aber ich tat es nicht. Stattdessen saß ich sieben Stunden neben einem laut schnarchendem Mann und einer Frau, die der Lautstärker ihrer Musik nach zu urteilen, taub sein musste, still auf meinem Platz und bewegte mich keinen Zentimeter. Als wir endlich in Dubai landeten schlug mir die Wärme ins Gesicht. Der Flughafen war groß, voll und plötzlich fühlte ich mich unendlich verloren. Doch ich riss mich zusammen und suchte mein nächstes Gate. Der Flieger nach Sydney war nur zur Hälfte gefüllt, weswegen alle Passagiere sofort eine Reihe für sich in Anspruch nahmen. Zwei Männer diskutierten heftig über die letze freie dreier Reihe, als ich es mir am Fenster gemütlich machte. 



Es war zehn Uhr morgens, als ich in Sydney landete. In meinem gesamtem Leben habe ich mich noch nie so schrecklich gefühlt. Mit meinem Nerven lag ich am Ende. Der Flug, das Wiedersehen mit meinem Bruder und Vater. Das alles war zu viel. Hatten sie sich verändert? Wird es komisch sein, sie wieder zu sehen? Wie wird Dad's neue Frau mich aufnehmen? Wie werden sie mich aufnehmen?

"Ich hoffe Sie hatten einen angenehmen Flug", schallte die Stimme des Piloten durch die Lautsprecheranlage. "Wenn Sie nach England zurückfliegen, dann können wir über angenehm diskutieren", dachte ich, als ich meine Sachen zusammenpackte.

Ich suchte meinen Koffer und fand ihn auch relativ schnell. Dann setzte ich mich auf eine Bank. Ich wollte nicht als Erste in die Eingangshalle laufen. Nicht das sie mein schnelles Erscheinen mit Wiedersehensfreude verwechseln könnten. Ehrlich gesagt stand ich kurz vor einem Herzstillstand. Was sagte man nach vier Jahren? Ich holte noch ein paar mal tief Luft, stand schließlich auf und ging durch den Ausgang.

In der Empfangshalle standen dutzende Menschen; die Meisten mit einem dicken Grinsen auf dem Gesicht, vor Aufregung ihre Liebsten wieder zu sehen. Ständig hörte man Freudenschreie. "Die mache ich heute nicht", flüsterte eine Stimme in meinem Kopf. Ich sah mich um, konnte Dad und Alec aber nicht entdecken.

"Lizzy", erklang eine sehr vertraute, tiefe Stimme hinter mir.
Langsam drehte ich mich um und sah Alec direkt in die Augen. Sie hatten immer noch die selbe Farbe. So dunkel, dass sie schon fast schwarz wirkten. Wie die Nacht.

"Hey", begrüßte er mich mit einem versuchten freundlichen Lächeln und versuchte mich in den Arm zu nehmen. Betonung auf dem Wort versuchte. Ich trat ein Schritt rückwärts.

Alec hatte sich auch ansonsten äußerlich nicht wirklich verändert. Seine Haare waren zwar heller und seine Haut dunkler, doch auch diese Umstände verbargen nicht sein koboldhaftiges Aussehen. Wir waren zwar Geschwister, aber zum Glück sahen wir uns nicht ähnlich.

Gerade als ich zum millionsten Mal in meinem Leben darüber staunte, wie fies mein Bruder aussah, tauchten hinter ihm Dad und eine Frau, gefolgt von einem Jungen auf.

"Lizzy", freute sich Dad. Kurz angebunden nickte ich und murmelte ein Hallo. Dad sah mich stirnrunzelnd an und stellte mir dann seine Begleiterin vor.

"Das sind Lisa und ihr Sohn Ashton."  
Bei dem Wort Sohn sah ich auf. Dad hatte nichts von einem Sohn geschrieben. Natürlich auch nicht. Warum hätte er auch. 

New life, Australia // 5SOSWo Geschichten leben. Entdecke jetzt