Ein neuer Anfang [1/2]

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»NEIN!«, schrie Hermine und stürzte zu ihrem Freund.
Draco lag auf dem Rücken und hatte die Augen geschlossen. Seine Brust hob und senkte sich nicht mehr.
Auf seiner anderen Seite kniete Lucius Malfoy. Tränen liefen ihm über das Gesicht. Sie verschwanden in den tiefen Falten seiner Mundwinkel, um anschließend den Weg über sein Kinn zu finden und auf seinen schwarzen Mantel zu tropfen. Zitternd streckte er die Hände nach seinem Sohn aus. Fahrig fuhren sie im über die Stirn.
»Bei Merlin, Draco. Was habe ich getan? Was habe ich nur getan?«, murmelte er erstickt.
Hermine weinte. Sie nahm kaum wahr, wie Harry und Ginny sich neben sie knieten.
»Er kann nicht tot sein«, sagte Ginny leise. »Ich sah doch, wie der grüne Blitz über ihm in der Hüttenwand einschlug.«
Hermine blickte Lucius kurz an. Er wich instinktiv ein Stück zurück und überließ es ihr, nach Dracos Herzen zu tasten. Gleichzeitig fühlte sie an seiner Halsschlagader nach einem Puls. Da war er, allerdings sehr schwach. Auch das Herz schlug regelmäßig.
»Draco lebt«, flüsterte sie schluchzend.
»Ihn müssen die drei Schockzauber getroffen haben«, sagte Harry. »Als wir den unverzeihlichen Fluch hörten, haben Ginny und ich sofort reagiert.«
Lucius Malfoy sah von einem Gryffindor zum anderen und wischte sich mit dem linken Ärmel über das Gesicht. »Wir«, er räusperte sich. »Wir müssen ihn auf die Krankenstation bringen. Er ist zwar jung und stark, aber mit drei Schockzaubern, noch dazu von solcher Intensität, ist nicht zu spaßen.«
»Sie gehen voran«, sagte Harry schneidend. »Ich möchte Sie nicht gerne im Rücken haben.« Er streckte die Hand aus. »Zauberstab her!«
Lucius sah ihn ein wenig verwirrt an. »Den habe ich fallen lassen.«
Sofort erhob sich Ginny und suchte den Boden ab. »Tatsächlich, hier ist er und Dracos auch.« Sie steckte die Zauberstäbe ein.
Harry deutete auf den Tunnel. »Da geht's lang. Wir kommen mit Draco nach.«
Lucius warf noch einen langen Blick auf seinen Sohn und kroch in den Gang.
»Die Heulende Hütte scheint das Schicksal der Slytherins stets zu beeinflussen«, sagte Harry. »Ich hoffe diesmal wenigstens zum Guten«, flüsterte Hermine belegt und starrte auf die dunklen Flecken am Boden, von denen sie annahm, dass es die Überreste von Snapes getrocknetem Blut waren.
Harry ließ Dracos Körper durch den Gang schweben, während die drei Gryffindors hinterher krochen. Am Ausgang des Tunnels stand Lucius Malfoy und presste sich an den Stamm der Peitschenden Weide, um nicht von den umherschwirrenden Zweigen getroffen zu werden. Harry quetschte sich an dem schwebenden Draco vorbei und Ginny übernahm für kurze den Zauber. Seine Hand tastete nach dem Knoten in der Rinde. Er drückte darauf und sofort stand die Weide still.
Auf seinen Wink hin schwebte Dracos Körper aus dem Eingang und Ginny und Hermine krochen hinterher.
Lucius sagte kein Wort, während sie gemeinsam zur Schule gingen. Bevor sie jedoch den Hof betraten, blieb Dracos Vater stehen und sagte mit eigentümlich brüchiger Stimme: »Ich möchte meinen Sohn tragen.«
Harry nickte knapp. Liebevoll nahm Lucius Draco in die Arme. Harry löste den Zauber. Der groß gewachsene Blonde schwankte ein wenig, als er nun das volle Gewicht seines Sohnes zu tragen hatte.
Der Weg zum Krankenflügel nahm einige Zeit in Anspruch. Auf Lucius Stirn bildeten sich kleine Schweißperlen, doch er ließ Draco nicht los, der wie eine leblose Puppe in seinen Armen hing.
Seamus Finnigan kam um die Ecke und Harry schickte ihn zu Professor McGonagall, mit der Bitte, sofort zu Madam Pomfrey zu kommen.
Endlich stießen sie die Tür zur Krankenstation auf. Lucius trug Draco hindurch und legte ihn behutsam auf dem nächsten freien Bett ab.
»Was ist passiert?«, rief die herbeieilende Medihexe sofort.
»Drei Schockzauber«, erklärte Harry.
Verwirrt sah Madam Pomfrey ihn an. »Ich dachte, ihr wärt mittlerweile Freunde, oder wolltet ihr euch rächen, weil es bisher immer er war, der dafür gesorgt hat, dass die Gryffindors auf die Krankenstation mussten?«
»Nein«, sagte Harry scharf. »Wir wollten ihn treffen.« Er deutete mit dem Finger auf Lucius Malfoy. »Draco hat sich dazwischen geworfen.«
»Kinder, Kinder«, murmelte Madam Pomfrey und beugte sich über ihren neuen Patienten.
Lucius saß auf der Bettkante und ließ Dracos Hand nicht los. Hermine hätte am liebsten auf der anderen Seite Platz genommen, doch sie traute sich nicht. Ihre Augen huschten über ihren Freund, der blass und reglos dalag. Die Tür zur Krankenstation flog erneut auf und eine schnaubende Professor McGonagall trat ein. Mit einem Blick erfasste sie die Situation und steuerte auf die Gruppe zu.
»Sie werden mir einiges zu erklären haben, Mr. Potter«, fauchte sie.
»Minerva«, sagte Lucius Malfoy dumpf. »Es ist alles meine Schuld. Ich habe einen schrecklichen Fehler gemacht.«
»Was reden Sie da, Lucius?«
»Draco liegt meinetwegen hier.«
»Ich wäre Ihnen allen dankbar, wenn Sie den Jungen nun in meiner Obhut belassen würden«, meldete sich Madam Pomfrey zu Wort. »Die Krankenstation ist wohl kaum der richtige Ort für derartige Gespräche. Außerdem braucht Mr. Malfoy junior jetzt Ruhe, damit er wieder auf die Beine kommt.«
Professor McGonagall sah aus, als hätte sie etwas Unangenehmes gerochen, als sie sich nun an Dracos Vater wandte. »Lucius, wir sollten unsere Unterhaltung in meinem Büro fortsetzen. Mr. Potter, Miss Weasley, Sie kommen auch mit. Miss Granger, Sie gehen in Ihren Schlafsaal und ruhen sich aus. Sie sehen furchtbar erschöpft aus.«
»Kein Aber«, fuhr die Schulleiterin energisch fort, als Hermine sie unterbrechen wollte. »Ich bin froh, dass das nun wirklich Ihr letztes Jahr in Hogwarts ist. So aufregende Ereignisse, wie sie die Schule während Ihrer Zeit erlebt hat, gibt es hoffentlich nicht so bald wieder.«Hermine ging hängenden Kopfes zurück zum Gryffindorturm. Es war niemand dort. Wahrscheinlich waren alle beim Mittagessen. Doch der Appetit war Hermine vergangen. Sie setzte sich auf ihr Bett und betrachtete das Glas mit Dracos Zauber. Die Blüte öffnete und schloss sich noch, wenn auch wesentlich langsamer als gewöhnlich. Die wechselnden Farben waren blass. Es war, als würde ein grauer Schleier über ihnen liegen. Doch solange der Zauber noch wirkte, lebte Draco.
Hermine begann unwillkürlich erneut zu zittern, als sie an die Heulende Hütte dachte. Sie hatte Lucius Malfoy nicht direkt erkannt, weil er auf einem Stuhl saß, den Mantelkragen hochgeschlagen, sodass sein langes Haar verdeckt war. Noch ehe Hermine ihren Irrtum bemerken konnte, hatte Dracos Vater sie entwaffnet. Sie hatte Todesängste ausgestanden, doch er hatte sich damit begnügt, ihr zu drohen und sie zu beleidigen. Auf die Folter mit dem Cruciatusfluch hatte er verzichtet. Zum Glück war Draco bald darauf erschienen. Er hatte nicht gelogen, er liebte sie wirklich. Was konnte es für einen größeren Beweis geben, als sich dem Todesfluch in den Weg zu werfen?
Noch etwas wurde Hermine klar, auch Lucius Malfoy liebte seinen Sohn. Draco hatte auch in diesem Punkt Recht gehabt. Sein Vater machte den Eindruck eines gebrochenen Mannes. Doch Hermine war sich nicht sicher, ob es reichte, dass Lucius Malfoy zur Besinnung kam. Sie wollte sich nicht der Hoffnung hingeben, auch er würde jetzt die Wahl seines Sohnes anerkennen.
Und wenn doch, würde Draco ihm verzeihen? Schließlich liebte auch er seinen Vater. Allein aufgrund des Fluches müsste Lucius Malfoy eigentlich erneut in das Gefängnis. Wie würde Draco damit umgehen? Würde er traurig sein, wenn seine Familie erneut auseinander gerissen wurde? Dann könnte Hermine zwar sicher an seiner Seite leben, aber wahrscheinlich nur, solange Lucius Malfoy hinter diesen Mauern war. Aber ein Dasein mit einer solchen unterschwelligen Angst war nicht das, was sie sich wünschte.
Hermine legte sich zurück und wälzte sich noch lange hin und her, bis sie schließlich in einen erschöpften Schlaf fiel.
Eine Hand weckte sie, die ihr sanft durch die Haare strich. Hermine war mit einem Schlag hellwach. Ginny saß an ihrem Bett. »Hey Mine, wie geht es dir?«
Hermine sah zu dem Blütenzauber. Die Farben erschienen ihr etwas kräftiger. »Am liebsten gut«, antwortete sie.
»Wir waren bis jetzt bei Professor McGonagall. Malfoy hat behauptet, er hätte dich nicht gefoltert, stimmt das?«
Hermine nickte. Ginny zog die Brauen hoch. »Donnerwetter, wir haben alle vermutet, er wollte sich wenigsten in dem Punkt rausreden. Wir wissen ja, dass er es mit der Wahrheit nicht immer so genau nimmt.«
»Wie war er denn sonst so?«, fragte Hermine.
»Er ist nicht wieder zu erkennen. Malfoy senior saß einfach nur da und war am Boden zerstört. Er berichtete tonlos, wie er dich in die Hütte gelockt und entwaffnet hatte. Dann erzählte er, wie geschockt er war, als Draco auftauchte und ihm obendrein noch seine Liebe zu dir gestand. Für einen flüchtigen Moment sah er sehr verbittert aus. Er sagte, ein Slytherin kann nur einmal wahrhaft in seinem Leben lieben und er wollte einfach nicht wahr haben, dass es sich dabei ausgerechnet um dich handelt. Doch er hatte niemals die Absicht, Draco etwas antun. Er hofft nur, dass sein Sohn ihm verzeihen wird, wenn er wieder aufwacht. Er könnte es nicht ertragen ihn zu verlieren.«
Ginny grinste plötzlich.
»Ich weiß wirklich nicht, worüber du dich jetzt amüsierst«, sagte Hermine bissig.
Ginny begann tatsächlich zu kichern. »Entschuldige, aber du hättest das Gesicht von Lucius Malfoy sehen sollen, als Professor McGonagall eine Eule zu Dracos Mutter geschickt hat. Es sah aus, als würde er sich fürchten.«
»Sie wird ihm die Hölle heiß machen«, vermutete Hermine und fühlte sich ein wenig erleichtert. »Narzissa Malfoy belügt Lord Voldemort, nimmt seinen Sturz in Kauf, nur um ihren Sohn wieder lebend in ihre Arme zu schließen, und dann kommt ihr Mann und tötet ihn beinahe. Haben wir eigentlich noch welche von den Langziehohren? Das Gespräch zwischen ihnen würde ich zu gerne belauschen.«

Brennendes EisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt