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-Jongyul-

Erst dachte ich, er hätte schon aufgelegt, aber letztendlich antwortete er dann doch.

„Hab dich auch lieb, Jongie."

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Die nächsten Schultage sah ich Jae nicht mehr. Okay, eigentlich sah ich ihn schon. Ich war schließlich in seiner Klasse und saß direkt neben ihm. Aber mental war er irgendwie nicht bei mir. Er war so abwesend. So abweisend.

Aber abweisend auf eine ganz komische Art. Wenn man mit ihm sprach, tat er so, als wäre nichts. Er war freundlich, warmherzig und lieb. So wie er immer zu mir war, wenn er mich mal nicht aufzog. Aber ein Gespräch fing er auch nicht an.

Und weil ich zusätzlich auch noch die meiste Zeit meiner Pausen bei Yunai verbrachte, fühlte es sich irgendwie so an, als würde sich Jaesung immer weiter von mir entfernen. Als würden wir auseinandergerissen werden.

Doch die Zeit, die ich dadurch bei Yunai verbringen konnte, zeigte mir auch etwas. Es regte sich etwas in mir. Die ersten Zweifel nämlich.

Wenn ich ehrlich mit mir selbst war, dann hatte ich mir die Beziehung mit Yunai komplett anders vorgestellt. Dann hatte ich mir Beziehungen im Allgemeinen komplett anders vorgestellt.

Mein neuer Alltag bestand daraus, meine Pausen still und leise neben Yunai zu verbringen. Zwar freute ich mich ungemein, dass ich ihr überhaupt so nahe sein durfte, aber viel zusammen unternehmen taten wir auch nicht gerade.

Wir saßen eigentlich nur nebeneinander. Eigentlich nicht mal das. Eigentlich saß sie bei ihren Freundinnen und redete mit ihnen über irgendeinen Mädchenkram, während ich nur still neben ihr sitzen konnte und wohl oder übel zuhören musste.

Mittlerweile hatte ich mich auch schon ein bisschen öffnen können und diesen schüchternen Mantel ihr gegenüber ablegen können, weswegen ich sie bereits gefragt hatte, ob wir nicht mal wenigstens in den Pausen etwas zu zweit unternehmen wollten.

Nein. Natürlich wollte sie das nicht. Was hatte ich auch anderes erwartet? Sie freute sich nur über meine Anwesenheit, wenn ich ihr in irgendeiner Art und Weise ein Geschenk machte. Dann war sie glücklich und dann kuschelte sie sich auch an mich oder gab mir einen flüchtigen Kuss.

Aber am meisten störte mich eine ganz bestimmte Sache. Die Tatsache, dass Yunai mit ihren Freundinnen über alles und jeden lästerte.

Erst in der letzten Pause machten die drei sich wieder über einen Jungen lustig, der Yunai ein Geständnis gemacht hatte. Wie bekloppte Hühner gackerten sie daraufhin vor sich her und fanden es amüsant, dass der Junge nach Yunais harter Abfuhr geknickt weggerannt war.

Respekt an den Jungen, dass er so cool geblieben war. Ich könnte wetten, dass ich heulend davongerannt wäre. Vermutlich hätte ich nicht einmal den nötigen Mut dazu gehabt, Yunai überhaupt meine Liebe zu gestehen.

Jedenfalls beschäftigten mich diese Zweifel immer noch, als ich zu Hause angekommen war. Langsam aber sicher machte ich mir wirklich darüber Gedanken, ob das mit mir und Yunai eine gute Idee war. Aber vielleicht musste ich der ganzen Sache auch erst ein bisschen Zeit geben? Ich wusste es wirklich nicht.

Etwas bedrückt von diesen ganzen Gedanken, die in meinem Kopf herumschwirrten, stapfte ich die Treppen hoch, nachdem ich etwas gegessen hatte. Mit einem lauten Knall schlug ich die Zimmertür hinter mir zu und ließ mich rückwärts auf mein Bett fallen.

Ich seufzte. Ich wusste doch auch nicht, was gerade mit mir los war. Das mit Yunai lief nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte und Jaesung entfernte sich auch immer weiter von mir. Mit meinen komischen Eltern, die nur ihre Instrumente liebten, konnte ich darüber nicht reden und die gesamte Geschichte meinen Freunden aus Busan zu erklären wäre zu aufwendig gewesen.

Gedankenverloren starrte ich an die Decke. Was würde ich nur dafür geben, wenn Jaesung jetzt hier sein könnte...

Ich erinnerte mich an die Tage, die wir zusammen verbracht hatten. Wie wir uns gegenseitig fertig gemacht hatten, wenn einer von uns an der Konsole sein Kart im Wassergraben versenkt hatte. Oder einmal, als wir mitten in der Woche kläglich an dem Versuch gescheitert waren, abends Lasagne zu machen und daraufhin den Lieferdienst mit Bestellungen überhäuft hatten.

Plötzlich schlich sich wieder die Szene in meinen Kopf, als Jaesung und ich am ersten Abend Essen gemacht hatten. Vor meinem inneren Auge sah ich, wie ich an der Pfanne stand, während ich seine warmen Arme an meinem Oberkörper spürte.

Das war der Moment gewesen, als ich gesagt hatte, dass ich diesmal gleich mit verbrennen würde, wenn ich nicht aufpasste mit der Pfanne. Er würde mich nicht anbrennen lassen. Er liebte mich doch. Das hatte er gesagt.

In dem Moment hatte ich das sehr amüsant gefunden. Wir zogen uns immer gegenseitig auf diese Art und Weise auf. Deswegen war es selbstverständlich, dass ich es als Scherz nahm. Doch jetzt, wo ich in meinem Bett lag und darüber nachdachte, ertappte ich mich dabei, wie ich mir ausmalte, dass er diesen Satz ernst gemeint hätte.

Augenblicklich schoss mir mein Blut in die Wangen. Moment, hatte ich mir gerade wirklich ausgemalt, wie Jaesung mir seine Liebe gestehen würde?! Es brauchte nicht mehr viel und ich fiel noch vom Glauben ab.

Das konnte doch nicht wahr sein. Jetzt stellte ich mir schon vor, wie er ernsthaft etwas für mich empfinden würde! Er, ein Junge! Was war nur los mit mir? Ich stand doch gar nicht auf Männer. Und bei Jae konnte ich mir das genau so wenig vorstellen.

Ich glaubte, ich drehte wirklich komplett durch. Wie verzweifelt musste ich bitte sein, dass ich mir sogar wünschte, dass Jae diese Worte ernst gemeint hatte? Was war bitte falsch mit mir?

Vor lauter Scham vergrub ich mein Gesicht in meinem Kissen. Ich war so unheimlich froh, dass gerade niemand bei mir war und mein dunkelrotes Gesicht betrachten konnte. Doch das verstörendste an der ganzen Situation war einfach gerade, dass mir der Gedanke mit Jaesung und mir sogar gefiel. Irgendwie.

Ok, alles ist gut. Behinderte Gedanken sind ok. Alles ist gut. Du wirst nicht verrückt, Jongyul.

I'm Not Your Wingman II LGBTQ+✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt