Der Patronus [1/2]

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Der Patronus


Das Wochenende rückte näher. Draco hatte eigentlich keine Lust dazu, nach Hogsmeade zu gehen, doch Zabini ließ ihm keine Ruhe.
»Du wirst sehen, es macht bestimmt Spaß.«
»Es ist ein langweiliges Kaff mit Zuckerüberguss, Blaise. Was sollen wir da?«, fragte Draco mürrisch.
Zabini druckste ein wenig herum. »Man sieht seine Mitschüler mal außerhalb von Hogwarts. Manche sind da gleich viel lockerer.«
Draco lehnte sich in dem grünen Sessel des Gemeinschaftsraumes zurück. Er antwortete eine kleine Weile nicht, während sein Blick nachdenklich auf seinem Hauskollegen ruhte. »Hast du jemand Bestimmten im Auge?«, fragte er schließlich.
Zabini errötete leicht. »Nun ja«, begann er zögernd. »Es gibt da ein Mädchen aus Hufflepuff. Sie ist zwei Jahrgänge unter uns. Ich würde sie gerne näher kennen lernen.«
Draco unterdrückte den Wunsch Zabini darauf hinzuweisen, dass das Haus Hufflepuff bekannt für seine Flaschensammlung war. Selbst Cedric Diggory hatte sich in Dracos Augen letztendlich als eine herausgestellt. Der Slytherin hatte vor Jahren eine ordentliche Summe auf ihn gesetzt. Jeder Kandidat wäre ihm als Sieger des Trimagischen Turniers lieber gewesen als Potter.
Heute musste Draco sich eingestehen, dass Potter damals mehr als nur pures Glück gehabt hatte. Lucius Malfoy hatte seinem Sohn in aller Ausführlichkeit berichtet, was seinerzeit auf dem Friedhof geschehen war. Selbstverständlich hatte er seine Version ein wenig geschönt, aber Draco wusste dennoch, was Potter da geleistet hatte.
»Also, was ist nun? Kommst du mit?«, riss Zabini ihn aus seinen Gedanken.
»Meinetwegen, wenn es dir lieber ist«, brummte Draco.

Es war merklich kälter geworden. Der Wind blies ihnen heftig in die Gesichter. Draco und Zabini schlugen die Mantelkragen hoch und zogen die Köpfe ein. Viel nützte das nicht.
Sie waren froh, als sie Hogsmeade endlich erreichten. Auf der Hauptgasse tummelten sich bereits viele Schülerinnen und Schüler. Man lachte und scherzte, wie es lange nicht mehr in dem Dorf zu hören gewesen war. Zabini reckte den Hals und sah sich suchend um.
»Wir sollten etwas trinken. Komm Draco, ich lade dich in die »Drei Besen« zu einem Butterbier ein.«
Doch Draco verspürte wenig Verlangen danach, zu Madam Rosmerta zu gehen. Er war sich zwar nicht sicher, ob sie wusste, dass er es gewesen war, der ihr den Imperiusfluch ausgehalst hatte, damit sie Kati Bell das schwarzmagische Halsband gab, doch er wollte es nicht darauf ankommen lassen.
»Kein Interesse«, wiegelte er daher ab.
Zabini wirkte enttäuscht. »Hast du Angst, Potter und seinen Freunden zu begegnen?«
Draco schnaufte. »Die treiben sich wohl eher im Eberkopf herum, bei Dumbledores Bruder, meinst du nicht?«
»Kann sein. Jedenfalls sind sie auch hier. Granger erwähnte so etwas bei unserer letzten Übungsstunde.«
»Du arbeitest immer noch mit ihr an deinem Patronus?«, fragte Draco überrascht.
Zabini sah verlegen aus. »Naja, wir sind mittlerweile fertig.«
»Du bringst jetzt mehr zustande, als eine Wolke?« Draco grinste spöttisch.
Anstelle einer Antwort zog Zabini seinen Zauberstab. »Expecto Patronum«, rief er. Das Eichhörnchen, was Draco damals im Klassenraum schemenhaft zu erkennen geglaubt hatte, sprang klar und deutlich hervor. Es hüpfte um sie herum, setzte sich und begann sich schließlich zu putzen.
Draco war wider Willen beeindruckt. »Starke Leistung, Blaise.«
»Du kannst über die Granger sagen, was du willst, aber sie ist eine klasse Hexe. Ich kann sie gerne fragen, ob sie dir ...«
»Das tue ich wenn schon selbst«, fiel Draco ihm ins Wort.
Zabini lächelte. »Das Draco, fällt mir doch sehr schwer zu glauben.«
»Du wirst schon sehen, ich mache es«, antwortete Draco zornig. Er fühlte sich unter Druck gesetzt. Eigentlich hatte er Granger im Arithmantikraum um ihren Beistand bei dem Patronuszauber bitten wollen, nachdem er ihren Stab unter dem Schrank hervorgeholt hatte. Er hatte sogar extra seine Feder liegen lassen, um einen Grund zu haben, nochmals ins Klassenzimmer zurück zu kehren, nachdem Professor Vector die Gryffindor aufgefordert hatte, die Bücher wegzuräumen. Leider war genau in diesem Moment Weasley aufgetaucht.
Draco würde Granger nur dann auf ihre Unterstützung ansprechen, wenn er sie allein anträfe. Sie hatte ihm in der Bibliothek zwar ihre Hilfe angeboten, aber er war sich nicht sicher, ob das weiterhin galt.
Zabini stupste ihn in die Rippen. »Wenn man vom Teufel spricht. Sieh mal da hinten.«
Draco blickte sich um. Potter stand Hand in Hand mit Ginny Weasley vor Zonkos Scherzartikelladen und betrachtete die Schaufensterauslage. Granger und das Wiesel befanden sich etwas abseits. Potters Freundin sah immer wieder zu den beiden hin. Granger hatte die Arme verschränkt und interessierte sich mächtig für ihre Schuhe. Weasley starrte Löcher in die Luft.
Zwischen den beiden schien es zu kriseln. Ob sie sich immer noch wegen der Sache im Arithmantikraum in den Haaren lagen?
»Was ist nun Draco, fragst du sie?«, grinste sein Hauskollege anzüglich.
»Wenn Weaselby dabei steht? Du bist wohl nicht recht bei Trost«, sagte er verdrießlich.
Doch Zabini hatte plötzlich den Grund seines Hierseins entdeckt. Aufgeregt zupfte er Draco am Arm. »Dort ist sie.« Er zeigte auf eine Gruppe von fünf Mädchen. »Die kleine Blonde in der Mitte.«
»Ist ja ganz ansehnlich«, ließ sich Draco zu einem Kommentar hinreißen - für eine Flasche - setzte er in Gedanken hinzu.
Zabini sah unglücklich aus. »Wie komme ich nur in dem Haufen an sie ran?«
»Echt blöd, dass die immer im Rudel auftreten müssen«, stimmte Draco ihm bei. Dabei fiel ihm auf, dass er Granger, außer zusammen mit Weasleys Schwester und gelegentlich mit dieser irren Luna Lovegood, noch mit keinem Mädchen gesehen hatte.
»Du musst mir helfen«, forderte Zabini.
»Machst du Witze? Hilf dir selbst«, antwortete Draco und sah den dunklen Slytherin böse an.
»Gut, dann wage ich mich jetzt in die Höhle des Löwen. Ich werde sagen, dass du in eine von ihnen verschossen bist und sie gerne näher kennen lernen würdest«, drohte Zabini.
»Wenn du das versuchst, hetzte ich dir sämtliche Flüche auf den Hals, die ich kenne«, sagte Draco säuerlich.
Zabinis Auserwählte sah zu ihnen herüber, stupste ihre Freundin zur linken an und kicherte.
Draco verzog den Mund. Auf so etwas hatte er nun gar keine Lust. Zabini jedoch nahm die Gelegenheit wahr und steuerte auf die Herde zu. Draco folgte ihm widerwillig. Dabei fing er Grangers Blick auf. Unschlüssig blieb er ein wenig von der gackernden Horde entfernt stehen. Granger hatte sich wieder umgewandt.
Blaise Zabini trat auf ihn zu, die fünf Hufflepuffs im Schlepp. »Ich habe die Mädels auf einen Eierpunsch im Café von Madam Puddifoot eingeladen«, strahlte er von einem Ohr zum anderen, offenbar hingerissen von dem eigenen Erfolg.
Draco war geschockt, machte aber gute Miene zum bösen Spiel. Er hasste das Café mit seinen rosa Plüschstühlen und -sesseln. Einmal war er mit Pansy Parkinson hier gewesen. Die knutschenden Pärchen um sie herum hatten ihn abgestoßen.
Missmutig ging er der Gruppe nach, die angeführt von Zabini, das Café betrat. Sie gingen in die erste Etage. Draco setzte sich ans Fenster. So hatte er einen guten Ausblick über die Straße. Granger und die anderen standen immer noch bei Zonkos. Sie schienen sich nicht einig zu werden, wohin sie jetzt gehen sollten.
Draco verfolgte, wie sie schließlich die Richtung zum »Eberkopf« einschlugen. Dabei deutete Granger auf ein Geschäft, das Draco noch nie zuvor aufgefallen war. Er strengte seine Augen an um die Inschrift über dem Eingang zu erkennen. Es schien sich um ein Antiquitätengeschäft zu handeln.
»...nicht wahr, Draco?«, fragte Zabini.
»Was? Ich habe nicht zugehört.« Irritiert sah Draco seinen Hauskollegen an.
»Gerade habe ich erzählt, wie du in der dritten Klasse von einem Hippogreif angegriffen wurdest«, wiederholte Zabini.
»Ach das. War halb so wild«, winkte der Blonde ab.
»Wie bitte? Das Vieh hat dich damals fast umgebracht«, fuhr der Dunkle auf.
»Aber eben nur fast.« Damit war Dracos Wortbeitrag beendet und er sah wieder aus dem Fenster. Granger und ihre Freunde waren nicht mehr zu sehen.

Draco langweilte sich entsetzlich. Zwei der Mädchen waren nach dem ersten Eierpunsch gegangen. Sie wollten noch hinüber in den Honigtopf. Zabinis Angebetete, Petronella Irgendwas, schien ihre Augen nicht mehr von Blaise lassen zu können. Eine ihrer beiden verbliebenen Freundinnen versuchte ständig, Draco in ein Gespräch zu verwickeln, doch er tat, als bemerke er es nicht. Immer wieder sah er zum Fenster hinaus. Was er damit bezweckte, konnte er selbst nicht sagen.
Dann sah er sie. Granger ging allein über die Straße und betrat den Antiquitätenladen. Hastig stand Draco auf, stammelte etwas von einer Besorgung, die er dringend erledigen musste, und ließ Zabini in der Obhut Petronellas und ihrer beiden Freundinnen zurück, deren Namen er längst vergessen hatte.
Ein leicht muffiger Geruch schlug ihm entgegen, als er die Tür zum Antiquitätenladen öffnete. Die Glocke kündigte seinen Eintritt an und der hagere Mann hinter dem Tresen blickte kurz auf. Der Raum war verwinkelt und voll gestellt mit allen möglichen Gebrauchsgegenständen. Da waren alte Schränke und Truhen, die ständig auf- und zugingen. Stühle und Bänke, die sich verrückten, wenn man darauf Platz nehmen wollte.
Vasen, Geschirr und Besteck schienen wahllos auf den Möbeln verteilt zu liegen. Doch für all das hatte Draco kaum einen Blick übrig. Sein Augenmerk war ganz allein auf die braunhaarige Person gerichtet, die in einer Ecke vor dem Bücherregal stand und versuchte, an ein Exemplar aus der oberen Reihe heranzureichen.
Draco näherte sich ihr. Sie war so auf das Buch konzentriert, dass sie ihn nicht bemerkte. »Brauchst wohl mal wieder Hilfe Granger, was?«
Sie erstarrte und ließ ihre Fingerspitzen am unteren Rand des begehrten Objektes liegen. Draco trat so dicht an sie heran, dass ihr Haar ihn beinahe am Kinn berührte. Der Zitronengrasduft stieg in seine Nase. Draco griff nach oben, umfasste den Buchrücken knapp oberhalb ihrer Hand, wobei er ihre Fingerkuppen wie aus Versehen streifte. Die Gryffindor schnellte herum.
Draco zog das Buch heraus und durchblätterte es flüchtig. »Die Erstausgabe der Geschichte von Hogwarts«, las er. »Gut erhaltenes Exemplar. Doch mehr als drei Galleonen ist es nicht wert.«
»Woher willst du das denn wissen, Malfoy?«, fragte sie und reckte das Kinn vor.
»Ich habe es zu Hause selbst im Schrank stehen.«
»Tatsächlich?«, erwiderte sie spitz.
Er sah, dass sie ihm nicht glaubte. »Wir haben eine große Buchsammlung im Manor. Das müsste dir doch eigentlich aufgefallen sein bei deinem Besuch.«
Das einzige, was Draco augenblicklich bemerkte, war sein Fehler.
Granger fauchte auch sofort: »Tut mir Leid, dass ich nicht darauf geachtet habe. Ich hatte dank deiner Tante zu viele Schmerzen.«
»Ich wollte dich nicht daran erinnern, entschuldige.« Erstaunt registrierte Draco, dass das im Moment tatsächlich die Wahrheit war.
Überraschung zeichnete sich auf dem Gesicht der Gryffindor ab. »Gibst du mir das Buch jetzt?«, fragte sie.
»Ach so, natürlich, hier.«
Hermine nahm es ihm ab und schaute begierig hinein. Sie schien regelrecht von innen heraus zu leuchten.
Draco fiel auf, wie hübsch sie eigentlich war. Schnell verdrängte er den Gedanken. Er musste all seinen Mut zusammen nehmen für die nächste Frage. »Im Arithmantikraum wurden wir unterbrochen, ehe ich dich fragen konnte, ob dein Angebot aus der Bibliothek noch gilt. Du weißt schon, das mit dem Patronus.«
Hermine sah ihn misstrauisch an. »Du willst tatsächlich, dass ich dir helfe, den Zauber heraufzubeschwören?«
Draco nickte und wartete gespannt auf die Antwort.
Nach einer für ihn unendlichen Sekunde lächelte sie kurz. »Wir können es mal versuchen, aber erwarte nicht zuviel.«
Draco war erleichtert. »Gut, dann ist das ausgemacht. Was hältst du von nächstem Samstag?«
»Da ist doch die Halloweenparty«, gab sie zu bedenken.
»Wir könnten uns vorher treffen. Vielleicht in dem Klassenraum, in dem du mit Zabini geübt hast.«
Sie zögerte einen Moment, bevor sie antwortete. »Abgemacht, dann sehen wir uns um vier Uhr.«
»Alles klar. Ach Granger, denk dran nicht mehr als drei Galleonen für das Buch auszugeben.«
Hermines Mundwickel zuckten. Draco zwinkerte ihr zu und verließ schnurstracks den Laden. Draußen stieß er beinahe mit Ginny Weasley zusammen.
»He Malfoy, ist Hermine da drinnen?«
Draco zuckte die Achseln. »Kann sein. Ich achte normalerweise nicht auf Gryffindors.«
Er ließ das Mädchen stehen und machte sich auf den Weg zu Zabini. Am liebsten hätte er jetzt gepfiffen.

»Dann eben nicht«, sagte Hermine zornig zu dem Verkäufer und warf den Kopf in den Nacken. Fünf Galleonen wollte er für die Erstausgabe über Hogwarts haben.
Die Türglocke bimmelte. Mit einem letzten begehrlichen Blick auf das Buch drehte sich Hermine um und stand Ginny gegenüber.
»Bist du soweit?«, fragte diese.
»Ich wollte gerade gehen«, brummte Hermine.
Ginny musterte sie aufmerksam. »Die Jungs warten vor dem Honigtopf. Sie wollen zurück zur Schule.«
»Gute Idee. Ich bin hier sowieso fertig.«
Die beiden Mädchen gingen zu Harry und Ron hinüber. Entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit hielt sich Ginny an ihre Freundin und ließ die Jungen vorausgehen. Hermine hatte die Hände in den Taschen ihres Mantels vergraben und brütete vor sich hin.
»Ich habe Malfoy vor dem Antiquitätenladen getroffen«, sagte Ginny leise. »Er sagte, er wüsste nicht, ob du da drin wärst. Stimmt das, oder hat er dich geärgert?«
»Er hat mich nicht belästigt«, antwortete Hermine gereizt.
»Aber er hat dich gesehen?«, bohrte Rons Schwester weiter.
»Hör zu, Ginny. Ich habe ihn bemerkt, aber das heißt noch lange nicht, dass er mich ebenfalls registriert hat. Ich stand in einer Ecke an einem Bücherregal, das war nur schlecht einsehbar.« Hermine fühlte sich mies bei der Sache. Sie nahm bewusst in Kauf, dass Ginny sie falsch verstand. Doch sie konnte keinesfalls zugeben, mit dem Slytherin nicht nur geredet, sondern ihm sogar ihre Hilfe beim Patronus zugesagt zu haben.
»Kein Grund mürrisch zu werden«, antwortete Ginny. »Ich war halt misstrauisch, weil Malfoy so verdammt zufrieden aussah. Und nach der Sache im Arithmantikraum, dachte ich, er hätte jetzt die Gelegenheit genutzt und seinen Angriff fortgesetzt.«
Hermine blieb stehen und sah ihre Freundin scharf an. »Zum allerletzten Mal: Malfoy hat mich nicht attackiert. Er hat mir lediglich meinen Zauberstab unter dem Schrank hervorgeholt. Warum will mir das bloß keiner glauben?«
»Weil das bedeutet, dass er etwas damit bezweckt und das macht mir noch viel mehr Angst als seine hinterhältigen Angriffe. Denn du denkst doch nicht wirklich, dass er sich geändert hat, oder?« Ginnys Augen wurden schmal.
Hermine blieb die Antwort schuldig. Verwirrt stapfte sie den anderen hinterher.

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