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-Jongyul-

Ich konnte nur eine schwarze Gestalt erkennen, ehe ich dem enormen Druck nachgeben musste, das Gleichgewicht verlor und rückwärts umkippte.

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Ich kippte zwar, aber ich fiel nicht. Ich kniff schon aus Reflex die Augen zusammen, weil ich befürchtete, gleich auf dem harten Boden zu landen, als ich plötzlich zwei warme Hände spürte, die mich umfassten.

Ein verängstigtes Schreien entwich meiner Kehle, doch es blieb auf halbem Weg in meinem Hals stecken.

„Ich hab dich", flüsterte der Mann, dem ich bisher noch nicht ins Gesicht schauen konnte. Er zog mich nah an sich und schloss mich in eine innige Umarmung. Dieser Geruch kam mir so vertraut und doch so fremd vor. Doch jetzt, wo er mit seiner sanften Stimme sprach, wusste ich genau, dass das Jaesung sein musste. Sofort schossen die ganzen Bilder wieder in meinen Kopf und meine Augen füllten sich mit Tränen. Ich wollte nicht schon wieder weiter heulen. Ich hatte gerade erst aufgehört damit, aber ich konnte nichts dagegen tun.

Zwanghaft versuchte ich, die Bilder zu verdrängen, die sich gerade einen Platz in meinem Kopf geschaffen hatten. Wie er dort gestanden hatte mit ihr. Diese Bilder hatten sich tief in meinen Verstand eingebrannt. Es war wie eine Seuche, die ich nicht mehr loswurde.

„Lass mich in Ruhe und verschwinde."
Ich sprach erstaunlich ruhig und gefasst, wenn man bedachte, dass ich innerlich vor Wut und Frust kochte. Als er mich immer noch nicht losließ, riss mir aber langsam der Geduldsfaden.

„ICH HAB GESAGT LASS MICH IN RUHE!"

Meine Stimme brach. So stark ich es mit meinem schwachen Körper schaffte, stieß ich mich von ihm weg und schaffte es einigermaßen, mich aus seiner Umarmung zu befreien. Jaesungs Umarmungen spendeten mir immer Trost und ich fühlte mich immer so geborgen bei ihm, aber nach allem, was passiert war, war mir gerade echt nicht nach Umarmen zumute.

Er entfernte sich einige Schritte von und hielt mir nun eine Tasche unter die Nase. Es war meine Tasche. Schlagartig fiel mir auf, dass ich meine Schultasche heute einfach in der Schule zurückgelassen hatte.

„Die hast du ja liegenlassen...", murmelte er und senkte den Kopf. Ruckartig wollte ich ihm die Tasche entnehmen, da packte er auf einmal wieder mein Handgelenk und zerrte mich die Treppenstufen zu meinem Zimmer hinauf.

„Lass das, Jaesung!" Ich wehrte mich mit aller Vehemenz, aber es funktionierte nicht. Jaesung schliff mich in mein Zimmer und kaum hatten wir es betreten, da knallte er auch schon die Tür hinter mir zu.

„Jongyul, wir müssen reden", begann er und schaute mich mit dem intensivsten Blick an, mit dem er mich jemals angeschaut hatte. Es fühlte sich so an, als würden seine Augen meine Seele durchbohren.

„Ja, wir müssen reden!", fauchte ich ihn an. Was bildete der sich eigentlich ein? Um die Uhrzeit zu mir zu kommen und mir eine lächerlich dumme Entschuldigung zu liefern? Sorry, aber das konnte er sich sparen. Auf ihn würde ich sicherlich nicht noch einmal reinfallen.

Gut, aber wenn er es so wollte, dann konnte er es haben. Dann konnte ich ihm immerhin jetzt mal gehörig meine Meinung sagen.

„Weißt du Jae", begann ich relativ gefasst, doch das änderte sich schnell, als ich ihm in die Augen schaute.
„ICH HAB DIR VERTRAUT!"
Mit meinem Zeigefinger hämmerte ich auf seine Brust ein, während meine Stimme erneut begann, gefährlich zu beben.

„Ich dachte wirklich, wir wären Freunde oder sowas. Richtig gute Freunde. ABER DU ERZÄHLST MIR JA NICHT MAL, WAS DIESE KUSSSCHEIßE SOLLTE, VERDAMMT NOCHMAL!"

Jetzt war er es, der wütend wurde. Er griff meine Finger, die immer noch auf seinen Brustkorb einhämmerten und drückte mich immer weiter in mein Zimmer hinein.
„Kannst du nicht mal für EINE Sekunde diesen scheiß Kuss vergessen? Ich erklär dir das später!"

„Ach, also ist sich der werte Herr Yoo zu schade, um die Sache direkt zu erklären oder was?!"

Er atmete einmal tief ein und aus, während ich richtig sehen konnte, wie er mit den richtigen Worten kämpfte.

„Ich hab's aufgenommen", haute er dann schließlich raus, woraufhin meine Kinnlade entgleiste. Verstört schaute ich ihn an, denn ich war mir nicht sicher, was er damit meinte.

„Du sollst bitte was gemacht haben?"

„Ich hab's aufgenommen", wiederholte er noch einmal, als gäbe es nichts Logischeres auf dieser Welt. „Ich hab alles auf Audio aufgenommen. Alles was sie gesagt hat. Und ich will, dass du dir das anhörst, bevor du dir jetzt irgendeine Scheiße zusammenreimst!"

„Muss ich das jetzt verstehen?", fragte ich, immer noch mit entgleisten Gesichtszügen nach. Wir beide hatten uns aber sichtlich beruhigt. Die Lautstärke hatten wir auch runtergefahren, brachte ja sowieso nichts, den Spasten anzuschreien. Das würde seinen Verstand ja nicht zurückholen. Wenn er denn überhaupt jemals ein Stückchen Verstand besessen hatte.

„Nein, du musst es nicht verstehen. Alles, was ich will ist, dass du dir die Sprachaufnahme anhörst. Danach kannst du mich verurteilen, Deal?"

Nachdem er mich gezwungen hatte, auf meinem Bett Platz zu nehmen, setzte er sich neben mich, zückte sein Handy, entsperrte es und hielt mir die Datei unter die Nase. Sollte ich das wirklich machen? Was war, wenn das nur wieder einer seiner dummen Tricks war? Schwer schluckend nahm ich sein Handy an mich. Mein Herz pochte gegen meinen Brustkorb. Mein Puls raste. Die letzte Träne rannte mir über die Wange und benommen von der Angst vor dem, was mich gleich erwartete, drückte ich mit zittrigen Fingern auf Play.

I'm Not Your Wingman II LGBTQ+✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt