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-Jongyul-

„Pass doch auf, wo du hinläufst!", beschwerte sich der Junge, in den ich gerade reingelaufen war, lautstark und schenkte mir einen Todesblick.

Ich hasste Montage einfach. Das lag daran, dass es nichts Besseres gab, als das ganze Wochenende entspannt zuhause zu verbringen. Montags dann wieder pünktlich aufzustehen war das schwierigste überhaupt.

Aber noch schlimmer als Montage waren die ersten Schultage nach den Ferien. Egal nach welchen Ferien. Sie waren alle einfach nur schrecklich. Die letzten Ferientage verbrachte ich grundsätzlich auch nur damit, den ersten Schultag zu fürchten, der mich erwartete.

Nun, warum das alles? Es war Montag. Und es war der erste Tag nach den Märzferien.

Und zu meinem Pech musste ich am ersten Tag an meiner neuen Schule auch noch in diesen Jungen reinlaufen, der plötzlich um die Ecke geschossen war. Er schaute mich nun so wütend an, dass ich viel zu perplex war, als dass mir ein guter Konter eingefallen wäre. Seine Haare, von denen ich nicht wusste, ob sie silbern oder blond glänzten, fielen ihm vereinzelt in sein Gesicht und verdeckten somit zumindest teilweise seine böse funkelnden Augen. Der Kerl sah wirklich stocksauer aus und stapfte anschließend wütend davon.

Das fing ja alles mal wieder sehr vielversprechend an. Hätten wir nicht unbedingt umziehen müssen, wäre das alles gar nicht passiert und ich hätte bei meinen Freunden in Busan bleiben können. Aber so sehr ich es mir auch wünschte, es ging nun einmal nicht. Meine Eltern waren Orchestermusiker.

Meine Mutter war Cellistin. Sie spielte Cello im Staatsorchester in Seoul. Dort hatte sie, genau wie mein Vater, vor knapp drei Monaten eine Zusage bekommen. Deswegen waren wir auch umgezogen. Mein Vater war Dirigent und weil die Stelle als Dirigent im Staatsorchester von Seoul gerade frei wurde, als meine Mutter die Zusage erhielt, machte er sich diese Gelegenheit natürlich zunutze.

Dass er Spaß daran hatte, andere Leute herum zu dirigieren, merkte ich auch zuhause. Wenn er denn mal da war.

Am Anfang war mir das egal, nur als ich erfuhr, dass wir dafür nach Seoul ziehen mussten und ich mitkommen musste, fand ich das alles schon nicht mehr so lustig. Durch ihren Job verbrachten meine Eltern die meiste Zeit mit ihren Instrumenten, sie kümmerten sich sowieso nicht um mich. Ich war siebzehn, ich war alt genug, um auf mich selbst aufzupassen. Also hätte ich doch auch in Busan bleiben können.

Hatte ich nicht alles Recht, sauer auf meine Eltern zu sein? Es war März! Das hieß, dass ich mich kurz vor den Abschlussprüfungen noch an eine neue Schule gewöhnen musste! Wie sie den Schulwechsel organisiert bekommen hatten, war mir sowieso ein Rätsel.

Immerhin waren wir bereits vor knapp einer Woche angekommen. Der Umzug hatte Ewigkeiten gedauert, aber nach langem Hin-und Herfahren waren wir endlich fertig. So konnte ich wenigstens die Schule schon mal ausfindig machen, damit ich mich nicht gleich am ersten Tag verlief.

Das dachte ich zumindest.

Jetzt hatte ich mich nicht nur verlaufen, sondern war auch noch in diesen Silberlöffel reingerannt. Obwohl er mich ja mehr wie ein Silbermesser angeschaut hatte, so grimmig wie er war.

Als der Junge um die nächste Ecke verschwunden war, schlenderte ich einen der unzähligen Flure entlang. Ich hoffte einfach mal, dass es so aussah, als hätte ich eine Ahnung, wo ich hinlaufen würde. In Wahrheit hatte ich nämlich absolut keinen Plan, in welche Richtung ich zu laufen hatte, aber das musste ja niemand wissen.

Ich schaute mich um und las mir ein Schild durch, das am Ende des Ganges hing. Immerhin schien ich schon mal einigermaßen richtig zu sein. Es ging hier nämlich zu den Klassenräumen der elften und zwölften Klassen.

Viel Zeit hatte ich allerdings nicht mehr. In sieben Minuten würde die Stunde beginnen und ich wollte ungern gleich in die erste Stunde reinplatzen, weil ich zu spät kam.Verzweifelt hielt ich nach jemandem Ausschau, der mir vielleicht helfen konnte, doch die ganzen Schüler waren zu sehr in irgendwelche Gespräche vertieft.

„Und du bist sicher, dass das Jaesung in der Stadt war?", fragte das Mädchen, das ich nach dem Weg fragen wollte, ihre Freundin. Sie quiekten einmal kurz auf, aber hielten sofort ihren Mund, als sie mich kommen sahen.
„Könnt ihr mir vielleicht helfen? Ich suche Klasse 12b", erklärte ich den Mädchen.
„Ja klar", antwortete die eine mit den langen, dunklen Haaren, „komm einfach mit uns mit, wir sind in der 12b."

Ach, da hatte ich ja mal ausnahmsweise Glück gehabt. Ich trottete also den beiden Mädchen hinterher und beobachtete, wie sie die große Holztür öffneten und die Klasse betraten. Ich hingegen lehnte mich einfach an die Wand gegenüber der hölzernen Klassenraumtür. Ich hatte noch keine Lust reinzugehen. Immerhin wusste ich als neuer Schüler auch absolut nicht, wo ich mich hinsetzen sollte.

Von Weitem hörte ich die Mädchen weiterreden. Ich bekam nicht viel mit, aber soweit ich das richtig verstand, redeten sie über einen anscheinend total gut aussehenden Jungen namens Jaesung oder so was in der Art. Ob er auch in meiner Klasse war?

Aber wirklich lang konnte ich über diese Frage nicht mehr nachdenken, denn plötzlich wurde der ganze Flur still. Die Jungs hörten auf, lautstark zu lachen, einige Schüler schauten in die Richtung, aus der auch ich gekommen war und das Tuscheln der Mädchen wich einem leisen Kichern. Was war denn jetzt los?

Ich tat es den anderen gleich und schaute den Schulflur hinunter. Erst hörte man einige Mädchenstimmen reden, auf die eine tiefe Stimme antwortete. Als diese tiefe Stimme um die Ecke in den Flur einbog, in dem ich gerade stand, wurde das Gekicher der Mädchen lauter. Und dann sah ich ihn auch.

Ein Junge mit blond-silbern gefärbtem Haar kam den Gang entlang geschlendert. Es war aber nicht irgendein Junge mit gefärbtem Haar. Es war der Junge. Der Spacken, der mich vorhin so angeschnauzt hatte. Er schaute aus dem Fenster und lächelte, während er, umgeben von sehr vielen Schülern, mit einem Jungen sprach.

Der Junge verabschiedete sich mit einem Winken von ihm, ehe er im nächsten Gang verschwand. Nun kam der silbern glänzende Blondschopf immer näher. Er schien direkt auf das Klassenzimmer zuzulaufen, vor dem ich stand.

„Oh mein Gott, da ist Jaesung! Und er hat sich die Haare gefärbt!", flüsterte ein Mädchen mit kurzen, braunen Haaren, die nicht weit von mir entfernt stand.
„Ja, jetzt ist er noch heißer als vor den Ferien", bestätigte ein anderes Mädchen, die ihre Freundin nun enthusiastisch umarmte, und rückte ihre Brille zurecht.

Ah, alles klar. Dieser Typ, den hier anscheinend alle so feierten, musste dann wohl Jaesung sein.

Als ich ihn wieder anschaute, war er nur noch einige Meter vom Klassenzimmer entfernt. Trotzdem standen zwischen uns noch einige Schüler. Auf einmal riss er seinen Blick vom Fenster los. Aber anstatt mit den Menschen zu reden, die mich halb verdeckten, schaute er mich direkt an. Seine dunklen Augen musterten mich von oben bis unten, bis sie sich in meinem Blick verfingen. Erst jetzt sah ich, wie unglaublich schön er für einen Jungen war.

Er hatte so ein perfektes Gesicht, dass man denken konnte, er wäre aus Porzellan gefertigt. Irgendwie war diese Perfektion beängstigend, aber er schaute mich immerhin nicht mehr wütend an.

Ich konnte seinen undefinierbaren Blick nicht deuten, ehe er die Tür aufstieß und das Klassenzimmer betrat.
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Hallo an alle Leser, die sich tatsächlich erfolgreich durch das erste Kapitel gekämpft haben.
Ich war immer zu schüchtern, meine Geschichte hier hochzuladen und sehe die diesjährigen Wattys als Challenge für mich. Und als Motivation, mich endlich mal zusammenzureißen und das hier hochzuladen.

Ich hoffe, dass das Hochladen dieser Story nicht nur für mich, sondern auch für euch eine kleine Bereicherung sein wird <3

I'm Not Your Wingman II LGBTQ+✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt