• Schmerzende Erkenntnis •

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Mit pochendem Kopf öffnete ich meine Augen um dann mit gerunzelter Stirn meine Umgebung zu begutachten. Erst als ich das Bild neben mir erkannte wusste ich wo ich war. In meinem Zimmer, und neben mir lag ein tief schlafender Anthony. Stöhnend fuhr ich mir über mein Gesicht und rieb mir die Augen, welche geschwollen von den ganzen Tränen waren. Langsam, viel zu langsam für mein Alter, zwang ich mich aus meinem Bett und lief mit knarrenden Knochen aus meinem Zimmer ins Bad. Ich fühlte mich so als wäre ich in den letzten Tagen um ein dreifaches gealtert. Die ganzen Probleme und all die Trauer drückten mir auf den Schädel. Ich wusste nicht wie ich das alles überstehen sollte. Spät, viel zu spät kam mir mein Bruder in den Sinn. Ob er gerade in seinem Zimmer war? Oder vielleicht auch unten saß und fern sah? Vielleicht war er aber auch bei irgendeiner Tuss und vergnügte sich mit ihr. Wütend über meine Gedanken spritzte ich mir das kühlende Wasser welches aus den Leitungen in das Waschbecken floss in mein Gesicht. Wusch mir die salzigen Überreste von meinen Wangen. Wieder sah ich in den Spiegel um dann das altbekannte Gesicht vor mir zu begutachten. Müde starrte mich mein Spiegelbild an, mit roten Augen und darunter tiefe dunkle Tränensäcke. Ich war etwas bleich um die Nase und meine Wangen wirkten eingefallen. Laut pustete ich mit gespitzten Lippen Luft aus meinem Mund. Mich krippelte es in meinen Fingerspitzen zu wissen das Shane, dieser für den ich soviel empfand, welchen ich so sehr begehrte, so sehr wollte, vielleicht direkt im nächsten Zimmer war. Mit seinen braunen verwuschelten Haaren und den glänzenden grünen Augen. Mit seiner tiefen rauen Morgenstimme. Meine Hände krallten sich an den Rand des Waschbeckens. Jetzt wusste ich wieder wieso ich abgehauen war. Ich wusste dass das hier die pure Folter war. Es brachte nichts darüber zu spekulieren was er tat, wo er war oder wie er aussah. Wenn wir uns begegneten würde er mich hassen. Verachten. Ich hatte Angst vor diesem Blick. Dieser Blick der sich tief in mein Gehirn einfressen würde. Seufzend lief ich aus dem Badezimmer und lenkte den Weg zu den Treppen nach unten ein. Nach den ersten Stufen war die Haustür zu sehen und noch etwas weiter der Flur. Abrupt blieb ich stehen und starrte mit augerissenen Augen zu der Person welche gerade ebenfalls zu mir hinauf sah. Tief sah er mir in meine blauen Augen. Doch lag ich falsch mit dem was ich gedacht hatte. Gedacht hatte das er mich hassen würde, denn nichts war in dem Augenpaar vor mir zu erkennen. Keine Emotionen zeigten sich in ihnen. Pure Kälte starrte mir mit in meine Seele. Mein Herz zog sich schmerzvoll zusammen ehe er den Augenkontakt abbrach und mit einer Sporttasche aufgeschultert die Haustür öffnete und aus dieser trat. Kurz darauf schallte das Klicken des Schlosses durch die Wände. Er war gegangen. Konnte meinen Anblick vermutlich nicht ertragen. Mit gemischten Gefühlen lief ich die letzten Treppenstufen hinab und stellte mich genau an die Stelle an der er bis gerade eben noch gestanden hatte. Sein Duft lag schwer in der Luft und ich sehnte mich danach ihn zu spüren. Mit meiner Hand seine Wangenknochen hinab zu fahren. Seine Muskelpartien unter meinen Fingerkuppen zu spüren. Jedoch wusste ich dass das niemals wieder passieren würde und ich war auch noch selbst schuld daran. Sollte ich ihm alles erzählen? Ihm das Bild von seinem verstorbenen besten Freund zerstören? Nur weil ich ihn vermisste? Nein. Das war egoistisch. Ich war egoistisch. Und genau das durfte ich nicht sein. Ich hatte keine Ahnung wie er reagieren würde. Ob er mir überhaupt glauben würde. Eine Hand legte sich sanft auf meine Schulter was mich aus meinen Gedanken riss. Mit der Hoffnung Shane würde hinter mir stehen, was natürlich total unglaubwürdig wäre, drehte ich mich um. Nur um kurz darauf enttäuscht in das Gesicht von Anthony zu blicken. Mit zusammen gezogenen Augenbrauen musterte er meiner Wenigkeit. "Du siehst aus als hättest du einen Geist gesehen", scherzte er. Gequält zwang ich mir ein lächeln ins Gesicht. "Willst du einen Caffé?" Strahlend nickte er worauf wir in die Küche liefen und dort meine Mutter auffanden, welche konzentriert ihre Nägel feilte. Als sie uns bemerkte sah sie auf und man konnte schier schon erkennen wie sich ihre Augen bei meinem Anblick verdunkelten. "Ah, ist Madame auch mal zur Besinnung gekommen?" Ich versuchte mich zu erklären und stammelte unzusammenhängende Wörter, als sie mich mit einem zischen und erhobener Hand unterbrach. "Ich will es garnicht hören. Du warst der schlimmste Fehler den dein Vater und ich machen konnten. Wäre er hier und nicht auf einer Geschäftsreise würde er dich gehörig in die Schranken weisen. Du solltest dich schämen! Weist du welche sorgen sich dein Bruder gemacht hat?! Jeden Tag ist er nach dir suchen gegangen! Er war schon kurz davor die Polizei zu rufen! Weist du was? Geh. Geh einfach und lass dich hier bloß niewieder blicken. Du bist sowieso bald 18. Verschwinde einfach. Du bereitetst nur Probleme. Wegen dir bekommen ich noch Sorgenafalten."

Wow. Das hatte gesessen. Größter Fehler also. Ich konnte spüren wie sich meine Gesichtszüge verkrampften und nur mit Anstrengung konnte ich meine Tränen unterdrücken. Es war kein schönes Erlebnis von seiner eigenen Mutter ein Fehler genannt zu werden, auch wenn ich ja eigentlich schon wusste was sie von mir hielt, so tat es doch weh. Unglaublich weh. Meine Gefühle waren nicht zu beschreiben. Alles brodellte. War ja nicht so als hätte ich so schon genung Probleme. Nein! Jetzt musste ich auch noch auf der Straße schlafen! Meine Hände ballten sich zu Fäusten. Tief krallten sich meine Nägel in mein Fleisch. Ich konnte kaum noch klar denken so wütend war ich auf dieses Miststück vor mir. Ein Loch grub sich tief in meine Brust. Verschlung alles. Zu spät konnte ich mich zähmen bevor ich rasend vor Wut auf meine Mutter sprang und sie von ihrem Stuhl auf den Boden stieß. Tränen flossen mir hinunter und meine Venen pochten vor Adrenalin. Ich war wütend. Unglaublich wütend. Jedoch weniger auf sie als auf mich. Mich quälte es das ich so schwach war. Das mir ihre Aussage so nah ging. Mich doch so sehr verletzte. Mit Fäusten schlug ich auf ihren Körper und hier und da kratzte sie mich mit ihren künstlich bemalten Krallen. Tiefe Kratzer hinterließen sie und doch lies ich mich nicht beirren. Ein dumpfes Geräusch hinterließ meine Hand welche immer wieder in das botoxbespritzte Gesicht meiner Mutter traf. Bei jedem Schlag fühlte sich meine Seele befreiter an. Erleichterter. Immer stärker prügelte ich in ihre Visage, teils mit flacher Hand teils mit geballter, ehe ich Aufstand und sie mit meinem Fuß unten hielt. Voller Hass sah ich in ihre Augen bevor ich mitten in ihr demoliertes  Gesicht spuckte. "Du hast es nicht verdient zu leben, du elendige Hure." Hektisch krallte ich nach einem Messer welches auf dem Küchentisch lag. Soviel staute sich in mir auf. Soviel hatte ich hinunter schlucken müssen. Die Trauer um Ralley, der Verlust von Shane und jetzt auch noch sie. Ich war ein Wrack. Kaputt. Mehr konnte mein Körper nicht vertragen. All die Beleidigungen von meinen Klassenkameraden, ständig die ihre.  Einen Vater der nie da war für mich. Tränen flossen abermals über mein Gesicht. Benetzten meine haut. Mein Herz pochte laut in meinen Ohren. Nur verschwommen erkannte ich die solche welche sich Mutter nannte unter mir. Mit aufgerissenen Augen sah sie in mein Gesicht. Angst spiegelte sich in ihnen. Angst um ihr gottverdammtes leben. Mit zittertenden Händen umklammerte ich das Fleischermesser in meiner Hand. Als diese plötzlich von zwei viel zu großen umfasst wurde. Mitfühlend erblickte ich die blauen Augen von Anthony. "Denk nach, Claire. Ist sie es wert in den Knast zu kommen? Das du dein ganzes leben verbaust?" Er hatte recht. Würde ich das hier tun so würde ich mein ganzes restliches leben zerstören. Falls das überhaupt noch ginge. Klirrend viel das Messer auf den Küchenboden ehe ich an einem Heulkrampf erleidend zusammenbrach und mich zu einer Kugel rollte. Sanft strichen die Hände von Anthony über meinen Körper ehe er mich auf seine Arme nahm und mich aus diesem Haus trug.

SiblingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt