▪︎Kapitel 1▪︎Bloß weg hier!

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PoV Becc

Wie ich sie doch hasste! Alles an ihr, alles! Und nein das war jetzt ausnahmsweise nicht an die Person, die ich tagtäglich im Spiegel sehe gerichtet, sondern an sie... meine Mutter.
Wie gern wäre ich doch nach der Trennung bei meinem Vater geblieben und nicht bei ihr.
Dann wäre ich jetzt nicht rausgeflogen und müsste mir jetzt nicht nur einen Job, sondern obendrein auch eine Bleibe suchen.
Na gut vielleicht bin ich doch irgendwie auch selbst Schuld, weil ich ja so "anders" bin. Ich konnt trotzdem nicht wissen, dass Mom mich dermaßen hasst.

Aber ich hätte es mir denken können: Mein Vater hat sie für einen Mann verlassen und mich mochte sie sowieso noch nie:
Ich war ihr zu maskulin gekleidet, hatte zu viele Tattoos und Piercings und wie sie es mir so gerne vorwarf machte es meine nichtexistente Sozialkompetenz auch nicht gerade besser. Klar sie könnte mich menschlich gesehen auch noch nie ausstehen.

Ich war der Grund, warum sie Schlafprobleme hatte, denn mir könnte auf meinen "Partytrips" immer etwas zustoßen. Natürlich war ich noch nie wirklich ein Stubenhocker, aber im Großen und Ganzen war man doch nur ein einziges Mal jung. In ihren Augen war war ich allgemein auch nicht das einfachste Kind, da ich zum Beispiel nicht sehr viel von Regeln hielt, beziehungsweise lieber meine eigenen aufstellte.
Trotzdem war sie schon immer diejenige, die sich seit der Trennung nicht mehr angemessen um irgendetwas kümmerte und mich ständig damit in den Wahnsinn trieb.

Sie konnte es einfach nicht akzeptieren, dass ich nicht so war wie sie.
Ständig wollte sie mir lernen einen Haushalt zu führen, indem ich mich allein um unsere Wohnung kümmern musste. Möglich wäre es auch, dass sie einfach keine Lust darauf hatte, zu putzen, zu kochen oder einzukaufen und lieber ich das alles machen sollte, damit sie den lieben langen Tag vor dem Fernseher sitzen konnte.

"Aber sie ist meine Mutter und kann mich nicht einfach aus dem Haus werfen! Naja doch, hat sie ja gerade getan. Alles nur, weil ich mich endlich getraut habe mich als lesbisch zu outen. Jetzt bin ich obdachlos.. na ganz toll", sagte ich doch etwas lauter als gewollt zu mir selbst, sodass sich ein paar Passanten verwundert zu mir umdehten. Nun kramte ich die Telefonnummer meines Vaters heraus, denn meine Mutter verbot mir bisher jegliche Kontaktaufnahme.
Als ich sie endlich gefunden hatte, bekam ich Herzklopfen. Seit der Trennung von meiner Mutter und ihm hatte ich nichts mehr von ihm gehört. Seit ganzen fünf Jahren hörte ich nichts mehr von meinem Vater, von seinem Freund Nik oder von meinem Halbbruder Noah, der bei ihnen lebte.

In meinem Leben hat sich seitdem auch sehr viel verändert: Lange Zeit wurde ich in der Schule gemobbt, habe eigentlich alle meine Freunde nach und nach verloren, bin schlechter in der Schule geworden und trotzdem hat es letztendlich noch für einen Schulabschluss gereicht.
Gerade war ich auf Jobsuche aber irgendwie nahm mich keiner - okay vielleicht habe ich auch erst zwei Bewerbungen geschrieben. War jetzt aber auch schon egal.
Endlich hatte ich die Nummer meines Vaters nahezu in Zeitlupe eingetippt. Mein ganzer Körper begann zu zittern. Was wenn er nichts mehr von mir wissen will? Mich nun auch hasst?

"Ist jetzt auch schon egal", versuchte ich mir einzureden, da ich den Anrufbotton soeben gedrückt hatte. Nach einer weiteren Ewigkeit ging jemand ans Telefon.
Ich versuchte die Stimme zu erkennen und merķte, dass es Papas Freund Nik war.

"Hallo?", fragte ich zögernd nachdem er mich mit "Guten Tag, hier spricht Nikolas Haller, was kann ich für sie tun?", meldete. Ich war enorm verdutzt, da ich nicht wusste, dass Dad und Nik in der Zwischenzeit geheiratet hatten.
Vor allem hatten sie mich nicht einmal eingeladen oder mich darüber informiert, dass sie heiraten werden. "Eigentlich bin ich doch seine Tochter? Hat er jetzt wirklich etwas gegen mich?", schoss es mir durch den Kopf, "Aber wahrscheinlich hat ihm Mom auch den Kontakt zu mir verboten".
Nach einer kurzen Pause in der er mich einige Male fragte, wer ich sei und was ich wollte, fragte ich ihn nach meinem Vater, welcher zum Glück gerade zu Hause und nicht arbeiten war.

"Hallo, Papa.", brachte ich zögerlich heraus. Ich musste wirklich zugeben, dass das Telefonieren nicht meine größte Stärke war und schon gar nicht in solch einer Situation.
"Rebecca, Schätzchen bist du es wirklich? Warum rufst du an? Geht es euch gut? Darfst du aufeinmal doch wieder mit mir sprechen?" -jetzt verstand ich das Ganze, meine Mutter hatte ihm also ebenso verboten mit mir zu kommunizieren, genau wie sie es bei mir tat.
"Naja ich denke dieses "euch" kannst du erstmal aus deinem Wortschatz streichen", antwortete ich, "Sie hat mich rausgeworfen."

"Oh nein, das tut mir extrem Leid für dich! Was ist denn zwischen euch vorgefallen? Du kannst sofort den nächsten Zug zu mir nehmen: Weißt ja wo ich wohne, dann können wir über alles sprechen."
Wie ich seine Mitfühlende und immer um mich sorgende Art gefehlt hatte, fiel mir jetzt nochmals extremer auf als je zuvor. Mir stiegen Tränen in die Augen, denn ich fühlte mich seit langem wieder akzeptiert.
Bei meinem Vater wusste ich irgendwie schon immer, er würde mich stehts akzeptieren wie ich war und das ließ mir ein Lächeln über die Lippen huschen.

Ich suchte mir den schnellsten Weg zu Bahnhof und ließ nebenbei nochmals, die Stadt in der ich lebte einfach so an mir vorbeigleiten. Mir war es nun letztendlich auch fast gleichgültig, dass meine Mutter ab jetzt allein lebte. Ich würde ab dem jetzigen Tage niemals wieder etwas von ihr hören beziehungsweise wollte ich es auch nicht mehr.

Als ich den richtigen Bahnsteig gefunden hatte, ließ ich mir, für mein restiches Geld, das ich zum Glück in meine Tasche gesteckt hatte, eine Fahrkarte heraus.
Gespannt setzte ich mich auf eine Bank und wartete einige Minuten, in denen ich versuchte meine Gedanken etwas zu beruhigen, indem ich mir einredete es würde sicherlich alles irgendwann, irgendwie wieder gut werden.

Als ich das Zischen des Zuges hörte, der gerade neben mir einfuhr, stand ich auf und alle Schuldgefühle, die ich meiner verlogenen Mutter gegenüber hatte, fielen auf einmal von mir ab.
Endlich konnte ich ein neues Leben, ohne sie beginnen.

It's kind of crazy [girlxgirl] || ABGESCHLOSSENWo Geschichten leben. Entdecke jetzt