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-Jongyul-

Und das ließ ich ihn am nächsten Tag auch deutlich spüren.

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Probieren konnte ich es ja. Entweder würde er mir doch helfen und wenn nicht, hatte ich wenigstens etwas, um ihm auf den Sack zu gehen.

Spätestens nach der zweiten Pause hatte ich allerdings ein riesiges Problem. Dieses Problem hieß Jaesung und es war sauer. Sehr sauer. Ich dachte, ich hätte den Kerl am ersten Tag schon zur Weißglut gebracht, aber da hatte ich mich wohl gewaltig getäuscht. So sauer wie heute war er bisher noch nie auf mich gewesen.

„Wann checkst du es endlich?! Ich helf dir nicht!", schrie mich der Silberlöffel an.
„Kein Grund, gleich so aggressiv zu werden, Herr Yoo", entgegnete ich schelmisch grinsend, weil ich es einfach nur amüsant fand, wie er sich aufregte.

„Gleich aggressiv zu werden?!", wiederholte er.
„Du verfolgst mich jetzt schon den ganzen Tag und langsam geht mir deine alberne Fragerei echt gewaltig auf die Nerven!" Er sprach mit so einer Lautstärke, dass ich befürchtete, der ganze Schulhof würde uns hören.

„Aber was erwarte ich auch von so einem kleinen Milchbubi, der sogar zu blöd zum Gehen ist und alle Leute anrempelt?! Geh nachhause zu Mami oder frag im Kindergarten, ob sie noch einen Platz haben für dich! Vielleicht findest du da ja eine Freundin."

Letzteres sprach er aus, als würde es ihm Ekel bereiten, verzog dabei sein Gesicht und stapfte davon, ohne auf eine Antwort zu warten.

Der Kerl hatte sie doch nicht mehr alle. Der konnte was erleben. Ich bemühte mich sogar extra, ihn nicht mehr so zu heftig zu beleidigen und bekam im Gegenzug die bescheuertsten Sachen an den Kopf geworfen. Ich konnte und wollte das nicht auf mir sitzen lassen. Also konnte Jaesung jetzt selbst sehen, was er davon hatte.

Und wie konnte ich diese silberne Schreckschraube am besten bestrafen? Richtig, mit meiner Anwesenheit. Also beschloss ich, ihn selbst nach Schulschluss nicht in Ruhe zu lassen und folgte ihm unauffällig durch die Straßen. Zum Glück gestaltete sich dies einfacher, als ich gedacht hatte, weil Jaesung durch seinen silbern-blonden Strohkopf unübersehbar war.

Erst jetzt fiel mir auf, wie nah wir eigentlich aneinander wohnten. Er bog nur ein paar Straßen weiter ab, als ich es normalerweise tun würde, um nachhause zu gelangen. Unsere Straßen schienen also nicht so weit voneinander entfernt zu sein. Ich folgte ihm weiterhin und erst, als ich keine Menschen mehr auf den Gehwegen sah, traute ich mich, ihn einzuholen.

„Hey, Jaesung!", rief ich trällernd und konnte schon aus einigen Metern Entfernung sehen, wie er genervt die Augen verdrehte.

„Och nee, was machst du Spast denn jetzt schon wieder hier!?", stöhnte er und ging strammen Schrittes weiter. Ich fuhr meine Lautstärke ein bisschen herunter, als ich eine junge Dame sah, die uns entgegenkam. Es musste ja nicht gleich die ganze Nachbarschaft wissen, dass ich schon nach so kurzer Zeit nichts Besseres zu tun hatte, als fremden Schülern nach Hause zu folgen.

Ich wollte gerade beginnen, ihn weiter bezüglich Yunai auszuquetschen, als er plötzlich festgehalten wurde. Von dieser Dame.
„Hey, was soll das!?", fragte er und schaute die Frau verwundert an.
„Warte mal, Schätzchen. Du bist doch dieser Yoo Jaesung, oder?"

Diese Dame war irgendwie creepy. Kannte sie Jaesung? War sie vielleicht sowas wie seine Cousine? Sie sah ziemlich jung aus. Vielleicht Anfang zwanzig oder so. Aber das konnte nicht sein, dann hätte sie nicht so eine dumme Frage gestellt. Während sie redete, ließ sie Jaesung nicht mehr los. Ihre Hände wanderten über seine Schultern zu seinen Jackenärmeln. Ich wurde übrigens komplett ignoriert und stand nur wie so ein Strich in der Landschaft in der Gegend rum.

„Ja, aber was wollen Sie von mir?", fragte die Schreckschraube und versuchte sich vergebens zu befreien. Ich wäre komplett ausgerastet, wenn mich so ganz plötzlich jemand auf der Straße abgefangen hätte, aber Jaesung blieb erstaunlich gelassen.
„Ich kenne dich. Ich wohne ein paar Häuser weiter", jetzt kam sie ihm immer näher, „und ich dachte mir, dass wir vielleicht mal...einen Kaffee oder so zusammen trinken gehen könnten."

Abwartend schaute sie meinem Klassenkameraden in die Augen. Also ich kannte den Idioten ja noch nicht lange, aber eines konnte ich definitiv sagen: Er wollte absolut nicht mit dieser Frau einen Kaffee oder sonst was trinken. Anfangs blieb er noch cool, aber mittlerweile schien die Verzweiflung durch sein Pokerface. Man musste kein Profi sein, um zu sehen, wie angewidert er von dieser Flirtaktion war. Damit hatte er bestimmt öfters zu kämpfen. Es gab schließlich genug Mädchen, die in ihn verschossen waren.

Der Typ hatte mich bisher nur blöd angefahren. Ich war neu hier, ich brauchte Hilfe bei etwas, aber er hatte wie wild dagegen angefochten. Na gut, ich ging ihm auf die Nerven. Er hasste mich wahrscheinlich schon.

Ich wusste nicht, was auf einmal in mich gefahren war, aber irgendwie wollte ich ihm helfen. Ich stellte mir vor, wie panisch ich reagiert hätte, wenn das eine wildfremde Person bei mir getan hätte. Und ich stellte mir auch vor, wie er neben mir stehen würde und mich einfach die ganze Zeit nur beobachten würde. Nichts tun würde. Nicht mal den Anschein machen würde, mir zu helfen. Und ich würde da stehen und innerlich abkratzen vor Angst.

Ich musste irgendwas tun. Jetzt.

Ich räusperte mich. Die beiden lösten ihre Blicke voneinander und starrten mich an. Shit. Und jetzt? Irgendwas musste mir nun auf die Schnelle einfallen. Nur was? Was tat man in so einer Situation? Da kam mir die rettende Idee. Auch, wenn sie verrückt war und nach hinten losgehen konnte, ich musste es probieren. Jetzt oder nie.

Ich ging einen Schritt auf Jaesung zu, schlug die Hände der Frau weg und ergriff seine rechte Hand. Seine warmen, verschwitzten Finger umschlossen meine und nun standen wir händehaltend vor dieser Frau.

Er würde mich für diese Aktion so hassen, das wusste ich jetzt schon. Ich hasste mich ja selbst dafür.
„Jaesungie wird garantiert nicht mit Ihnen auf ein Date gehen", begann ich und schmiegte mich noch enger an Jaesungs wahrscheinlich vor Wut kochenden Körper. Mein Herz begann zu rasen. Was hatte ich eigentlich immer für unglaublich bescheuerte Ideen?

Wenn man das als Außenstehender betrachtete, musste das wahrscheinlich komplett verrückt aussehen. Zum Glück war außer der Frau sonst niemand zu sehen. Zweifelnd zog sie eine Augenbraue hoch.

„Und warum darf ich nicht mit ihm nen Kaffee trinken? Wer hat dich überhaupt gefragt?", erwiderte sie und schaute mich herablassend an.

Ich blickte Jaesung für einen ganz kurzen Moment in die Augen. Wir durften uns jetzt nicht anmerken lassen, dass wir uns eigentlich hassten. Leicht nickte er mir zu. Er hatte verstanden, was ich von ihm wollte. Und er schien sogar mitzuspielen. Er drückte meine Hand fester.

„Sie gehen mit Jaesung nirgendswo hin, weil Jaesung nur mit mir auf Dates geht", sagte ich so selbstbewusst wie ich konnte. Das leichte Beben in meiner Stimme hatte hoffentlich nur ich wahrgenommen.

„Tss! Dass ich nicht lache!", grinste die blöde Nuss. Scheiße. Wie erwartet kaufte sie es mir nicht ab. Panisch schaute ich wieder zu Jaesung. In was für eine dumme Situation ich uns doch gebracht hatte! Doch um darüber nachzudenken fehlte mir gerade die Zeit und der Nerv. Wenn Jaesung eine rettende Idee hatte, dann bitte jetzt. Und tatsächlich machte er den Mund auf und begann zu sprechen.

„Sie glauben uns nicht?", fragte er spöttisch und ließ meine Hand los, nur um mich am Unterarm zu packen.
„Nun, dann müssen wir es ihnen wohl irgendwie beweisen, Baby", fuhr er fort. Dieses teuflische Grinsen, das sich dabei auf seinem Mund bildete, gefiel mir gar nicht. Als würde er Rache dafür nehmen wollen, dass ich ihn den ganzen Tag über provoziert hatte. Ruckartig und ehe ich überhaupt reagieren konnte, zog er mich noch näher zu sich, legte er eine Hand auf meiner Hüfte ab und hob mit der anderen mein Kinn an.

Nicht gut, nicht gut, nicht gut.

Der Abstand zwischen ihm und mir verringerte sich immer weiter. Ich konnte nichts machen. Wenn ich mich wehrte, würde unsere Lüge auffliegen.

Und dann passierte es einfach. Zögerlich legte er seine Lippen auf meine und wir küssten uns. In der Öffentlichkeit. Vor einer wildfremden Frau.

I'm Not Your Wingman II LGBTQ+✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt