Draco wartete bereits am vereinbarten Treffpunkt. Er war nervös. Fast wünschte er sich, Granger würde einen Rückzieher machen. Allzu viel versprach er sich nicht von der Übungsstunde. Seine alleinigen Versuche waren bisher gescheitert und er war sich sicher, zumindest Spruch und Bewegung richtig ausgeführt zu haben.
Als sich die Tür zum Klassenzimmer Punkt vier Uhr öffnete, stand Hermine im Rahmen. Draco konnte sich täuschen, aber sie sah seiner Meinung nach ein wenig schuldbewusst aus. Es war mehr als unwahrscheinlich, dass sie ihren Freunden die Wahrheit über ihr Vorhaben erzählt hatte.
»Hallo Malfoy«, grüßte sie und schloss die Tür hinter sich ab.
Draco wusste, das hatte sie bei Zabini nicht getan. »Hallo Granger, fürchtest du unliebsamen Besuch?«
Hermine ignorierte seine Frage und kam auf ihn zu. »Nun, ich schlage vor, du zeigst mal, was du bis jetzt kannst.«
»Nichts«, brummte Draco peinlich berührt.
»Soll das heißen, du hast nicht weiter geübt?«
»Das heißt, ich bekomme meinem Zauberstab noch nicht einmal Qualm entlockt, egal wie sehr ich mich anstrenge.«
Hermine blies die Wangen auf.
»Hey, ich habe nicht gesagt, dass es leicht werden würde, Granger«, sagte Draco und spürte, wie er zornig wurde.
»Habe ich auch nicht erwartet. Also los, versuche es.«
Halbherzig stellte sich Draco in Position. Er hob den Weißdornstab, den er sich aus dem Schlafsaal der Gryffindors zurückgeholt hatte. »Expecto Patronum!«
Hermine schüttelte missbilligend den Kopf. »Du bist viel zu verkrampft. Setz dich erst einmal hier auf den Stuhl.«
Draco gehorchte widerwillig. »Was mache ich falsch?«
Hermine stellte sich hinter ihn. »Offensichtlich nichts, Spruch und Bewegungen sind korrekt. Vielleicht liegt es an dem glücklichen Moment, den du dir ins Gedächtnis zurückrufen musst.«
»Das hat Potter auch schon versucht«, antwortete Draco enttäuscht. Es störte ihn, dass er sie nicht sehen konnte.
»Schließ die Augen und entspann dich«, verlangte sie.
»Wenn du hinter meinem Nacken stehst, Granger? Wie stellst du dir das denn vor?«
»Ich bin hier um dir zu helfen, auf deine Bitte hin, schon vergessen? Ich habe Ron entwaffnet, weil er dich von hinten angreifen wollte und dann glaubst du wirklich, ich würde dich jetzt verhexen wollen?«
Draco bildete sich ein, einen verletzten Unterton zu hören. Sofort lenkte er ein. »In Ordnung, Granger. Wie du es für richtig hältst.«
Er neigte sich zurück. Seine Schulterblätter drückten sich gegen die Lehne des Stuhls. Draco schloss die Augen, hielt seinen Zauberstab jedoch fest umklammert.
Er spürte, wie Hermine ihre Hände auf seinem Schlüsselbein ablegte. Sanft begann sie Schultern und Nacken zu massieren.
»Hast du das bei Zabini auch gemacht?«, wollte er wissen und ignorierte den plötzlichen Stich in seinen Eingeweiden.
»Das war nicht nötig. Er war bei weitem nicht so angespannt. Ich nehme an, dass du dich selbst blockierst. Dir ist es enorm wichtig, einen Patronus zu erzeugen und dadurch setzt du dich selbst zu sehr unter Druck.«
Großartig, jetzt wurde er von ihr auch noch analysiert. Hermines Finger kneteten derweil weiterhin seine Muskeln. Doch plötzlich hielt sie inne und beugte sich ein wenig vor. Ihre Haare streiften an seiner Wange entlang und Draco stieg wieder der Duft nach Zitronengras in die Nase. Er wagte es nicht, sich zu bewegen.
»Kannst du es überhaupt ertragen, von mir berührt zu werden? Ich habe nicht daran gedacht, dass es dich abschrecken könnte«, fragte sie zögernd und hielt inne.
»Schon in Ordnung«, presste er hervor.
Hermine fuhr mit der Massage fort und Draco wurde langsam lockerer. Ihm gefiel ihre Methode wider Erwarten ausgesprochen gut.
»Es muss nicht unbedingt eine Situation sein, die du schon einmal erlebt hast«, sprach Hermine weiter. »Es reicht aus, an ein Gefühl oder einen Geruch zu denken.«
Vor Dracos innerem Auge stieg ein Bild hoch. Es war eine Hermine, die unter ihm lag. Ihre Augen wirkten fast schwarz und sie sah ihn leidenschaftlich an. Er roch ihren Duft, spürte erneut die Arme um seinen Hals, die ihn auf sie hinab zogen und dann schmeckte er abermals ihre Lippen. Er schreckte hoch.
»Ist dir etwas eingefallen?«, fragte sie gespannt und ließ ihre Hände von seinen Schultern gleiten.
Draco erhob sich, drehte sich um und sah auf sie hinab. »Ja, ich habe mich an etwas erinnert. Ich bin nur nicht überzeugt, ob es reicht.«
»Egal«, rief Hermine begeistert aus. »Es ist immerhin ein Anfang. Das Schwerste ist überhaupt erst einmal den Anfang eines Patronus zu schaffen. Der Rest kommt nachher von ganz allein.«
Ganz so war es nicht, wie Draco wusste, doch er wollte ihr jetzt nicht widersprechen. Hermine sah ihn erwartungsvoll an.
»Ich kann nicht, wenn du mich so anstarrst«, sagte er.
»Dann schau ich gleich weg, aber mach jetzt die Augen zu und konzentriere dich. Stell dir deine Situation vor. Fühle, wie das Glücksgefühl dich durchströmt, in jede Zelle deines Körpers eindringt und dann rufe deinen Patronus herbei.«
Draco gehorchte. Er beschwor die Szene im Gryffindorturm herauf und sprach die Zauberformel. Sogleich riss er die Augen auf. Aus der Spitze seines Zauberstabes schoss ein silbriger Streifen, der sich zu einer großen Wolke verdichtete. Dann brach die Verbindung ab.
»Du hast es geschafft!«, rief Hermine, die offenbar doch nicht weggesehen hatte.
Im Augenblick war es Draco sogar egal und er strahlte sie an. Er wusste nicht wie es kam, doch plötzlich lag sie in seinen Armen und drückte sich an ihn. »Ich freue mich so für dich«, murmelte sie in sein Ohr.
Er versenkte die Nase in ihrem Haar und streichelte über ihren Rücken. Für einen kurzen Augenblick schien Hermine sich noch mehr an ihn zu schmiegen. Dann löste sie sich irritiert und ein rötlicher Schimmer überzog ihr Gesicht.
»Keine Ahnung, was plötzlich in mich gefahren ist. Ich habe mich nur so schrecklich für dich gefreut«, murmelte sie sichtlich verlegen und trat hastig einen Schritt zurück.
Draco spürte leises Bedauern in sich aufsteigen. Er bemühte sich, sich nichts anmerken zu lassen und versuchte ein Lächeln. »Noch ein, zwei Übungseinheiten und ich schaffe vielleicht einen gestaltlichen Patronus.«
Doch Hermine schüttelte den Kopf. »Du brauchtest nur einen Schubs in die richtige Richtung. Den Rest schaffst du allein.«
»Aber mit Zabini hast du dich auch mehrmals getroffen«, warf Draco ein. Er war keinesfalls bereit, jetzt schon auf ihre Hilfe zu verzichten.
Hermine verknotete ihre Hände. »Draco«, sprach sie ihn zum ersten Mal mit seinem Vornamen an. »Ich habe das Gefühl, es ist nicht richtig, hier mit dir zu sein. Jetzt sieh mich doch nicht so enttäuscht an. Du hast selbst gesagt, ich sollte mehr auf meinen Bauch hören.«
»Du befolgst also meine Ratschläge, Granger?«, fragte er höhnisch, bestrebt die unerklärliche Freude zu überspielen, die es ihm plötzlich bereite hatte, sie seinen Namen sagen zu hören.
Hermine nickte. »Zum Teil sicherlich. Das Buch aus Hogsmeade habe ich auch nicht gekauft.«
Ein Kichern war vor der Tür zu hören. Jemand drückte die Klinke hinunter.
»Oh, verschlossen«, sagte eine Mädchenstimme, die Draco nicht identifizieren konnte. »Aber wir müssen hinein.«
Hektisch sah sich Draco um. Er packte Hermine grob am Arm und zog sie auf den Klassenschrank zu. Sie sträubte sich, doch Draco schleppte sie unerbittlich weiter. »Du willst doch nicht mit mir gesehen werden, Granger. Ich habe keinen Ruf mehr zu verlieren«, zischte er.
Hermine gab ihren Widerstand auf. Die Schranktür hatte sich gerade hinter den beiden geschlossen, als der Raum durch ein »Alohomora« geöffnet wurde.
Draco drückte Hermine an die Rückwand des Schrankes. Zum Glück für sie beide war nur eine Seite mit Fächern ausgestattet. Dennoch war es sehr eng, so dass sie aneinander gepresst wurden.
»Komm schon, ich will dir etwas zeigen«, hörten sie das Mädchen erneut.
Draco spürte, wie Hermine sich versteifte. »Weißt du wer das ist?«, fragte er leise.
»Lumos«, murmelte sie und Draco konnte im schwachen Lichtschein ihres Zauberstabes die weit aufgerissenen Augen erkennen.
»Das ist Lavender Brown.«
Draco dachte nach. »War die nicht mal mit Weasley zusammen?«, flüsterte er.
»Stimmt. Ist eine Weile her«, antwortete die Gryffindor und ihre Lippen wurden schmal.
Sie hörten, wie die Türe vom Klassenzimmer geschlossen wurde. Dem nächsten Geräusch nach zu urteilen, wurde die Schublade eines Pultes herausgezogen.
»Offenbare«, sagte Brown laut.
»Oh, das ist ja toll. Hast du das ganz allein gezaubert?«
Diese Stimme gehörte eindeutig Ronald Weasley. Draco fasste Hermine unwillkürlich fester. Sie zog hörbar die Luft ein.
»Gefällt es dir wirklich?«, fragte Brown gerade.
»Aber ja doch. Ich sehe richtig gut aus als Miniaturhüter. Sieh mal, wie ich jeden Ball abfange.« Die Begeisterung in Weasleys Stimme war nicht zu überhören.
»Das ist mein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk für dich, Won Won«, flötete das Mädchen.
»Echt? Aber weißt du, ich habe gar nichts für dich.«
»Das macht doch nichts. Außerdem ist heute erst der einunddreißigste Oktober. Bis Weihnachten ist es also noch etwas hin.«
Hermine holte tief Luft. Sofort legte Draco ihr die Hand über den Mund. »Schsch, sonst verrätst du uns noch.«
»Das ist mir egal«, antwortete Hermine dumpf. »Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich hier tatenlos rumstehe, während die da draußen meinen Freund anbaggert.«
»Denk doch mal nach, Granger. Wenn du da jetzt rausstürmst, wie eine Furie, was wird dein Wiesel wohl von dir denken, wenn er dich ausgerechnet mit mir zusammen sieht?«, wisperte Draco eindringlich.
»Ich werde es ihm erklären«, sagte Hermine bockig.
»Verdammt Granger, jetzt nimm doch endlich Vernunft an!«
Doch Hermine wollte nicht zuhören. Sie versuchte, sich an Draco vorbei zu drängen. Das konnte er keinesfalls zulassen. Er presste seinen Körper fest an den ihren und drückte sie hart gegen die Rückwand des Schrankes.
Plötzlich hatte Draco das Gefühl, nach vorne ins Nichts zu stürzen.
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Brennendes Eis
FanfictionDas goldene Trio kehrt nach dem Tod Voldemorts nach Hogwarts zurück. Hermine freut sich auf ein letztes ruhiges Schuljahr mit ihrem geliebten Ron, doch das Schicksal hat andere Pläne. Ständig kreuzt Draco Malfoy ihren Weg. Zuerst sacht, dann immer s...