Im Geheimgang [2/3]

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Draco wagte kaum zu atmen. Gleich würde er aufwachen und feststellen, dass alles nur ein Traum war. Doch es war ein verdammt realer Traum. Die Schlange roch aus ihren Hälsen nach Tod und Verwesung.
»Granger, wenn du jetzt einen deiner brillanten Geistesblitze hättest, wäre ich dir auf ewig dankbar«, flüsterte er.
Das war bereits zuviel. Ein Kopf der Schlange schoss geradewegs auf Draco zu, während ein anderer von der Seite kam. Er hörte Hermine »Stupor!« rufen, doch der Fluch schien an dem Vieh abzuprallen. Draco hielt in der linken Hand den Zauberstab und umklammerte mit der rechten den Säbel. Dies schien ihm im Moment die wirkungsvollere Waffe zu sein. Er drehte sich blitzartig. Die verrostetet Klinge schlitzte die Haut der Schlange auf, während Draco gleichzeitig mit seinem Zauberstab Flammen in den Rachen direkt über ihm schoss.
Der Zauber schien das Biest nicht weiter zu beeindrucken, doch aus der Wunde am Hals spritzte Blut.
Die Schlange zog sich für einen Augenblick zurück, so als wollte sie den Angriff neu formieren.
»Wir müssen uns Rücken an Rücken aufstellen!«, schrie Hermine.
Sofort bäumte sich die Schlange auf und stieß nun mit allen Köpfen gleichzeitig auf ihre vermeintlichen Opfer hinab. Draco und Hermine kämpften mit aller Kraft. Sie schleuderten ununterbrochen Flüche auf das Untier, die es zwar nicht verletzten, es ihnen aber immerhin vom Hals hielten. Die Höhle war erleuchtet von ihren farbigen Blitzen.
Draco trat gegen einen der Köpfe und stach ihm den Zauberstab ins Auge. Er wirbelte den Säbel herum und ließ ihn mit voller Wucht auf den Nacken des Ungeheuers sausen.
Der Hals schnellte nach oben, während der Schädel zu Dracos Füßen liegen blieb.
Die Schlange zog sich erneut ein Stück in den See zurück. Es schien, als würde sie auf etwas warten. Draco gab dem abgeschlagenen Haupt einen Tritt und es rollte ins Wasser.
»Wie viele Köpfe hat das Biest eigentlich?«, rief er, ohne eine Antwort zu erwarten.
»Neun«, schrie Hermine zu seinem Erstaunen. »Nein, jetzt sind es zehn.«
Draco sah mit blankem Entsetzen, wie aus dem Halsstumpf zwei neue Häupter emporwuchsen.
»War mir kein Vergnügen, mit dir gekämpft zu haben, Granger, und noch viel weniger, mit dir in dieser Höhle zu verrotten«, stieß er hervor.
»Ich weiß, was das ist«, rief Hermine. »Das ist eine Hydra. Du musst den Kopf in der Mitte enthaupten.«
»Und wie soll ich das anstellen, Schlaubergerin? Dummerweise hält das Monster den immer außer Reichweite.« Draco warf ihr einen schnellen Blick zu.
»Wir machen es wie Herkules und sein Neffe. Du schlägst die Köpfe ab und ich brenne den Stumpf aus. Dann arbeiten wir uns bis zur Mitte vor.«
»Hoffentlich funktioniert die griechische Mythologie. Die Hydra nimmt uns nämlich erneut aufs Korn.«
Kaum hatte Draco ausgesprochen, als sich drei der Köpfe auf ihn stürzten. Einem stach er von unten den Säbel zwischen die Kiefer. Der Schädel zog sich sofort zurück und gab die Waffe wieder frei. Dem anderen schlug er die Faust gegen die Nasenlöcher und dem dritten schnitt er quer durchs Maul, sodass der Unterkiefer abfiel. Ein Schwall Blut ergoss sich über sein Hemd.
Hermine hatte gerade einen Schockzauber in ein Maul abgefeuert. Draco nutzte den Bruchteil des Moments der Verwirrung und schlug der Hydra diesen Kopf ab.
Sofort schlugen blaue Flammen aus Hermines Zauberstab und verschweißten die Wunde. Die Schlange erstarrte für einen Moment. Kein neues Haupt wuchs nach.
»Es klappt«, rief Draco, neue Hoffnung schöpfend.
Sogleich trennte er einen weiteren Kopf vom Rumpf, der sich zu langsam auf ihn zu bewegte.
»Inflamare«, befahl Hermine und auch diese Wunde schloss sich. Dann schrie sie auf: »Draco, hinter dir!«
Er schnellte herum. Die Zähne klappten neben seinem Oberschenkel ins Leere. Draco schlug mit voller Wucht auf den Nacken und der dritte Kopf landete im Staub. Nun schossen auch aus seinem Zauberstab die blauen Flammen. Die Seeschlange zog sich abermals ein Stück ins Wasser zurück. Sie schien zu wissen, dass ihre Feinde eine Möglichkeit gefunden hatten, sie zu verletzen.
»Jetzt sind es nur noch sieben Schädel«, keuchte Draco. »Doch lange werden wir nicht mehr durchhalten. Vielleicht hat das Biest auch nur Angst um seine Brut.«
Vorsichtig trat er einen Schritt rückwärts. Sofort wandten sich ihm alle verbliebenen Häupter der Schlange zu, doch sie griff nicht an. Draco machte noch einen Schritt nach hinten. Vierzehn gelb glitzernde Augenpaare beobachteten ihn.
»Komm Granger, langsam zurückweichen«, sagte Draco leise.
Das zweite Ei war aufgebrochen und gab eine weitere Babyhydra frei. Das zuerst Geschlüpfte hatte mittlerweile den Rand des Nestes erreicht. Von dort fiel es hinunter vor Hermines Füße.
Sofort richteten sich vier Köpfe der ausgewachsenen Schlange in ihre Richtung. Die junge Hexe erstarrte. Die Minihydra fiepte, reckte die Hälse und biss plötzlich in Hermines Knöchel.
»Au!«, rief sie und schleuderte das Kleine reflexartig ins Wasser.
Die große Hydra stürzte sich auf sie. Blitzartig schlug ein Schädel seine Zähne in ihre Hüfte. Hermine schrie und sank ohnmächtig zu Boden.
»GRANGER!«, brüllte Draco. Mit zwei gewaltigen Sätzen hatte er sie erreicht, stellte sich breitbeinig vor sie.
Er schlug panisch um sich, um zu verhindern, dass die Seeschlange Hermine weiter verletzte. Doch das Geschöpf konzentrierte sich jetzt voll auf seinen Angreifer. Draco durchtrennte zwei Hälse, hörte wie der Ärmel seines Hemdes riss. Zum Glück hatte die Hydra nur den Stoff erwischt. Ihm gelang es gerade noch, die Wunden zu verschweißen, ehe die Hydra erneut zustieß.
Draco war, als vernahm er plötzlich die Stimme seines Vaters. »Lese deinen Gegner, mein Sohn. Sei ihm immer einen Schritt voraus. Denk daran, was du gelernt hast.«
Die Panik wich. Draco kämpfte, wie noch nie zuvor in seinem Leben. Instinktiv ahnte er, aus welcher Richtung die Schlange den nächsten Angriff starten würde und parierte ihn entsprechend. Der Schweiß rann an ihm herab, seine Armmuskeln begannen zu zittern unter der Wucht seiner Schläge, doch er biss die Zähne zusammen und gab nicht auf.
Draco bemerkte erleichtert, dass der Hydra auch dann keine neuen Köpfe nachwuchsen, wenn er die Hälse nur zur Hälfte durchtrennte. Die Schädel klappten weg und hingen zur Seite, ähnlich dem des fast kopflosen Geistes von Gryffindor. Unerbittlich kämpfte Draco weiter. Die Waffe färbte sich rot. Der Griff wurde unter seinen schwitzenden Händen immer glitschiger. Unwillkürlich packte der Slytherin noch ein wenig fester zu. Schließlich sah Draco das unsterbliche Haupt vor sich. Entschlossen stach er den Säbel in den mittleren Hals und drehte ihn. Die Seeschlange bäumte sich auf und stieß ein Zischen aus. Dabei zog sie sich die Klinge selbst heraus. Ihr warmes Blut floss an Dracos Arm entlang. Er riskierte einen Blick auf Hermine, die bewegungslos dalag. Aus der Bisswunde sickerte ihr Lebenssaft auf den Boden.
Draco breitete die Arme aus. »Komm doch, Mistvieh!«, schrie er mit dem Mut der Verzweiflung. Die Seeschlange stieß hinab. Draco sprang vor, unterlief sie und als sich der mittlere Kopf ihm zuwandte, schlug er ihn mit einem kraftvollen Hieb ab. Sofort rannte er vorwärts Richtung Nest. Keinen Moment zu früh. Nur eine Sekunde später schlug der mächtige Körper der Hydra in den Sand.
Draco gönnte sich keinen Augenblick des Triumphs. Er stürzte zu Hermine, die immer noch still dalag. Mit einer komplizierten Bewegung seines Zauberstabes stoppte er die Blutung.
Er beugte sich über sie und strich ihr die Haare aus der Stirn. »Komm schon, Granger, rühr dich endlich.« Nichts geschah. Draco richtete sich auf. Sein Blick fiel auf das Nest. Er lief hinüber und schnappte sich eine der aufgebrochen Schalen. Dem Jungen verpasste er dabei einen Schlag mit dem Handrücken. Es zischte und machte sich groß. »Schon ganz die Mama«, knurrte Draco.
Mit der halben Schale ging er zum Wasser und schöpfte etwas davon. Zurück bei Hermine schüttete er es ihr einfach ins Gesicht.
Sie keuchte und schlug die Augen auf. Draco ließ das Ei fallen und kniete sich neben sie. Hermine lächelte gequält. »Hallo Herkules.«
Pure Erleichterung durchströmte ihn. »Du hast mir einen schönen Schrecken eingejagt, Granger. Lass das in Zukunft, ja?«
Ihr Lächeln wurde breiter. Dann fiel ihr Blick auf sein Hemd. »Du blutest ja«, stieß sie hervor und setzte sich langsam auf.
»Ist nicht meins. Ich bin nicht verletzt. Wir sollten verduften, mein Bedarf an griechischer Mythologie ist fürs erste gedeckt.«
Draco streckte Hermine die Hand hin. Sie ergriff sie und er zog sie hoch. Vorsichtig machte sie einen Schritt. Sie stöhnte. »Verdammt, tut das weh.«
Draco steckte den Säbel in seinen Gürtel. Den leuchtenden Zauberstab hielt er in der linken Hand, die rechte legte er um Hermines Taille und zog sie an sich. »Glaubst du, du schaffst es, wenn ich dich so stütze?«
Sie biss die Zähne zusammen und nickte. »Ich habe nicht wirklich eine Alternative. Hier bleiben will ich auf keinen Fall, nicht, solange ich noch irgendwie kriechen kann.« Sie sah hinüber zu dem Kadaver der Schlange und Draco spürte, wie sie erschauderte.
Er guckte nach links, wo sich gerade das dritte Junge aus dem Ei befreite. Hermine war seinem Blick gefolgt. »Glaubst du, sie kommen ohne ihre Mutter klar?«
»Sag mal Granger, hast du noch alle Tassen im Schrank? Ich habe schon mit dem Gedanken gespielt, die Kleinen zu ihrer Mama zu schicken.«
»Sie sind doch noch so winzig.«
»Eben.«
Hermine sah ihn an und schwieg.
»Na schön, Granger. Hierher komme ich ohnehin nie wieder.«
»Weshalb müssen Menschen immer alles töten, was anders ist und Furcht einflößend?«, fragte sie und es klang, als würde sie zu sich selbst sprechen.
Draco verstärkte den Druck um ihre Taille. »Jetzt lass uns endlich hier verschwinden, ehe möglicherweise auch noch der Vater auftaucht.«
Er schleppte sie zurück auf den Weg. Hermine zog das rechte Bein etwas nach. Ihren linken Arm hatte sie um seine Hüfte gelegt.
Nachdem sie den See halb umrundet hatten, führte der Weg stetig bergan. Von Zeit zu Zeit verweilten sie einen Augenblick und Hermine lehnte sich an Draco, um ihr Bein zu entlasten.
Bei einer dieser Verschnaufpausen fragte sie ihn, weshalb er so gut mit einem Säbel umgehen konnte.
Draco sah über ihren Kopf hinweg. Es dauerte etwas, ehe er antwortete. »Leuten wie mir wird so etwas beigebracht. Fechten gehört zu unserer Grundausbildung. Während ihr immer die Ferien genießen konntet, stand ich Tag für Tag im Fechtsaal oder verbrachte ihn auf dem Pferderücken.«
»Menschen wie dir? Du meinst Reinblütern. Aber Ron kann das nicht.« Hermines Stimme klang plötzlich dünn.
Jetzt schaute Draco ihr in die Augen. »Das hat nichts mit dem Blut zu tun, jedenfalls nicht direkt. Nur wirklich alte Familien legen heute noch auf diese Tradition Wert. Es wird von den Nachkommen einfach erwartet und niemand kommt es in den Sinn, sich dagegen aufzulehnen.«
»Hast du es versucht?«, fragte Hermine leise.
Draco blickte erneut in die Finsternis. »Bist du wahnsinnig, Granger? Mein Vater hätte mich gevierteilt.« Doch er gestand sich gleichzeitig ein, dass sich heute der jahrelange Drill für sie beide ausgezahlt hatte.

Brennendes EisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt