Hermine blickte erstaunt auf, als Draco, deutlich außer Atem, in der Bibliothek plötzlich vor ihr stand.
»Bücher einpacken und mitkommen«, kommandierte er schnaufend.
»Du kannst mich mal«, fuhr sie sofort auf. Sie konnte es nicht leiden, wenn er diesen Tonfall anschlug.
»Schon wieder? Hatte ich doch erst gestern«, grinste er anzüglich. »Aber wenn du gerne willst, ich bin jederzeit für ein Stelldichein mit dir zu haben.«
Hermine schoss die Röte ins Gesicht. Doch Draco enthob sie einer Antwort. Er fasste nach ihren Händen und streichelte zärtlich über ihre Fingerknöchel. »Komm mit mir, ich habe eine Überraschung für dich.«
Hermine sah ihn skeptisch an.
»Nicht, was du denkst«, lächelte er. Hermine seufzte und räumte die Bücher weg. Sie wusste, er würde doch keine Ruhe geben. Außerdem war sie neugierig geworden. Die Neugierde wandelte sich nach und nach in Beklommenheit, als sie Draco durch die Schule folgte und sie erkannte, dass er sie zur Krankenstation führte.
Vor der Tür hielt sie ihn zurück. »Draco, ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist.«
»Du vertraust mir doch, oder?«
»Schon, aber ...«
»Du bist eine Gryffindor, dort herrschen Tapferkeit und Mut. Willst du dein Haus blamieren?« Draco beugte sich zu ihr hinunter und küsste sie sanft auf den Mund. »Ich weiß doch, was in dir steckt«, flüsterte er.
Hermine holte noch einmal tief Luft und betrat den Krankensaal.
Sie war dankbar, dass Draco ihr folgte, so fühlte sie sich nicht ganz so unsicher. Sofort erblickte sie Harry. Er setzte sich im Bett auf und lächelte sie an. Ihr fiel ein Stein vom Herzen. Hermine zog sich einen der beiden Stühle heran, die sich neben seinem Krankenlager befanden. Draco blieb unschlüssig stehen. Harry griff nach Hermines Hand. »Mir hat meine beste Freundin gefehlt.« Hermine stiegen die Tränen in die Augen. Sie umarmte Harry schluchzend und drückte ihn fest an sich. Erst nach einer kleinen Weile war sie wieder in der Lage zu sprechen. »Ich bin so glücklich, woher kommt dieser plötzliche Wandel?«
Harrys Augen wanderten zu Draco. »Mir ist einiges klar geworden, seit Malfoy mich aus dem See gezogen hat. Ich war zwar ohnehin drauf und dran, dich anzusprechen, aber er hat den Ausschlag gegeben. Er hat mich klipp und klar darum gebeten, dich nicht mehr zu ignorieren, weil du uns schrecklich vermisst und er uns nicht ersetzen kann.«
Hermine sah Draco dankbar an. »Das hast du für mich getan?«
Über die Gesichtsfarbe ihres Freundes huschte eine rosa Schattierung. »Also ganz so, wie Potter es darstellt, habe ich mich nicht ausgedrückt«, wiegelte er ab.
»Danke, Draco«, sagte Hermine schlicht, stand auf und küsste ihn auf die Wange.
»Ich lass euch dann mal allein. Ihr habt bestimmt einiges nachzuholen.« Er lächelte Hermine kurz an. »Ich sehe dich später.« Dann nickte er Harry knapp zu. »Potter.«
Draco verließ die Krankenstation. Hermine setzte sich erneut auf den Stuhl und griff nach Harrys Hand.
»Teilst du mir deine Version der Geschichte mit? Draco ist da ein wenig einsilbig.«
Harry grinste. Dann erzählte er Hermine von seinem Streit mit Ginny und von seiner Wut, die er mit einem Bad im See abkühlen wollte. Wie er von den Grindelohs angegriffen wurde und von seiner Todesangst, als er bemerkt hatte, dass er seinen Zauberstab verloren hatte. »Ehrlich Hermine, diesmal habe ich echt geglaubt, es wäre um mich geschehen. Dann war Malfoy plötzlich da. Ich habe zwar sein blondes Haar gesehen, aber irgendwie nicht registriert, dass er es war. Ich meine, ich hätte mit jedem gerechnet, aber niemals mit ihm.«
Hermine nickte. Sie wusste selbst am besten, wie oft Draco sie mit seinem Verhalten in Erstaunen versetzte.
Harry schilderte ihr, dass er noch mitbekommen hatte, wie sein Retter im Begriff war, ebenfalls sein Leben zu verlieren. Das nächste, an das er sich erinnern konnte, war ein wütend dreinblickender und tropfnasser Malfoy, der keuchend neben ihm hockte.
Hermine zitterte erneut bei dem Gedanken, wie leicht sie hätte Draco und Harry verlieren können. Ihr alter Freund fuhr fort und berichtete von dem fehlenden Dunklen Mal und ihrem Gespräch darüber. Dann erwähnte er den Weißdornstab.
Hermine schluckte und sah zur Seite. Leise erzählte sie Harry, was sich damals wirklich zugetragen hatte. »Bitte sage zu niemandem ein Wort, auch zu Ginny nicht. Draco hat damals im Unterricht eine plausible Erklärung für die Lösung seiner Aufgabe geliefert und ich wäre dir dankbar, wenn wir es dabei belassen könnten.«
»Und dir ist nicht aufgefallen, dass er anders war als Ron?«, fragte Harry verblüfft.
»Doch, natürlich. Das Dumme daran war nur, dass mir der neue Ron viel besser gefallen hat, als der alte.«
»Mich wundert, dass Malfoy dich damals nicht verpfiffen hat«, sagte Harry.
»Ich glaube, er hatte zum einen ein schlechtes Gewissen, weil er es genossen hat, mit mir zusammen zu sein. Jedenfalls hat er sich so ähnlich ausgedrückt. Zum anderen stand ich so in seiner Schuld.«
»Was hat er von dir verlangt?«, wollte Harry neugierig wissen.
»Nichts. Ich habe mich bei ihm bedankt und ihm angeboten, mit ihm den Patronuszauber zu üben.«
»Du machst Witze.«
Hermine schüttelte den Kopf. »Zuerst wollte er natürlich nichts davon wissen. Aber dann ist er darauf zurückgekommen. Ich nehme an, weil Blaise Zabini es geschafft hatte und Draco wollte ihm nicht nachstehen. Alleine hat er es nicht hinbekommen und so hat er sich schließlich doch an mich gewandt.«
»Also hast du fleißig mit ihm geübt«, schlussfolgerte Harry.
»Nein, nur ein einziges Mal. Dummerweise haben wir uns genau das Klassenzimmer ausgesucht, in das Ron wenig später mit Lavender hereinspaziert kam. Draco und ich haben uns im Schrank versteckt und dann sind wir durch dessen Rückwand in einen Geheimgang gestürzt. Ich darf dir nicht sagen, was da unten passiert ist, aber es war grauenhaft. Draco hat so heldenhaft gekämpft und uns beide da rausgeholt. Als ich verletzt wurde, hatte er die beste Gelegenheit abzuhauen, doch er blieb und riskierte sein Leben, um meins zu retten. Das hat uns irgendwie miteinander verbunden.«
»Kann Malfoy einen Patronus heraufbeschwören?«
Hermine spürte, wie sie verlegen wurde. »Ja, er nimmt sogar Gestalt an.«
»Donnerwetter und mir hat er erzählt, er verfüge über keine glückliche Erinnerung«, sagte Harry und grinste plötzlich. »Du hast ihm eine geliefert, stimmt es?«
»Hm, es scheint so.«
»Also wenn mir das jemand vorher gesagt hätte, ich würde ihm empfohlen haben, sich mal im St. Mungos untersuchen zu lassen.« Harry drückte Hermines Hand. »Wie hat er dich letztendlich rumgekriegt?«
Sie erzählte von der Strafarbeit und dem Kuss unter dem Mistelzweig. Da hatte sie sich schon in ihn verliebt, mochte sich ihre Gefühle aber nicht eingestehen. Sie fühlte sich schuldig und hatte deshalb Ron aufgesucht. Danach hatte sie versucht, Draco fernzubleiben. Doch Professor McGonagall hatte ihr aufgetragen, ihn bei einer Familienangelegenheit zu unterstützen. Sie hatte es kaum ausgehalten, ihn den ganzen Nachmittag neben sich zu spüren. Jetzt erst gab Hermine zu, das Quidditchspiel gegen Ravenclaw verpasst zu haben.
Dann erzählte sie, wie Draco sie in Rons Gestalt in den Raum der Wünsche gelockt hatte. Obwohl sie später wusste, wer er wirklich war, hatte sie sich mit ihm eingelassen. Da war sie bereits rettungslos in ihn verliebt.
»Wie geht es mit euch weiter? Was sagen seine Eltern zu eurer Verbindung?«, fragte Harry ernst.
Hermine verknotete unwillkürlich ihre Finger. »Für seine Mutter ist das in Ordnung, aber sein Vater weiß es noch nicht. Ich habe Angst, Harry, schreckliche Angst. Ich glaube, Draco fürchtet sich auch vor der Auseinandersetzung. Er hofft darauf, dass seine Mutter Lucius Malfoy überzeugen wird, aber ich glaube, tief in seinem Inneren baut er nicht darauf.«
»Ich glaube, Malfoy liebt dich aufrichtig, doch ich bin mir nicht sicher, wie er sich entscheiden wird, wenn er zwischen dir und seinem Vater wählen muss«, sagte Harry.
Hermine biss sich auf die Lippen. »Ich auch nicht«, wisperte sie.
Die Tür der Krankenstation öffnete sich abermals und Ginny kam herein. Sie ging schnurstracks auf Harrys Bett zu. Hermine stand auf. Sie war unschlüssig, wie sie sich verhalten sollte. In Ginnys Augen glitzerten Tränen. Sie breitete die Arme aus. »Es tut mir wahnsinnig Leid, Hermine. Ich war so ein blinder Schnarchkackler. Kannst du mir verzeihen?«
Hermine schluchzte auf und umarmte ihre Freundin. Beide versicherten sich gegenseitig, wie sehr sie die letzten Wochen gelitten und einander vermisst hatten. Hermine bemerkte mit einem Seitenblick auf Harry, wie er die Augen verdrehte. Sie löste sich von Ginny. Es dauerte nicht lange und die drei lachten wieder zusammen. Draco wurde nur einmal kurz erwähnt, als Ginny kichernd berichtete, wie sie sich bei ihm für Harrys Rettung bedankt hatte. »Ehrlich Hermine, wenn ich es nicht besser gewusst hätte, ich hätte geschworen, ihm einen Ganzkörperklammerfluch aufgehalst zu haben. Er stand stocksteif da, als ich ihn umarmte, total verspannt. Ich kann mir kaum vorstellen, dass er überhaupt Leidenschaft empfinden kann.«
»Doch, kann er«, murmelte Hermine erstickt, weil sie sich das Lachen verkneifen musste.Am nächsten Tag drängte Hermine Draco dazu, mit ihr gemeinsam Harry zu besuchen. Er sollte am folgenden Morgen entlassen werden. Die roten Streifen um Hals und Fußknöchel hatten sich vollkommen zurück gebildet. Ginny saß bereits auf seinem Bett. Luna und Neville hatten die beiden Stühle belegt. Hermine spürte, wie Draco erstarrte und am liebsten wieder gegangen wäre. Sie umfasste seine Hand ein wenig fester und zog ihn mit sich. Sie wusste, er würde kein Aufsehen erregen wollen und ihr folgen. Zum Glück waren weder Ron noch Lavender Brown zugegen.
»Hallo zusammen«, grüßte Hermine fröhlich. Draco begnügte sich damit, seine Mundwinkel ein wenig anzuheben.
Vier Augenpaare sahen sie an und sofort wurde ihre Unterhaltung fortgesetzt. Die beiden Neuankömmlinge zogen sich ebenfalls zwei Stühle heran und setzten sich neben das Krankenbett. Hermine wurde augenblicklich in das Gespräch mit einbezogen. Von Zeit zu Zeit sah sie Draco an. Sie merkte, dass er sich unwohl in diesem Kreis und nicht als dazugehörig fühlte. So versuchte sie, ihn aus der Reserve zu locken. Sie lenkte das Thema auf die bevorstehenden UTZ-Prüfungen. Alle stöhnten, einschließlich Draco. Hermine hatte einen Gesprächsgegenstand gefunden, der allen an den Nerven zerrte. Nach und nach beteiligte sich auch Draco an der Diskussion.
Schließlich rieb Hermine ihm lachend über den Rücken. »Jetzt stelle ich euch erst mal vor. Also hier zu meiner linken sitzt Ginny, Freundin von Harry, das ist der mit der Brille, der im Bett liegt. Auf der anderen Seite sitzen Luna und Neville. Und das, meine lieben Freunde, ist Draco.«
»Hallo Draco«, erklang es im Chor. Draco warf Hermine einen Blick zu, der etwas Hilfloses an sich hatte. Sie nickte ihm aufmunternd zu.
»Ich werde mich bemühen, euch künftig bei euren Vornamen zu nennen«, sagte er schließlich.
Sofort wandte sich das Gespräch wieder den Schulthemen zu. Sie waren alle so sehr in die hitzige Diskussion vertieft, dass keiner von ihnen bemerkte, wie sich die Tür erneut öffnete und ein Reporterteam des Tagespropheten die Krankenstation betrat.
Das Blitzlicht flammte auf. Erschreckt sahen alle zu Rita Kimmkorn hin, die mit ihrer flotten Schreibefeder bewaffnet, sofort begann, Harry über seine Rettung auszufragen.
Wie sie das nun wieder spitz bekommen hätte, rief Harry. Er hielte sie für eine Wortverdreherin und würde ihr gar nichts erzählen.
»Verschwinden Sie hier auf der Stelle«, zischte Draco und erhob sich. Er überragte die Reporterin ein ganzes Stück.
»Ein Malfoy in einer Runde von Gryffindors. Was das wohl zu bedeuten hat?«, fragte sie anzüglich und ihre Feder strich Draco über die Wange.
Hermine sah, wie seine Augen heller wurden und seine Nasenflügel bebten. Sie ergriff seine Hand. »Nicht Draco, sie ist es nicht wert.«
»Sieh mal an, Miss Granger, wenn ich mich recht entsinne.«
»Dann erinnern Sie sich auch bestimmt noch an das Glas, in dem ich sie eingesperrt habe«, konterte die Gryffindor.
Rita Kimmkorn erbleichte.
»Raus hier. An Harrys Bett haben nur seine Freunde etwas zu suchen«, fauchte Hermine.
»So so, nur seine Freunde«, wiederholte die Reporterin gedehnt. Sie gab ihrem Fotografen einen Wink. »Bitte, dann eben nicht.« Sie warf Hermine und Draco einen prüfenden Blick zu und rauschte hinaus, die grüne Federboa hinter sich her ziehend.
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Brennendes Eis
FanfictionDas goldene Trio kehrt nach dem Tod Voldemorts nach Hogwarts zurück. Hermine freut sich auf ein letztes ruhiges Schuljahr mit ihrem geliebten Ron, doch das Schicksal hat andere Pläne. Ständig kreuzt Draco Malfoy ihren Weg. Zuerst sacht, dann immer s...