Alltag

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Am Abend desselben Tages sass ich nervös in meinem Zimmer und starrte auf das Telefon vor mir, das Miro mir gerade eben überreicht hatte. Fynn hatte mir erlaubt, endlich meine Mutter zu kontaktieren, was ich mit Freude zur Kenntnis genommen hatte, nur wusste ich nicht so recht, was ich ihr überhaupt sagen wollte...oder sollte. Daher musste Miro auch im Zimmer bleiben, um sicher zu gehen, dass ich nichts ausplapperte, was geheim war. 

Ich tippte mit zittrigen Fingern die Nummer meiner Mutter ein und legte das Handy an mein Ohr, wo ich das bekannte Piepen wahrnahm und atmete tief durch. Du schaffst das, Cierra. 

Miro lächelte mir aufmunternd zu und setzte sich neben mich, um danach einen Arm um mich zu legen, so dass ich meinen Kopf an seine Schulter lehnen konnte. Das beruhigte mich etwas.

„Hallo?" hörte ich die Stimme meiner Mutter fragen, was meinem Herzen einen Sprung versetzte und mich auf einmal überglücklich werden liess. Ich hatte gar nicht realisiert, wie sehr ich sie vermisst hatte, bis zu diesem Moment. 

„Hey Mom, ich bin's," sagte ich leise und hörte, wie sie scharf die Luft einzog.

„Cierra?" vernahm ich ihre, voller Hoffnung klingende Stimme und konnte nicht anders, als Miros Hand zu ergreifen und sie fest zu drücken. 

„Ja, Mom, ich bin es. Wie geht's dir? Ist alles gut zu Hause? Kommst du zu Recht, ohne mich?" Ich wusste, dass ich sie mit Fragen geradezu überflutete, aber ich konnte nicht anders. Ich musste hören, dass es ihr gut ging, sonst würde ich niemals mehr ruhig schlafen können. 

„Keine Angst, Kleines, mir geht es gut. Alles ist ok. Mich interessiert viel mehr, wie es dir geht? Wie ist dein neuer Job? Ich hoffe, alle anderen sind nett zu dir. Isst du auch genug?" So kannte ich meine Mutter, immer besorgt um mich. Sie kannte nichts anderes. 

„Es ist super hier, Mom," log ich mit meiner aufgesetzt freudigen Stimme, „alle sind extrem nett zu mir, weil ich die Neue bin. Und der Job....tja, du weisst ja, der ist eben wie jede andere Arbeit. Manchmal langweilig, manchmal spannend." 

„Und wie ist deine Unterkunft? Wohnst du alleine?" wollte meine Mutter weiter wissen.

„Nein, ich hab ne echt nette Zimmernachbarin, du würdest sie mögen. Ihr Name ist..." Ich suchte fieberhaft im Raum umher, bis meine Augen schliesslich auf Miro landeten, „ihr Name ist Mira."

„Oh wie schön, dann hast du bereits eine Freundin gefunden, das ist wunderbar Cierra. Du weisst gar nicht, wie froh ich bin, das zu hören und das es dir gut geht. Das ist alles, was ich jemals wollte."

„Ich bin auch froh Mom," gab ich zu, obwohl ich wusste, dass ich hier nicht glücklich war, aber das musste sie nicht wissen. Desto weniger sie wusste, desto besser. 

„Und was machst du gerade? Geht ihr Mädchen heute Abend noch aus? Denkst du, ich kann dich mal besuchen kommen und mir ansehen, wie du jetzt so lebst? Ich vermisse dich schrecklich."

„Äh," ich hatte keine Ahnung, wie ich darauf antworten sollte, „Mira....duscht gerade, die kann nicht ans Telefon kommen, du weisst ja wie wir Frauen sind, wir müssen uns immer schön machen. Und weisst du was? Es wäre praktischer, wenn ich dich besuchen kommen würde, weil hier ist gerade echt viel los, Stress und so...kennst du ja. Aber Mom, ich muss jetzt auflegen, wir wollen noch in diesen neuen Club hier in der Gegend gehen."

„Oh ok...wenn du meinst, aber ich vermisse dich wirklich Kleines, also warte nicht zu lange mit deinem Besuch und wage es ja nicht, nochmals so lange nicht anzurufen. Ein Anruf pro Tag wäre schön."

„Ich versuche, das hinzukriegen, versprochen, ich vermisse dich auch," schwor ich, obwohl ich schon jetzt wusste, dass das nicht funktionieren würde. Fynn würde das sicherlich niemals  erlauben, dafür war er viel zu stur. 

Gangs - Taken Innocence Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt