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-Jongyul-

Gerade eben hatte mich Yunai einfach nur ignoriert. Sie war einfach nur an uns vorbeigelaufen. Kein einziger Blick. Und ich war mir gerade nicht sicher, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war.

Ich konnte nur mit Glück davon sprechen, so jemanden wie Jaesung auf meiner Seite zu haben. Ich ging zwar erst seit Kurzem auf seiner Schule, aber trotzdem konnte ich sagen, dass er mir bereits so wichtig war, wie meine Freunde in Busan. Auch wenn er anfangs echt ein Arschloch gewesen war. Ich hatte zu Beginn gedacht, er hätte jeden Tag eine neue Freundin, aber so wie es aussah, hatte er nicht mal eine.

Kaum hatte ich das zu Ende gedacht und kaum hatten wir die Klasse betreten, hörte ich eine männliche Stimme hinter mir.

„Du sabberst mich ja noch von oben bis unten voll!", äffte jemand Yunai nach und fuhr sich dabei gespielt theatralisch durch die Haare. Schlimmer konnte es eigentlich gar nicht werden. Mein Gesicht hatte sowieso schon die Farbe einer überreifen Tomate.

Mein Alptraum hatte sich bewahrheitet. Jetzt würden sie sich für den Rest des Schuljahres darüber lustig machen, dass Yunai mich als schlechten Küsser abgestempelt hatte.

Verwirrt und etwas verunsichert sah ich Jae an, doch der grinste nur in sich hinein. Als er bemerkte, dass ich ihn anschaute, warf er mir einen beruhigenden Blick zu, legte seinen Arm um mich und lehnte seinen Blondschopf gegen meinen Kopf.

Er schien das ja irgendwie komplett gelassen zu nehmen.

„Versteh mal einer die Weiber", kam es nun lachend von den hinteren Reihen und Jae stimmte mit ein.
„Ist ja schön und gut", erwiderte Jaesung neben mir und ich spürte seine tiefe Stimme regelrecht, weil er seinen Kopf immer noch an meinen gelehnt hatte.
„Aber manchmal labern die echt Müll."

Damit löste er seinen Klammergriff auf, schaute mich noch einmal beruhigend an und setzte sich wieder normal hin. Etwas verwirrt, aber sichtlich erlöst ließ ich mich neben ihn fallen und war erst mal geschockt. Mit so einer Reaktion hätte ich nicht gerechnet. 

Dank Jaesung verliefen die ersten Stunden zwar ruhig, doch spätestens dann, als Yunai sich in der letzten Stunde vor uns niederließ, stieg die Panik wieder in mir auf.
„Yunai-", begann ich und sie drehte sich sofort fauchend zu mir um.
„Boah, Jongyul! Weißt du, lass mich doch einfach in Ruhe, okay?"

„Jetzt zick doch nicht alle immer sofort an!", mischte sich Jaesung nun ein und blickte sie an, als würde er sie gleich zerfetzen wollen.
„Tja", entgegnete Yunai nur noch, ehe sie sich nach vorne umdrehte und uns keines Blickes mehr würdigte, „es können halt nicht alle so gut küssen wie du, Jaesung."

„Was meint sie damit?", wollte ich bei Jaesung nachfragen, jedoch brachte mich dieser mit einer schnellen Handbewegung zum Schweigen. Hatte das vielleicht etwas mit seiner Geheimnistuerei zu tun? Er schien mir nach wie vor wie ein einziges Rätsel.

Als sich die Stunde dem Ende zuwandte, griff Jae nach meinem Handgelenk.
„Pack deine Sachen und dann lass uns abhauen!", zischte er und stopfte sich seine losen Notizen in die Tasche. Er schien noch sichtlich genervt von Yunai zu sein und ließ seine schlechte Laune nun an mir aus.

„Hetz mich nicht!", schnauzte ich ihn an und schlug ihm wohl etwas zu kräftig gegen die Schulter. Er verlor das Gleichgewicht, riss seine Tasche mit auf den Boden und konnte sich im letzten Moment fangen.

Oh shit.

„Na warte", knurrte er und hob seine Tasche auf, während ich schon lachend auf der Flucht war. Ich riss trotz Protest des Lehrers gewaltsam die Klassentür auf, schlug sie hinter mir zu und rannte so schnell es ging die Flure runter.
„Stehen geblieben, du Spast!", brüllte Jaesung die Flure entlang. Auch wenn er probierte, ernst zu bleiben, konnte ich die Belustigung in seiner Stimme hören.

Am Haupteingang hatte er mich dann doch eingeholt. Er hatte die Abkürzung durch den Kunstgang genommen, wäre dabei fast in einen Haufen Siebtklässler reingerannt, aber schnitt mir dann letztendlich doch den Weg ab.

Luftringend standen wir also am Haupteingang, als er auf einmal seine Hand auf meine Schulter legte und mich zu sich herumzog.

„Jongyul", begann er, immer noch nach Luft ringend, „ich weiß, dass du diese Yunai magst, aber was sie am See abgezogen hat, war echt nicht okay von ihr. Das musst du doch einsehen."
„Ich weiß", erwiderte ich kleinlaut, als ich sah, wie ernst es Jae war. Er machte sich vermutlich wirklich Sorgen. Vielleicht hatte ich mir einfach zu viel von Yunai erhofft.

„Und das ausgerechnet am See", murmelte er und seufzte.
„Was ist denn mit dem See?"
Nun war ich doch etwas verwundert. Was hatte der See damit zu tun?

„Das ist mein Lieblingsplatz", entgegnete er, während er mich so eindringlich anschaute, als würden seine Augen meine Seele durchbohren. Sein sonst so perfektes Gesicht wirkte auf einmal verletzlich. Dieser Ort schien ihm echt viel zu bedeuten. Vielleicht hatte er ja deswegen eingewilligt, auch zum Klassentreffen zu kommen.

„Und weil es mein Lieblingsplatz ist", fuhr er nun fort, „möchte ich, dass du etwas Gutes damit verbindest. Etwas Besseres, als dieses Klassentreffen."
„Das heißt jetzt konkret was?", fragte ich, durch seine so weiche Seite etwas durcheinandergebracht.

„Das heißt, dass ich dich fragen wollte, ob du Freitagabend mit mir am See übernachten willst."

I'm Not Your Wingman II LGBTQ+✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt