Freitag, 27. Oktober 1944

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Freitag, 27. Oktober 1944

Die Luftangriffe auf Leipzig nehmen zu. Die Tage werden immer kürzer, weil der November naht, und sobald es dunkel wird, müssen wir uns in unsere Häuser verziehen. Fast jede Nacht schreckt uns ein Alarm aus dem Schlaf und treibt uns in den ungemütlichen Keller, wo wir bis zur Entwarnung verharren müssen, zitternd vor Kälte und Angst. Meist ziehe ich mich nicht einmal mehr um, bevor ich zu Bett gehe.

Zu den nächtlichen Wachen kommen noch die vielen Pflichten beim BDM. Beinahe jeden Abend nach der Schule gibt es jetzt kriegswichtige Arbeiten zu verrichten, zum Beispiel Sandsäcke zum Brandlöschen befüllen, oder Sammelaktionen für Ausgebombte. Oft herrscht bei uns gedrückte Stimmung, weil wir alle müde sind ... und auch, weil der Völkische Beobachter und der Volksempfänger in letzter Zeit alles andere als freudige Nachrichten verbreiten.

Hanne Baumann fehlte heute in der Schule. Regina berichtete, dass ihre Familie bei einem der letzten Angriffe ihr Haus verloren hat und jetzt in einer Notunterkunft am anderen Ende der Stadt untergekommen ist. Jede Woche scheint sich das Klassenzimmer mehr und mehr zu leeren. Die Jungs aus der Oberstufe sind schon längst zum Einsatz als Luftwaffenhelfer abkommandiert worden.

Mein einziger Lichtblick ist es zur Zeit, Ilse jeden Tag in der Schule zu sehen. Wir stecken fast nur noch zusammen, egal was Erika und die anderen denken. Ich kann einfach so gut mit ihr reden. Sie versteht mich. Ich kann ihr meine Sorgen über Vati anvertrauen, ohne dass sie versucht, mich durch leere Worte aufzumuntern. Dabei redet sie selbst nicht viel über sich selbst oder ihre Familie.

Ich habe ihr sogar Im Westen nichts Neues ausgeliehen. Natürlich haben wir es heimlich ausgetauscht, als gerade niemand hinschaute. Es war aufregend und ein bisschen beängstigend, aber jetzt haben wir ein gemeinsames Geheimnis.

Luises Tagebuch - Meine Welt in TrümmernWo Geschichten leben. Entdecke jetzt