Hermine drehte sich um und sah aus dem Fenster in ihrem Rücken, das zum Vorgarten hin zeigte. »Ihre Enkelin geht tatsächlich.«
»Es tut mir Leid für sie, aber das Gesetz zur Geheimhaltung der Zauberei ist nun einmal unumstößlich«, seufzte die alte Dame leise.
»Würden Sie so liebenswürdig sein und den Tee einschenken?«, bat sie die Gryffindor.
Geschickt schüttete Hermine die Tassen voll und legte jedem ein Stück Kuchen auf den Teller. Draco betrachtete den Tortenheber. Er hätte im Leben nicht herausgefunden, wozu der dienen sollte. Sein Erstaunen musste ihm wohl vom Gesicht abzulesen gewesen sein, denn Elaine lächelte wissend. »Hier eröffnet sich für einen Malfoy eine ganz neue Welt, nicht wahr?«
Draco nickte langsam. Er hatte das Gefühl auf einem Ameisenhaufen zu sitzen. »Ihre Freundin kennt sich jedoch bestens aus.«
»Sie stammt aus einer Muggelfamilie«, antwortete Draco schnell, in der Hoffnung, Hermine würde die Bezeichnung Freundin nicht dementieren.
»Erstaunlich. Sagen Sie Draco, ich darf Sie doch so nennen?«
Das passte ihm nicht, doch er wollte die alte Dame nicht vor den Kopf stoßen und nickte.
»In welchem verwandtschaftlichen Verhältnis stehen Sie zu Chimärus?«
»Mein Vater ist der Sohn seines Bruders.«
»Ich erinnere mich. Abraxas hat uns viel Kummer gemacht. Ohne ihn wäre ich heute ..., ach lassen wir das. Wie heißt Ihr Vater?«
»Lucius«, antwortete er.
Elaine lachte leise. »Ja, das passt. Und wie ist Ihr Vater so?«
Draco erschloss sich nicht, worauf die Frau hinauswollte, doch um einen guten Eindruck auf Hermine zu machen, musste er ruhig bleiben und sich sein Unbehagen nicht anmerken lassen.
»Wie mein Großvater«, sagte er deshalb.
»Das dachte ich mir. Aber Sie sind anders, nicht wahr?«
»Falsch, ich bin der Sohn meines Vaters.« Draco verstand überhaupt nichts mehr.
Die braunen Augen der alten Dame richteten sich prüfend auf ihn. »Vielleicht denken Sie das, aber ich versichere Ihnen, Sie kommen vom Charakter her mehr auf Ihren Großonkel. Es gibt nur zwei Sorten von Malfoys, die harten und die versteinerten. Glauben Sie im Ernst, Ihr Vater oder Ihr Großvater wären je in Begleitung einer muggelstämmigen Hexe bei einer alten Frau aufgetaucht, um ihr vom Schicksal ihrer großen Liebe zu berichten?«
Elaine sah auf Draco, der spürte, wie Hermine ihn ebenfalls erstaunt fixierte. Seine bleiche Gesichtsfarbe nahm einen mattrosa Schimmer an.
»Aus welchem Haus sind Sie, wenn ich fragen darf?«, wandte sich Elaine an Hermine und verschaffte Draco dadurch genügend Zeit, sich zu sammeln.
»Gryffindor.«
»Au weia, das ist heftig. Ich nehme mal an, dass Sie, Draco, ein Slytherin sind.«
»Natürlich. Mrs. Rawlish, Miss Granger kennt Ihre Vergangenheit nicht. Ich habe sie über den Grund unseres Besuches im Unklaren gelassen. Vielleicht sollten Sie ihre Version erzählen.«
Elaines Augen bekamen einen glasigen Schimmer, als sie nun nach Hogwarts zurückkehrte. Ihre Geschichte deckte sich mit der von Chimärus. Nach ihrem letzten Treffen ging Elaine in ihr Haus, voller Hoffnung auf eine glückliche Zukunft.
»Ich wusste, dass er bei der Suche nach einem Ausweg für uns gestorben war. Er hatte mir eine Rose geschenkt, die jeden Tag aufs Neue erblühte. Am Morgen, nachdem er in den Geheimgang gestiegen war, verwelkte die Rose. Da wusste ich, ich würde ihn nie wieder sehen. Ich zerbrach meinen Zauberstab und verließ die Schule. Ich wollte nichts mehr mit der Welt zu tun haben, die mir das Liebste genommen hatte, nur weil er die Lehre vom reinen Blut meinetwegen nicht achten wollte.«
Hermine schluchzte. Draco zog sofort ein Taschentuch heraus und hielt ihr hin. Zu seiner Verwunderung nahm sie es sogar an.
»Und jetzt möchte ich Ihre Geschichte hören«, sagte Elaine und ihre Stimme zitterte ein wenig. Draco schlang das letzte Stückchen Kuchen auf seinem Teller hinunter, das er während Elaines Erzählung begonnen hatte zu essen.
Abwechselnd berichteten er und Hermine, wie sie Chimärus Skelett gefunden und anschließend die Hydra besiegt hatten. Sie verschwiegen Elaine in stiller Übereinkunft allerdings, wie das Gerippe zugerichtet gewesen war. Dass Elaine von der Seeschlange erfahren durfte, hatten sie zuvor mit Professor McGonagall abgesprochen.
Die alte Dame fragte Draco, ob er etwas dagegen hätte, wenn sie an die Schulleiterin schreiben, und um Überführung von Chimärus Überresten bitten würde. Elaine wollte veranlassen, dass er auf dem hiesigen Friedhof beerdigt werden würde. So konnte sie zumindest im Tode bei ihm sein.
Draco gab sein Einverständnis. Er berichtete in einer geschönten Version von dem Gespräch mit seinem Vater und der anschließenden erfolgreichen Suche auf dem Dachboden. Er zog das Notizbuch und den Ring aus seiner Tasche.
Mit bebenden Händen griff Elaine nach dem Ring. »Und Sie wollen ihn mir wirklich geben?«
Draco nickte. »Mein Onkel hat mich zwar nur gebeten, Ihnen dieses Buch zu bringen, aber ich denke, für Sie hat der Ring mehr Bedeutung, als für mich.« Dann reichte er ihr das Buch, zog seinen Zauberstab aus der Innentasche, tippte es kurz an und sagte: »Offenbare.«
Sogleich erschien die Frage, ob der Halter ein Malfoy sei.
»Nehmen Sie eine Feder und schreiben Sie »nein«. Ich denke, dann wird er Sie nach Ihrem Namen fragen«, vermutete Draco.
»Eine Feder? So etwas habe ich nicht mehr. Glauben Sie, es könnte auch mit einem Kugelschreiber funktionieren?«, wollte die alte Dame wissen.
Draco sah Hermine fragend an. »Was ist das denn?«
»Ich denke nicht, dass es damit gelingt, weil die Tinte fehlt«, antwortete sie und warf Draco einen kurzen Blick zu. »Haben Sie vielleicht einen Füller?«
»Ja«, strahlte Elaine. »Dort hinten in dem Sekretär. Bitte öffnen Sie die Klappe. Rechts, in der obersten Schublade müsste der alte Schulfüller meiner Enkelin liegen.«
Hermine stand auf, ging hinüber und kam nach kurzer Zeit mit etwas Blau-silbernem in der Hand zurück. Sie zog die Kappe ab, steckte sie hinten wieder auf und reichte Elaine das Stück, was Muggel offenbar als Füller bezeichneten.
Elaines Hand zitterte ein wenig, als sie das Wort »Nein« hineinschrieb.
Sogleich erschien eine weitere Frage: Wer bist du?
»Schreiben Sie Ihren Mädchennamen auf«, riet Hermine sogleich und beugte sich gespannt über die Schulter der alten Dame. Draco stand ebenfalls auf und stellte sich hinter die andere Schulter. So musste er die Wörter nicht mehr auf dem Kopf lesen.
Als Elaine fertig war erschien die nächste Frage. Chimärus wollte offenbar sicherstellen, dass nur seine wahre Liebe die für sie bestimmten Worte lesen sollte.
Wie habe ich dich immer genannt?
Elaines Lächeln war so wehmütig, dass Draco sich irgendwie gerührt fühlte. Dann schrieb sie: Herzblume!
Einen Augenblick später erschienen folgende Worte:
Elaine! Meine über alles geliebte Elaine! Du liest nun diese Zeilen, was bedeutet, dass ich nicht mehr bei dir sein kann. Meine Familie hat somit letztendlich gewonnen und uns getrennt. Glaubst du, dass Liebe mit dem Tod endet? Nein, ich glaube das nicht ...
Elaine blätterte die Seite um. Sogleich bildeten sich neue Buchstaben. Hermine berührte Draco sanft am Arm. »Ich glaube, das geht uns nichts an.«
Mrs. Rawlish schlug das Buch zu. Nun tropften erneut Tränen aus ihren warmen Augen. »Ich werde es später lesen«, sagte sie mit einem Schluchzer. Dann sah sie Hermine an. »Miss Granger, bitte legen Sie den Füller zurück und ziehen Sie die oberste Schublade ganz heraus.«
Hermine tat, wie ihr geheißen. »Sehen Sie das kleine schwarze Lederbändchen an der Rückseite der Schublade? Ziehen Sie daran. Gut, jetzt nehmen Sie bitte das Foto aus dem Geheimfach und bringen es her.«
Hermine übergab es Elaine und nahm neben Draco Platz, der bereits wieder auf dem Sofa saß, ließ allerdings etwas mehr Abstand zwischen ihnen.
Die Frau betrachtete die Fotografie eine kleine Weile, dann reichte sie das Bild über den Tisch. »Es wurde von einer Mitschülerin aufgenommen, die über uns Bescheid wusste. Es ist das einzige, was existiert und ich habe es mir schon Jahre nicht mehr angesehen.«
Draco blickte überrascht auf das Paar, das immer wieder die Köpfe zueinander drehte und sich verliebt in die Augen blickte. Es hätten er und Hermine sein können. Nun gut, Granger war hübscher, auch wenn ihr Haar störrischer war, als das von Elaine und Chimärus hatte nicht so ein spitzes Kinn und weichere Gesichtszüge als Draco. Dennoch war die Ähnlichkeit unverkennbar. Hermine schien das gleiche zu denken. Sie rutsche ein wenig unruhig auf dem Sofa hin und her.
Draco reichte Elaine das Bild zurück.
»Wissen Ihre Eltern von Ihnen und Miss Granger, Draco?« fragte die alte Dame unvermittelt.
»Mein Vater noch nicht. Doch meine Mutter hat nichts gegen meine Wahl einzuwenden«, antworte er und hörte, wie Hermine die Luft einzog. Hastig griff er nach ihrer Hand und drückte kurz die Knöchel gegen seine Lippen. Dann ließ er sie auf seinen Oberschenkel sinken, ihre Finger weiterhin in einander verschränkt.
Er sah aus den Augenwinkeln, wie sie ihn verwundert anstarrte. Ihre Hand zuckte in der seinen, als wollte sie sich seinem Griff entziehen. Er packte ein wenig fester zu und Hermine gab ihre halbherzigen Bemühungen auf. Offenbar wollte sie Mrs. Rawlish nicht vor den Kopf stoßen.
»Es wird sehr schwer werden, Ihren Vater zu überzeugen. Miss Grangers Herkunft und Zugehörigkeit zu Gryffindor müssen ihn entsetzen«, sagte Elaine traurig.
»Ich werde schon einen Weg finden«, antwortete Draco. »Was ich schon immer wissen wollte, was ist so schlimm an einem Paar aus Slytherin/Gryffindor? Selbst wenn es sich bei beiden um Reinblüter handelt, ist die Verbindung verpönt.« Es war Hermine, die leise antwortete: »Die Aufnahme von Menschen, die aus nicht magischen Familien stammen, war der ein Streitpunkt zwischen den Gründern. Godric Gryffindor war der ärgste Gegenspieler von Salazar Slytherin. Ihm gelang es, die beiden anderen Mitbegründerinnen, Helga Hufflepuff und Rowena Ravenclaw, auf seine Seite zu bringen, so dass Salazar schließlich die Schule verließ. Die Rivalität zwischen unseren Häusern ist heute noch die höchste in Hogwarts. Denk doch nur an die Quidditchspiele. Gryffindor/Slytherin ist immer das am härtesten umkämpfte.«
Die Uhr schlug fünfmal.
»Bei Merlin, so spät schon?«, fuhr Hermine erschrocken auf. »Wir müssen den Rückweg antreten.«
Sie hörten, wie die Haustür sich öffnete. »Ihre Enkelin kommt zurück«, sagte Draco und bedauerte, Hermines Hand loslassen zu müssen, deren Abdruck auf seinem Schenkel zu brennen schien.
Hermine versteckte das Foto wieder an seinem geheimen Platz. Sie verabschiedeten sich herzlich von Elaine Rawlish.
Nachdem sie ihre Mäntel wieder angezogen und Amanda Rawlish ebenfalls Adieu gesagt hatten, gingen sie auf den Baum zu.
Hinter dessen Stamm vergewisserten sie sich, dass niemand zu sehen war. Sie schlangen jeweils einen Arm umeinander, sahen sich tief in die Augen und disapparierten.
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Brennendes Eis
FanfictionDas goldene Trio kehrt nach dem Tod Voldemorts nach Hogwarts zurück. Hermine freut sich auf ein letztes ruhiges Schuljahr mit ihrem geliebten Ron, doch das Schicksal hat andere Pläne. Ständig kreuzt Draco Malfoy ihren Weg. Zuerst sacht, dann immer s...