16. Kapitel

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★Marco★

Wir saßen in Richards Empfangszimmer.

Bens Eltern waren vor wenigen Minuten gegangen und Ben und ich warteten darauf, dass Richard uns sagte, was er von uns wollte.
Aber Ben ließ ihn gar nicht erst sprechen.

„Wann haben sie sich Geld bei dir geliehen?", fragte er in die Stille.
Richard lehnte sich auf dem Stuhl zurück und zog von seiner Zigarette. „Vor fast 11 Jahren. Sie haben aber erst die Hälfte zurückgezahlt, obwohl sie das schon vor drei Wochen getan haben sollten. Ich bin großzügig, vor allem bei meiner Familie, aber das geht zu weit."

Ben schluckte merklich, sodass sein Adamsapfel einmal auf und absprang. „Sie haben mich damals gar nicht zurücklassen wollen oder?"
Richard lachte. „Mach dir keine Hoffnungen, Benjamin. Deine Eltern haben angeboten, dich als Pfand hierzulassen. Ich wollte es anfangs gar nicht. Wozu auch? Ich hatte schon Reece, das Gör, um das ich mich kümmern musste. Aber deine Eltern meinten, du wärst zuhause ohnehin nur im Weg, weil ihre Firma den Bach runter gegangen ist, also habe ich dich eben zu mir genommen. Wer weiß, vielleicht hätten sie dich auch auf der Straße ausgesetzt"

Ben knirschte mit den Zähnen. Das war gar kein gutes Zeichen, denn das zeigte seine innere Wut und bei Leuten wie Ben, die so passiv aggressiv waren und nie zeigten, wie wütend sie waren und das auch niemals rausließen, konnte nur eine Explosion am Ende der Ansammlung von Brennstoffen geben, die seine Wut entfachten.

„Sind wir dann hier fertig?", wollte ich von Richard wissen.
Er quälte Ben unnötig.
„Ja, ihr könnt gehen. Ich halte euch über die Entwicklungen auf dem Laufenden", meinte Richard.
Ich nutzte die Gelegenheit, Ben auf die Beine zu ziehen und ihn vor die Tür zu schieben.

Dort riss er sich dann aggressiv los und ging den Flur entlang. Sogar seine Schritte sahen angespannt aus.
Ich holte joggend zu ihm auf. „Benny, es ist doch alles gut. Hör einfach nicht auf das, was Richard sagt. Und es ist ja eh schon Vergangenheit, das ändert doch nichts"

Ben blieb abrupt stehen und sah mich an, als sei ich die Ursache alles Übels. „Es hätte alles ändern können. Er hätte sagen können, dass meine Eltern keine andere Wahl hatten, sie hätten sagen können, dass sie mich lieben, mich vermisst haben, es bedauern, mich nicht aufgezogen zu haben. Aber all das ist nicht passiert, weil es nicht die Wahrheit ist."
„Du hättest es doch gar nicht hören wollen", sagte ich möglichst einfühlsam, denn ich wusste, dass es die Wahrheit war.
Er hätte nur geschnaubt und den Kopf weggedreht wie eine Diva.

„Aber es hätte vielleicht geholfen", meinte Ben.
„Geholfen wobei? Dein Leben ist oder war doch nicht schlecht." Ich ging auf ihn zu und blieb knapp vor ihm stehen, sodass wir uns direkt gegenüberstanden.

Er schüttelte den Kopf, sogar diese Bewegung sah aggressiv aus. Das kannte ich gar nicht von ihm. Normalerweise war ich der Impulsive und er beruhigte mich. Deshalb wusste ich auch nicht, wie es andersherum funktionierte.

„Geholfen dabei, mich weniger so zu fühlen, wie ich es tue. Ich bin ein Stück Scheiße, das meine Eltern hier abgeworfen haben, als sei das hier eine Kläranlage. Und was eben passiert ist, hat das bewiesen. Sie bereuen es ja nicht mal. Sie haben mich bestimmt keine einzige Sekunde vermisst, aber ich sie schon!"
Er wurde immer lauter, löste die verschränkten Arme und fuchtelte mit den Händen herum.
„Ich habe sie vermisst, ich war ein kleines Kind, verdammt! Ich habe nichts anderes getan! Ich war allein, mir ging es scheiße, und keiner hat sich dafür interessiert! Wo waren meine Eltern, als ich zu Gott gebetet habe, sie würden wieder zurückkommen, als ich geweint habe, weil ich dachte, ihnen sei was passiert? Es gab doch keinen anderen Grund, warum sie mich nicht haben wollten, dachte ich. Aber dem war nicht so. Ihnen ging es blendend. Als ausstehender habe ich zugesehen wie sie ihr Imperium aufgebaut haben, als Fremder. Ich hätte bei meinen Eltern ein gutes Leben gehabt und so eine Geldnot, wie Richard es behauptet hat, hatten wir nie. Es wäre nicht nötig gewesen, mich hier zu lassen. Sie wollten es so. Sie hatten die freie Wahl und sie haben sich gegen mich entschieden! Jeder würde sich gegen mich entscheiden! Nicht mal meine Eltern lieben mich genug, um ihre Aufgabe zu erfüllen! Sehen wir es wie es ist, ich bin einfach überflüssig!"

Er wollte weiter herum schreien, aber ich nahm mir vor, das zu beenden, in dem ich ihn umarmte.
Doch er drückte mich weg und schlug mit der Faust zu. Direkt ins Gesicht.

„Nein, Marco, es reicht mir jetzt endgültig! Ich hab jetzt nicht auch noch die Kraft mich gegen deine Versuche zu wehren, mich zu einer von deinen unendlich vielen Trophäen zu machen!"
Und das war der Moment, in dem die erste Träne, von vielen weiteren, die sich in seinen Augen gesammelt hatten, seine Wange hinunter rannte.
„Ich bin auch was wert, verdammt! Vielleicht wäre es besser gewesen, ich wäre niemals geboren worden, aber jetzt bin ich nun mal hier und habe Gefühle. Und ich habe es satt, dass alle darauf rumtrampeln und mich ausnutzen wollen, vor allem du. Von dir hätte ich es am wenigsten erwartet. Dir habe ich am meisten vertraut und was machst du? Du machst alles kaputt!"

„Ben"

„Nein, Nichts Ben. Was willst du von mir? Ich kann das nicht mehr, vor allem nicht jetzt. Du machst mich fertig, Marco!"
Er musste schneller atmen, starrte mich an, während seine Wangen feucht glitzerten.

Ich entschloss mich, nichts auf sein Gerede zu geben, legte einfach die Hände an seine Wangen und strich ihm mit dem Daumen die Tränen weg.

Erst wollte er mich wegstoßen, aber ich sah ihn warnend an, dann seufzte er und schloss die Augen, während ich hinter seinen Tränen herputze.

Kurz danach ging er einen schnellen Schritt vor, lege die Arme um mich und presste seinen Körper an meinen, wie ein Ertrinkender.
Ich umarmte ihn ebenfalls, wusste, er hatte alles, von dem was er gesagt hatte auch so gemeint, aber das war nicht wichtig.

Ich hatte noch ein ganzes Leben Zeit, um ihm das Gegenteil zu beweisen.

Die Liebe und der beste FreundWo Geschichten leben. Entdecke jetzt