C. M. [2/2]

1.6K 95 8
                                    

Zu Dracos Erleichterung kam das Tribunal zurück. Er drückte seinem Vater die Hand und ging zurück auf seinen Platz. Der Zaubergamot konnte sich noch nicht auf eine sofortige Freilassung Lucius Malfoys einigen. Es wurde eine weitere Anhörung anberaumt, die um Ostern herum stattfinden sollte.
Draco sah die verzweifelten Mienen seiner Eltern und fühlte sich schuldig, weil er froh war, der Konfrontation mit seinem Vater bis auf weiteres aus dem Weg gehen zu können.
Wieder zu Hause stieg Draco sofort auf den Dachboden. Hier war er seit Ewigkeiten nicht mehr gewesen. Entlang der Kopfseite stapelten sich abgedeckte Gemälde längst verstorbener Hexen und Zauberer der Familie. Schränke und Truhen, voll gestopft mit allem möglichen Plunder standen herum. Zum Teil befanden sich auch Möbelstücke und diverse scheußliche Lampenschirme auf dem Boden. Ein schwarzer Schrank mit verspiegelten Türen weckte seine Aufmerksamkeit. Draco ging hinüber und öffnete ihn. Das Innenleben erinnerte ihn an das Gruselkabinett bei Borgin und Burkes. Verschrumpelte Köpfe, ein paar blaugraue Augen in einem Glasbehälter, merkwürdig anmutende Zeichen auf Umhängen und Kerzen in Totenkopfform. Draco unterdrückte einen Schauder und schloss die Tür.
Er suchte etwas anderes. Sein Vater hatte von einer Truhe, rechts an der Wand gesprochen. Draco entdeckte sie, halb verdeckt von einem großen Bild, das davor lehnte. Er stellte das Kunstwerk seitlich daneben. Hoffentlich hatte Großvater Abraxas das Kästchen an seinem Platz belassen.
Staub stieg in Dracos Nase, als er den hölzernen Deckel zurückschlug. Der Inhalt war mit grün-silbernen Tüchern abgedeckt. Er schob sie beiseite. Darunter kamen uralte Schulbücher zum Vorschein, ein zerbrochener Besen, auf dessen Griff noch schwach »Nimbus 500« zu lesen war, und diverse Pergamentrollen.
Draco wühlte weiter, bis er auf dem Boden der Truhe ein Kästchen entdeckte. Es war aus dunklem Holz und mit asiatischen Lackarbeiten geschmückt. Im Deckel waren zwei silbrig schimmernde Schlangen eingraviert, die sich wie im Kampf umschlungen hielten. Zwischen ihren aufgerissenen Mäulern waren die Vertiefungen zu sehen, von denen sein Vater gesprochen hatte.
Draco drehte das Kästchen um. Auf der Unterseite standen in das Holz eingebrannt die Worte: Eigentum von Chimärus Malfoy.
Er hatte es gefunden. Schnell zog Draco den Ring aus seiner Hosentasche. Er passte genau in die Löcher hinein. Da nichts geschah, versuchte Draco das Schmuckstück zu drehen und siehe da, die Schlangen bewegten sich. Er drehte den Ring weiter, bis er ein Klicken hörte. Der Deckel sprang auf.
Im Innern erblickte Draco ein kleines, in grünem Leder eingebundenes Buch. Er öffnete es, doch es war unbeschrieben. Enttäuscht legte es beiseite. Unter dem Buch lag ein Stück längs gefaltetes Pergament. Als Draco es hochhob, fiel ihm eine braune Haarlocke entgegen, die von einer gelben Schleife zusammen gehalten wurde. Ansonsten war das Kästchen leer.
Missmutig wickelte Draco die Locke wieder ein und legte sie zurück. Dann griff er nochmals nach dem Buch. Bei näherem Hinsehen sahen die Seiten sehr wohl benutzt aus. Er nahm seinen Zauberstab und murmelte: »Offenbare.«
Auf der ersten Seite des Buches erschien folgende Frage:
Bist du ein Malfoy?
Draco triumphierte. Er sah sich um, konnte jedoch nirgends einen Federkiel und Tinte entdecken. So legte er das Büchlein zurück, klemmte sich das Kästchen unter den Arm und verließ mit einem euphorischen Gefühl den Dachboden.
Sogleich ging er in sein Zimmer und setze sich an seinen Schreibtisch. Er legte das Buch aufgeschlagen vor sich hin, griff nach Feder und Tinte und schrieb »Ja« unter die Frage.
Einen Augenblick später formte sich die Aufforderung:
Beweise es!
Draco war einen Moment lang in Versuchung einfach »Wie?« darunter zu setzen.
»Denk nach, Draco. Was unterscheidet uns Malfoys von anderen? Worauf legen wir Wert?«, murmelte er halblaut vor sich hin. Dann stand die Antwort plötzlich klar vor ihm.
Er spitze den Federkiel neu an und rammte ihn sich in den Finger. Draco verzog kurz das Gesicht und drückte die kleine Wunde zusammen, so dass ein Blutstropfen hervorquoll. Nun berührte er das Papier.
Sehr schön. Wie lautet dein Name?
Draco tauchte die Feder in die Tinte und schrieb seinen Vor- und Zunamen nieder. Gut, Draco. Wenn du meine Geschichte erfahren willst, blättere einfach um.
Er schlug das Buch irgendwo auf. Dort stand nach wie vor nichts.
Doch auf der nächsten Seite ging der Eintrag weiter, in schwarzer Tinte geschrieben. Draco hatte schon befürchtet, er müsste noch mehr seines Blutes hergeben, um hinter das Geheimnis zu kommen.
Elaine! Ihr Name ist Elaine Hunter. Sie hat wundervolle braune Locken und dunkle Augen. Ich saß in meinem zweiten Schuljahr am Tisch der Slytherins neben meinem ach so vollkommenen Bruder, – das musste Großvater gewesen sein, dachte Draco – als ich sie das erste Mal sah. Mir wurde sofort schmerzlich klar, dass der Sprechende Hut sie niemals meinem Haus zuteilen würde. Sie war einfach zu – nett. Ihre Gesichtszüge waren offen, freundlich und neugierig. Hast du, lieber Draco, diese Eigenschaften je bei einem Slytherin feststellen können?
Draco hielt inne. Er glaubte schon jetzt zu wissen, wie die Geschichte ausgegangen war, zumindest für seinen Großonkel. Doch vorblättern und Seiten überspringen war nicht möglich, da sich die nächste Seite erst dann mit Buchstaben füllte, wenn er die vorhergehende ganz gelesen hatte. Chimärus Malfoy hatte einen sehr geschickten Zauber verwendet. Draco konnte noch nicht einmal einzelne Wörter oder gar Sätze auslassen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als die Aufzeichnungen wirklich zu lesen.
Der Hut schickte sie nach Hufflepuff. Mit anderen Worten war sie alles andere als ein Reinblut – wahrscheinlich jedenfalls.
Mühsam kämpfte sich Draco durch die Erinnerungen. Chimärus beschrieb, wie er nicht die Augen von dem hübschen Mädchen lassen konnte. Es kostete ihn zwei Jahre, bis er endlich den Mut fand, sie in der Bibliothek anzusprechen. Von da an trafen sie sich regelmäßig. Elaines Vater war ein Muggel, ihre Mutter eine Squib. »Oh Onkelchen, auch nicht wirklich besser, als die, die mir ständig im Kopf rumspukt, wenn nicht sogar noch schrecklicher.«
Draco schüttelte sich. Ein Squib in der Familie Malfoy - völlig undenkbar.
Es klopfte. »Schatz, willst du nicht etwas essen?«, fragte seine Mutter und steckte den Kopf zur Tür herein. »Du bist schon seit Stunden hier drin. Oh, du arbeitest?«
Hastig schlug Draco das Buch zu. Narzissa kam näher und streckte ihre schmale Hand aus. »Darf ich es sehen?«
Er zögerte, dann reichte er es ihr. Seine Mutter blätterte es einmal durch und sagte sichtlich enttäuscht: »Aber, da steht ja gar nichts.«
»Man kann aber etwas hineinschreiben«, antwortete er ein wenig zu hastig.
»Da du offenbar noch nicht damit angefangen hast, schlage ich vor, du isst erst mit mir zu Abend, Draco, bevor du weiter versuchst, etwas zu Papier zu bringen.«
Seine Mutter hatte Recht, außerdem spürte er plötzlich seinen leeren Magen. Nachdem sie dank Potter ihren Hauselfen Dobby verloren hatten, mussten sie sich mit menschlichem Dienstpersonal begnügen. Zurzeit war es für die Malfoys schwer, gute Hilfskräfte aufzutreiben. Doch seiner Mutter gelang es immer wieder, die eine oder andere Perle aufzuspüren und mit einer fürstlichen Bezahlung ließen sich auch viele Bedenken wegspülen. Die derzeitige Köchin war wirklich hervorragend. Genüsslich tupfte sich Draco nach dem Essen die Lippen ab und lehnte sich aufseufzend in dem Stuhl zurück.
Sogleich kam ein Dienstmädchen herbei, um das Geschirr abzuräumen. Narzissa prostete ihrem Sohn zu. »Was hast du heute mit deinem Vater besprochen?«
Mit kurzen Worten gab Draco den Inhalt des Gespräches wieder, ohne jedoch das Geheimnis auf dem Dachboden zu erwähnen. Die Augen seiner Mutter weiteten sich ein wenig, als er berichtete, wie er seinem Vater von ihren Heiratsplänen erzählt hatte. »Dein Vater ist noch nicht so weit. Im Gefängnis bekommt er nicht mit, wie es mittlerweile um die Zaubererwelt bestellt ist. Sobald er entlassen ist, werde ich mit ihm reden und ihn davon überzeugen, dass ich Recht habe.«
»Stelle dir nur einmal Vaters Gesicht vor, wenn ich ihm ausgerechnet Hermine Granger als zukünftige Schwiegertochter präsentiere. Wenn er wüsste, was wir vorhaben, er würde sich durch die Mauern von Askaban beißen.« Draco lachte trocken.
»Schatz, ich will nicht, dass du dich in etwas verrennst, nur um mir einen Gefallen zu tun. Es kann auch eine andere Hexe sein. Die kleine Granger wirst du bestimmt nicht dazu bekommen, sich in dich zu verlieben. Aber mir ist am allerwichtigsten, dass deine künftige Frau dir wahrhaft zugetan ist.« Draco lehnte sich vor. »Du hast selbst gesagt, dass ich sehr gut aussehe. Jetzt glaubst du auf einmal nicht mehr an meinen Erfolg?«
»Nun, vielleicht nicht gerade bei dieser Hexe. Sie legt auf Äußerlichkeiten keinen Wert, das siehst du doch schon daran, dass sie mit Arthur Weasleys jüngstem Sohn befreundet ist.«
»Und wenn ich es trotzdem schaffe?«, fragte er gespannt.
Narzissa Malfoy legte ihre weißen Finger auf die Hand ihres Sohnes. »Ich weiß, du magst sie nicht, also tue es dir nicht an. Auch du solltest deine Frau lieben können, sonst wird es keine glückliche Ehe.«
»Nur mal angenommen«, begann Draco sacht, als spräche er zu sich selbst, »ich fände Granger gar nicht mehr so uninteressant.«
Seine Mutter sah ihm lange in die Augen. Ihre Finger schlossen sich um sein Handgelenk. Für einen Moment blitzte ein wissendes Lächeln in ihrem Gesicht auf. »Dann hol sie dir. Spann sie diesem Weasley aus. Der kann dir doch bei weitem nicht das Wasser reichen.«
Draco grinste schief. »Wir werden sehen Mutter, und du knöpfst dir Vater vor, einverstanden? Ich möchte keine unliebsamen Überraschungen erleben, sollte unser Plan gelingen.« Seine Mutter zwinkerte ihm zu. »Versprochen mein Schatz.«
Bald darauf verabschiedete sich Draco und ging zurück auf sein Zimmer. Er brannte darauf zu erfahren, wie es mit seinem Großonkel und dem Mädchen weiterging.
Er schlug das Tagebuch auf und las an der Stelle weiter, an der seine Mutter ihn unterbrochen hatte. Chimärus Malfoy erzählte ihm in aller Breite, wie er mit Elaine beinahe täglich in der Bibliothek übte. Bei etlichen Zaubern hatte sie erhebliche Schwierigkeiten und war froh, dass der Slytherin ihr half.
»Ich habe schon immer gesagt, dass die Flaschen alle nach Hufflepuff kommen. Wieso ist Weaselby eigentlich nicht da gelandet?«, feixte Draco. »Onkelchen, Onkelchen, konntest du dich nicht in eine etwas schlauere Hexe verknallen? Wenigsten ein bisschen intelligenter, eine solche wäre doch bestimmt nicht schwer zu finden gewesen.«
Es kam, wie es kommen musste.
Mein Bruder Abraxas hatte Verdacht geschöpft und ließ mich beobachten. Als er herausfand, dass ich mich regelmäßig mit Elaine traf, machte er mir Vorhaltungen, er drohte sogar, unseren Eltern zu schreiben. Ich hatte eine solche Angst, dass ich ihm versprach, jeglichen Kontakt zu ihr abzubrechen.
Genau eine Woche habe ich mich daran gehalten. Ich konnte Elaines traurige Augen nicht mehr ertragen, in denen ständig Tränen zu schimmern schienen, wenn sie mich zu den Essenszeiten ansah.
»Du meine Güte, eine Heulsuse war die auch noch«, stöhnte Draco. »Weißt du was, du hast nichts Besseres verdient, als in dem Gang unter der Schule vor dich hinzumodern.«
Wir verabredeten ein heimliches Zeichen. Ich verzauberte zwei Notizbücher. Immer, wenn ich in meines Treffpunkt und Uhrzeit hineinschrieb, erschien es auch in ihrem.
»Keine schlechte Idee, vielleicht kann ich den Tipp noch brauchen«, sagte Draco und dachte an Hermine Granger.
Chimärus hatte nicht mit der Hartnäckigkeit seines Bruders gerechnet. Der Betrug fiel auf. Mittlerweile war er in der sechsten Klasse. Dracos Großvater prügelte den Blutsverräter halb zu Tode, verlor trotz Drohung jedoch kein Wort darüber zu ihren Eltern. Die hätten sonst wahrscheinlich nicht nur das Mädchen, sondern auch dessen gesamte Familie ausgelöscht, und Chimärus gleich mit. Offenbar wollte Großvater Abraxas nicht für ein solches Massaker verantwortlich sein.
Nachdem Chimärus von der Krankenstation entlassen worden war, traf er sich noch ein einziges Mal mit seiner großen Liebe. Sie versprachen sich ewige Treue und wollten gemeinsam von Hogwarts fliehen. Ich gelobte Elaine feierlich, einen Weg zu finden. Es gibt so viele Geheimgänge in der Schule, ich werde einen Sicheren ausfindig machen. Morgen Abend werde ich durch den Schrank im Klassenzimmer im fünften Stock gehen. Entweder finde ich dort den Weg in eine gemeinsame Freiheit oder den Tod.
Die Eintragungen endeten hier. Dennoch blätterte Draco eine weitere Seite um. Er erstarrte.Lieber Draco,
da du ein Malfoy bist und bis hierher gelesen hast, muss dich meine Geschichte bewegt haben und das trotz der traditionellen Erziehung, die du genossen haben musst. Höchst wahrscheinlich bist du demnach in einer ähnlichen Situation. Da ich nichts weiter geschrieben haben kann (sonst würdest du diese Zeilen nicht lesen), habe ich in dem Geheimgang wohl den Tod gefunden. Glaube mir, ich bin lieber tot, als lebend von Elaine getrennt zu sein. Ich habe eine große Bitte. Sollte Elaine noch leben, finde sie und bringe ihr dieses Buch. Sie soll wissen, dass ich sie niemals freiwillig verlassen hätte. Was nützt uns unser reines Blut, wenn dadurch keine Herzenswärme fließt?
Kämpfe um deine Liebe, Draco – mit aller Macht und mit allen Mitteln. Gib alles auf, Ruhm, Reichtum und die fragwürdige Ehre der Familie Malfoy. Nichts davon zählt und du wirst das alles und noch mehr zurückerhalten, wenn du deinem Herzen folgst.
Chimärus MalfoyDraco las den letzten Absatz noch zweimal. In ihm reifte ein Entschluss heran. Er dachte nicht daran, dem Wunsch seines Vaters zu gehorchen und die Hinterlassenschaft seines Großonkels zu vernichten. Stattdessen würde er diese Elaine Hunter suchen und ihr einen Besuch abstatten. Draco musste es irgendwie einrichten, dass Hermine Granger dabei war. Sie sollte sehen, dass es in seiner Familie einen Slytherin gegeben hatte, der lieber in den Tod gegangen war, als seine Liebe zu verraten. Denn genau das war das Problem in ihrer Beziehung. Wie sollte Granger wissen, dass er es ehrlich meinte? An ihrer Stelle hätte er sich auch nicht geglaubt.

Brennendes EisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt