Draco ließ den Brief sinken. Er war nicht fähig sich zu rühren. Heiße Tränen brannten in seinen Augen. Das konnte doch nicht wahr sein. Nicht jetzt, nachdem er schon so weit gekommen war und Hermine die meisten ihrer Freunde zurück gewonnen hatte. Er wollte keine andere Frau heiraten und auf ewig seiner großen Liebe nachtrauern. Denn genau das war Hermine mittlerweile für ihn. Draco würde alles für sie tun, aber sie aufgeben? Alleine kam er nicht damit klar. Er musste zu ihr, sofort. Draco steckte den Brief ein und rannte zurück in die Schule. Er nahm zwei Stufen auf einmal, als er die Treppen zum Gryffindorturm hinauf stürmte. Vor dem Porträt der fetten Dame hielt er keuchend inne. Er kannte das Passwort nicht.
Neville Longbottem kam von der anderen Seite über die sich drehenden Treppen. »Wartest du auf Hermine?«
»Ich muss sie dringend sprechen«, schnaufte Draco, noch immer außer Atem.
»Augenblick, ich sehe mal nach.«
Neville murmelte das Passwort. Kaum schwang das Porträt zur Seite, als sich Draco sofort hinter dem Gryffindor hindurchzwängte. Im Gemeinschaftsraum hätte man eine Stecknadel fallen hören können. »Ich wollte ihn nicht mit reinbringen«, verteidigte sich Neville sofort.
»Wo ist Hermine? Ich muss sofort mit ihr reden?«
Ginny rutschte von Harrys Schoß. »Was ist passiert? Du siehst aus, als hättest du eine Acromantula mit zwei Köpfen gesehen.«
»Tolle Zustände gibt es inzwischen auf dieser Schule«, brummte Ron. »Da dringt ein Slytherin in unseren Gemeinschaftsraum ein und er wird noch bedauert, wie schlecht er aussieht. Ich finde, er ist so kalkweiß wie immer. Ich könnte ihm ja eine verpassen, dann hätte er wenigstens etwas rote Farbe im Gesicht.«
Draco warf ihm nur einen kurzen Blick zu. Er hatte für ein Geplänkel keine Zeit.
»Halt die Klappe, Ron«, fauchte Ginny. »Weiß jemand, wo Hermine ist?«
Allgemeines Kopfschütteln. »Vielleicht ist sie im Schlafsaal«, vermutete Lavender und sah Ron beinahe entschuldigend an.
»Ich schaue mal nach«, erbot sich Ginny direkt und stieg die Treppe hinauf.
Ungeduldig trat Draco von einem Fuß auf den anderen. Lange wurde seine Geduld nicht auf die Probe gestellt.
Mittlerweile genauso weiß wie er, betrat Rons Schwester wieder den Gemeinschaftsraum. »Sie ist weg«, sagte sie tonlos und hielt einen Zettel hoch.
»Was?«, riefen Draco und Harry gleichzeitig.
Ginny las den Inhalt der Nachricht vor. Draco schwankte, als hätte er einen Schlag erhalten. »Mein Vater«, keuchte er. »Ich muss los.«
Damit drehte er sich um und rannte hinaus. Noch ehe er den Treppenabsatz erreicht hatte, fühlte er eine Hand auf seiner Schulter.
Harry und Ginny standen hinter ihm. »Weißt du überhaupt, wie du am schnellsten in die Heulende Hütte kommst?«, fragte der Gryffindor.
»Ich war noch nie dort.«
»Aber ich.«
Draco sah von einem zum anderen. »Wenn mein Vater wirklich dort auf Hermine wartet, sollte er euch besser nicht sehen.«
Harry zuckte mit den Schultern. »Wir kommen trotzdem mit. Ich zeige dir den Weg und du versuchst zunächst alleine Hermine zu retten. Wir bleiben im Hintergrund, doch wenn es brenzlig wird, greifen wir ein.«
Draco nickte. Es gefiel ihm zwar nicht, aber er sah keine andere Möglichkeit, als die beiden mitzunehmen. Auf dem Weg zur Peitschenden Weide erzählte er Harry und Ginny vom Brief seiner Mutter. Allerdings erwähnte er ihren Rat nicht, sich von Hermine zu trennen. Es ging ihm alles zu schnell. Draco war zerrissen zwischen dem Wunsch, sie zu beschützen und zu besitzen. Diesmal sah es so aus, als könnte er sich nicht vor einer Entscheidung drücken, wie damals auf dem Astronomieturm. Heute würde keiner kommen und die Verantwortung übernehmen.
Es sei denn, Harry würde Lucius Malfoy überwältigen, denn Draco selbst glaubte nicht, dass er die Kraft hatte, sich gegen seinen Vater aufzulehnen.
»Immobilus«, sagte Harry und die Peitschende Weide verharrte regungslos.
Die drei eilten zum Stamm. Zusätzlich drückte Harry auf den Knoten in der Rinde, damit die Weide auch wirklich bewegungsunfähig blieb. »Der Zauber hält nicht allzu lange an«, erklärte er. »Hier beginnt der Geheimgang. Er endet direkt in der Heulenden Hütte.«
Draco sah das Pärchen beschwörend an. »Ich gehe vor. Wenn mein Vater und Hermine dort sind, lasst mich mit ihm reden.« Er verkniff sich gerade noch zu sagen, sofern Hermine noch lebte. Sein Herz fühlte sich an, als würde ein Eisenring es umklammern, der sich stetig enger zog. »Ihr macht nichts, es sei denn, ich gebe euch ein Zeichen, verstanden?«
Harry und Ginny blickten sich an.
»Ich muss euer Wort haben«, drängte Draco. »Ich kenne meinen Vater besser, als jeder andere. Wenn er auf jemanden hört, dann auf mich.«
»Und was, wenn du zwischen Hermine und ihm wählen musst?«, fragte Ginny leise.
»Das wird schon nicht passieren.«
»Und wenn doch?«
Draco beantwortete die Frage nicht. »Ich brauche euer Versprechen«, wiederholte er stattdessen.
»Also gut«, sagte Harry und Ginny nickte. »Wir warten, bis du uns rufst oder wir das Gefühl haben, dass Hermine in Gefahr schwebt und du sie nicht vor deinem Vater schützen kannst.«
»Danke«, sagte Draco.
Er ließ sich auf alle Viere nieder und kroch voran. Sein Zauberstab leuchtete ihm den Weg. Immer wieder musste er zusätzlich den Kopf einziehen, um nicht gegen die Wurzeln zu stoßen, die in den Gang hineinwuchsen. Ab und an rieselte ein wenig Erde auf ihn hinab. Sein Herz schien immer schneller zu schlagen, je weiter sie den Tunnel entlang krochen. Schließlich begann er anzusteigen und ein Lichtfleck erschien.
»Nox«, flüsterte Draco und sein Zauberstablicht erlosch. »Denkt daran, was ihr mir versprochen habt«, erinnerte er seine Begleiter.
Der Lichtspalt kam durch eine Tür. Langsam drückte der Slytherin sie auf. Was er sah, ließ das Blut in seinen Adern gefrieren.
Hermine lag gekrümmt auf dem Boden und schluchzte leise. Ihr Zauberstab lag einen Meter von ihr entfernt. Lucius Malfoy stand an der Wand und hatte seinen Stab auf das Mädchen gerichtet. Sein Gesicht drückte Triumph und Genugtuung aus. Seine hellen Augen flackerten auf, als er seinen Sohn erblickte.
»Ah Draco, schön, dass du gekommen bist. Du willst sicherlich zusehen, wie ich das Schlammblut endgültig fertig mache.«
»Lass sie gehen, Vater. Ich bitte dich.« Draco tat einen Schritt in den Raum. Seinen Zauberstab hielt er locker in der Hand und nach unten gerichtet.
»Deine Mutter hat mir von eurem blödsinnigen Plan berichtet.« Lucius lachte rau. »Du wolltest dich doch nicht wirklich mit so einem Stück Dreck einlassen?«
»Ich hielt es für eine gute Idee«, sagte Draco und biss die Zähne zusammen. Am liebsten wäre er zu Hermine hingestürzt, doch er wusste, das Einzige, was sie vor dem Zorn seines Vaters retten konnte war, wenn er ruhig blieb.
Hermine schien sich zu erholen. Sie setzte sich langsam auf und starrte ihn an.
Draco ging einen weiteren Schritt nach vorne. Er versuchte, sich zwischen die beiden zu schieben, doch sein Vater durchschaute seine Absicht. Der Zauberstab in seiner Hand schwenkte herum und zeigte nun auf seinen Sohn.
»Bleib wo du bist, Draco.«
»Willst du mich verfluchen, Vater?«
»Nein, es sei denn, du lässt mir keine andere Wahl.«
»Ich will nicht mit dir kämpfen, doch lass Hermine gehen.«
»Hermine?«, krächzte Lucius. »Du nennst das Schlammblut also beim Vornamen?« Sein Gesicht drehte sich zu dem Mädchen und seine Augenbrauen zogen sich zusammen. »Was hast du mit meinem Sohn angestellt? Welchen Zaubertrank hast du ihm gegeben, du Muggelhexe?«, brüllte er.
Hermine antwortete nicht. Sie hockte versteinert auf dem Boden und sah aus Lucius weit aufgerissenen Augen angstvoll an.
»Keinen Vater«, sagte Draco stattdessen. »Ich war derjenige, der auf sie zugegangen ist.«
Lucius Nasenflügel bebten, seine Augen wurden noch eine Nuance heller. »Wirf deinen Zauberstab weg Draco. Sofort!«
»Vater!«
Lucius zielte auf Hermine. »Sonst töte ich sie und du weißt, du kannst niemals schnell genug sein, um das zu verhindern.«
Draco schluckte. Er war sich fast sicher, dass sein Vater nur eine leere Drohung ausstieß. Deshalb warf er ihm mit einem eleganten Schlenker seinen Zauberstab vor die Füße. Dabei dachte er einen Spruch und Hermines Stab rollte zu ihr hin.
Lucius hatte nichts bemerkt, weil seine Augen fest auf das Gesicht seines Sohnes geheftet waren. Nun lächelte er kalt. »Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann. Sie hat dich nur ein wenig verwirrt. Du empfindest nichts für sie, nicht wahr? Sag es Draco, sag ihr, dass sie es nicht wert ist.«
»Lass sie jetzt gehen. Du hast gewonnen. Ich werde sie nie wieder sehen, aber nimm deinen Zauberstab von ihr.« Draco war der Verzweiflung nahe.
Lucius schnalzte mit der Zunge. »Du weichst mir aus, mein Sohn. Was bedeutet sie dir?«
»Alles, Vater«, flüsterte Draco.
Er hörte, wie Hermine, die schräg hinter ihm hockte, sich aufrichtete. Lucius senkte seinen Zauberstab. Wilde, verzweifelte Hoffnung pulsierte durch Dracos Adern. »Du liebst sie wirklich.« Lucius Stimme klang gebrochen. Für einen Augenblick fiel die Maske und unendlicher Schmerz war in sein Gesicht gemeißelt.
»Ja, Vater.« Draco wollte auf ihn zugehen, als ein plötzliches Aufblitzen in dessen Augen ihn warnte.
»Das werde ich niemals zulassen«, schrie Lucius. »AVADA KEDAVRA!« Ein grüner Blitz schoss aus seinem Zauberstab auf Hermine zu. Diese duckte sich und schrie gleichzeitig: »STUPOR!«
In diesem Bruchteil einer Sekunde traf Draco eine Entscheidung. Er hatte keinen Zauberstab mehr, um Hermine zu schützen. Er hatte nur noch seinen Körper. Mit einem Hechtsprung warf er sich dazwischen. Draco glaubte, er würde auseinander gerissen, als der Fluch ihn traf.
Er spürte weder, wie er auf dem Boden aufschlug, noch wie Harry und Ginny mit gezückten Zauberstäben hereinstürmten. Er nahm auch nicht mehr wahr, wie sich Hermine und sein Vater über seinen Körper beugten.
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Brennendes Eis
FanfictionDas goldene Trio kehrt nach dem Tod Voldemorts nach Hogwarts zurück. Hermine freut sich auf ein letztes ruhiges Schuljahr mit ihrem geliebten Ron, doch das Schicksal hat andere Pläne. Ständig kreuzt Draco Malfoy ihren Weg. Zuerst sacht, dann immer s...