12

2.7K 92 16
                                    

*LIZZY'S POV*

Es tat gut durch das nächtliche Sydney zu gehen. Die Luft hatte sich abgekühlt und lag angenehm auf meiner Haut. Über mir funkelten einige wenige Sterne. Es waren genauso wenige wie Zuhause. Die Lichter der Stadt überdeckten alles.

Verträumt sah ich in den Himmel. So vieles war passiert. So vieles war anders. Meine gesamte Welt stand Kopf. Doch eigentlich war es nicht die Welt, sondern ich. Lizzy. Ein kleines Mädchen in einem unendlich großen Universum.

Als ich vor unserer Haustür stand holte ich ein paar mal tief Luft. Mir war klar, was jetzt kommen würde.
"Lizzy!", rief eine strenge Stimme, sobald ich die Tür aufschob. Es war mein Vater, natürlich. Immerhin konnte ich mich noch auf meine Intuition verlassen.

Ich sagte nichts, zog mir nur meine Chucks aus und ging zu ihm. Jetzt war er an der Reihe, meine Meinung zu hören. Es reichte. Ich war so müde. So unendlich müde.

Dad saß am Esstisch, um ihn herum waren dutzende Aktenordern verstreut.
"Wo warst du?", fuhr er mich an und guckte mir finster in die Augen.
"Draußen und das darf ich auch", antwortete ich kühl.

Er runzelte die Stirn und öffnete den Mund um etwas Neues zu sagen. Ich kam ihm jedoch zuvor: "Lass es einfach, bitte. Tue nicht so, als wärst du ein sorgenvoller Vater. Das bist du einfach nicht. Es geht uns Beiden besser, wenn wir uns möglichst aus dem Weg gehen." Meine Stimme war ruhiger als gewöhnlich. Vielleicht konnte er das erkennen.

"Das-", fing er an, doch dann kam Lisa aus dem angrenzenden Wohnzimmer und unterbrach ihn: "Sie hat recht, John und das weißt du auch."

Mein Vater sah sie überrascht an, drehte sein Kopf zu mir und sagte kleinlaut: "Wir können da nochmal drüber sprechen. Wenn du willst."

Zur Antwort schüttelte ich den Kopf und ging in mein Zimmer. Es wäre vernünftiger von mir, mit ihm zu sprechen. Aber das wollte und konnte ich zu der Zeit einfach nicht. Ich hatte noch nicht die Kraft in mir, ihm zu vergeben. Ihn in mein Leben zurückzulassen.




"Komm, wach auf!", irgendjemand rüttelte mich. Ich brummte nur, aber die Person ließ nicht locker. "Lizzy, komm jetzt. Ich versteh nicht mal, wie du dein Wecker immer überhörst", eindeutig Ashton.

"Schlafen", murmelte ich müde.

Scheinbar strapazierte ich seine Geduld, denn er zog mir die Decke weg, hievte mich über seine Schulter und setzte mich vor dem Badezimmer ab. Ich hätte ihm niemals diese Kraft zugetraut. 

"Los! Rein da", befahl er mir, konnte jedoch ein Lachen nicht verbergen.

Zu meiner Überraschung war mein Auge um einiges weniger geschwollen. Es war nicht mal mehr halb so dick und blau.
Rasch duschte ich, zog mich an und ging zum Frühstück nach unten.
Wie jeden Morgen holte ich mir mein Müsli und setzte mich neben Ashton.

Zehn Minuten später liefen wir zum Bus.

In der Schule angekommen trennten sich unsere Wege und ich lief zum Fachraum Musik. Vor dem Raum stand schon der Großteil meiner Klasse. Zu meiner Freude war auch Marley schon da.

"Hey Lizzy", wir umarmten uns kurz.

Als es klingelte machte und ein junger Mann die Tür auf. Marley und ich hörten auf zu reden.
"Guten Morgen", begrüßte uns der unbekannte Mann. Er betrachtete die Schüler und als er mich neben Marley sah grinste er und freute sich: "Ein neues Gesicht. Elisabeth Williams müsstest du dann sein. Ich bin Mr. Smith." Sobald er einen Satz gesagt hatte musste ich unnatürlich grinsen. Marley stupste mich verwirrt von der Seite an, aber ich konnte es einfach nicht unterdrücken. Nichts fühlte sich in diesem Moment besser an, als einen Menschen aus meiner Heimat zu treffen. Denn diesen Akzent würde ich überall erkennen.

"Ja das bin ich. Aber bitte nennen Sie mich Lizzy. Das tuen alle." 
Er sah mich nun freudig überrascht an: "Und so Kinder, klingt die Heimat", er lachte. Ich glaube die anderen wusste nicht ganz, was gerade abging. "Oxford", flüsterte ich Marley zu, die sehr verwirrt aussah. Ich Gesicht hellte sich erkennend auf. Mr. Smith erkundigte sich, aus welchem Stadtteil ich kam, ob die Stadt noch stehen würde und dabei schweifte der Rest des Kurses langsam ab. Die Anderen kannte schließlich Oxford und die Orte von denen wir sprachen nicht, zu mindest ging ich davon aus. Gerade als Mr. Smith richtig in Fahrt kam klopfte es an die Tür und Luke schob seinen Kopf durch die Tür. "Sorry Mr. Smith", er ging an ihm vorbei und setze sich in die hinterste Reihe, dort wo noch Platz war. "Was wäre dieser Musikkurs ohne eine Verspätung von Mr. Hemmings." Damit war unser kleines Gespräch beendet.

"Das Thema für unser nächstes Quartal ist Musikpraxis. Keine Theorie, keine langweiligen Interpretationen und Analysen. Ich konnte die Schulleitung überzeugen, dass wir hier mal was praktisches machen dürfen. Also ihr findet euch in kleinen Gruppe zwei bis vier Leute, zusammen und covert einen Song. Egal welchen, egal welche Richtung. Aber er soll sich vom Original unterscheiden. Macht es besonders, gebt ihm euren ganz persönlichen Touch. Am Ende des Quartals führt ihr euer Werk vor. Egal ob gesungen, mehrstimmig oder einstimmig oder instrumental. Echte Instrumente oder elektrisch. Werdet kreativ, ihr könnt es meinetwegen auch auf einem Besen vorführen", die Klasse lachte und alle klatschten sich ab. Zuhause würden wir so etwas niemals machen. Ich schaute in Luke's Richtung und unsere Blicke trafen sich. Er grinste, was ich erwiderte.

"Spielst du ein Instrument?", fragte ich Marley, als mir einfiel, dass es sie ja auch noch gab. Schüchtern schüttelte sie den Kopf.

"Ich singe manchmal, aber nur so unter der Dusche", murmelte sie leise.

Als Mr. Smith uns Zeit zur Gruppensuche gab, kam Luke schon auf uns zugelaufen. Ich bemerkte, wie zwei Mädchen, die schon in Luke's Richtung gingen, traurig und sauer dreinblickten. 

"Lizzy wir machen das zusammen", befahl er, ich nickte nur und fragte: "Marley, willst du auch mitmachen?"

Wie jedes Mal, wenn ihr etwas peinlich war lief ihr Kopf puterrot an und sie flüsterte nur ein unverständliches: "Wenn ich euch nicht störe."

"Nein, mich nicht", lässig setzte sich Luke auf den Tisch.

Und in diesem Moment, in dem mich Luke aus seinen blauen Augen aus anstarrte, fiel mir gestern Abend ein. Bam. Ich hatte die Szene komplett verdrängt. Sofort wurde ich unsicher und wusste nicht mehr, was ich mit meinen Händen, meinen Beinen, meinem Gesicht machen sollte. Luke hatte mich so verletzlich gesehen und jetzt. Was musste er nur von mit halten? Man muss wissen, ich weine nicht oft. Eigentlich nie. Vor allem nicht von anderen.

Luke schaffte es die Situation gekonnt zu entspannen und schnell diskutierten wir angeregt über die verschiedenen Coversongoptionen. Als die Schulglocke klingelte hatten wir uns noch immer nicht für einen Song entschieden. Wir packten unsere Sachen zusammen und jeder von uns lieg in eine  andere Richtung. Ich hatte Chemie, Luke Sport und Marley Spanisch.



Am Ende des Tages lief ich gemeinsam mit Marley zum Bus. Wir hatten uns vor der Schule verabredet. 

"Lizzy!", rief jemand von hinten. Es war Luke. Marley und ich blieben stehen und nach Luft schnappend hielt er neben uns an.

"Was ist los?", fragte Marley ihn. Es überraschte mich, sie einen so flüssigen Satz in Anwesenheit eines Jungen sagen zu hören.

Er holte noch einmal tief Luft und wandte sich an uns: "Habt ihr heute Zeit?"

"Ja klar", was sollte ich den auch anderes vorhaben. Trotzdem fragte ich mich, was er vorhatte.

Verwundert, als ob sein Anliegen doch komplett offensichtlich wäre, schnaubte er: "Musik"

Ein kleiner Stich machte sich in meiner Magengegend bemerkbar.Natürlich wollte er an dem Projekt weiterarbeiten. Was hatte ich denn auch erwartet? 

"Um vier bei Lizzy?", Marley redete ungewöhnlich entspannt. Für einen Moment dachte ich, dass sie mich vergessen hatte und nur mit Luke sprach. Aber der Moment ging so schnell, wie er kam. Wir stimmten zu und Luke lief wieder davon.  Sobald er weg war drehte sich Marley zu mir:"Warum siehst du aus wie drei Wochen Regenwetter?" Ich verdrehte nur die Augen und ging Richtung Bushaltestelle. "Ach komm schon Lizzy!"

---

Edit: 2020 

New life, Australia // 5SOSWo Geschichten leben. Entdecke jetzt