Samstag, 17. Februar 1945

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Samstag, 17. Februar 1945

Ilses Vater geht es besser. Gestern Abend hat sie mir die gute Neuigkeit mitgeteilt. Dann war es also nicht umsonst, mein Diebstahl!

Heute war Oskars Geburtstag und der sollte gefeiert werden, soweit es uns unter diesen Umständen möglich war. Schließlich ist der vierzehnte Geburtstag etwas ganz Besonderes. Oskar hat ihn schon lange herbeigesehnt, weil man mit vierzehn endlich vom Pimpf zum echten Hitlerjungen wird. Allerdings findet die Zeremonie erst im April statt, zu Führers Geburtstag. Da muss er sich noch etwas gedulden.

Ich war schon seit dem frühen Morgen ganz hibbelig und wusste nicht, warum. Es war doch Oskars Geburtstag, nicht meiner. Er hatte all seine Freunde eingeladen, darunter auch Tante Marthas Söhne und Anton und Gerhard. An Anton hat er einen Narren gefressen. Er war er immer der Ältere, zu dem er aufschaute.

Ich konnte mich nicht entscheiden, wie ich meine Haare tragen sollte. Sollte ich mir Zöpfe flechten? Oder lieber einen Pferdeschwanz oder eine Hochsteckfrisur? Mit hochgesteckten Haaren wirkte ich viel erwachsener. Doch ich entschied mich schließlich für meine üblichen Zöpfe. So kannte Anton mich.

Ich half Mutti beim Kuchenbacken. Onkel Philip hatte mir eine Extraportion Mehl und Zucker mitgegeben. Als ich den Tisch für die Gäste deckte, klingelte es das erste Mal an der Tür. Oskar in seinem Sonntagsanzug (den er sich nur mit Widerwillen hat aufdrängen lassen und mit dem Versprechen, dafür zwei Stück Kuchen zu bekommen), sprang die Stufen von oben herunter und öffnete die Tür.

Mein Bauch kribbelte, während ich die letzten Löffel neben den Tassen ablegte. Ich blickte mich in der geputzten Stube um und war sehr dankbar, dass unser Heim noch unversehrt geblieben ist. Auch mein geliebter Flügel stand noch immer an seinem Platz. Vom Flur aus hörte ich Antons ruhige Stimme und Gerhards fröhliches Lachen. Wieder überschwappte mich eine Welle der Aufregung.

Ich setzte mich an den Flügel und starrte auf die vertrauten Tasten, die von meinen und Vatis Fingern schon ein wenig abgenutzt waren. Auf dem hohen C befand sich eine kleine Einkerbung und das schwarze Dis war auch schon ein wenig ausgeleiert. Aber in meinen Augen war das ein gutes Zeichen – denn ein Klavier, das nur in der Ecke steht und schön aussieht, ist doch nichts wert. Und ich liebe unseren Flügel mit all seinen Makeln. Ich legte die Finger auf die Tasten. Doch als sich die Tür öffnete und die Jungs hereinkamen, fiel mir auf einmal nicht mehr ein, was ich spielen wollte.

Gerhard tippte sich zur Begrüßung kurz an die Schläfe, die andere Hand steckte gewohnt lässig in seiner Hosentasche. Danach kam Anton herein. Ich lächelte ihn an und wie immer bemerkte ich, dass seine Ohren ein wenig rot wurden. Das fand ich irgendwie süß.

Oskar winkte seine Gäste sofort zu der Truhe in der Ecke des Wohnzimmers, um ihnen seine Granatsplittersammlung zu präsentieren, auf die er sehr stolz ist. Anton schien nicht sonderlich beeindruckt und warf einen sehnsüchtigen Blick auf meinen Flügel. Als er bemerkte, dass ich ihn beobachtete, lächelte er verlegen.

Nach und nach trudelten auch die anderen Freunde von Oskar ein und quetschten sich um den Stubentisch. Ich wartete, bis alle sich gesetzt hatten. Anton stand ebenfalls noch daneben, bis es nur noch zwei freie Stühle gab – nebeneinander. Er zog einen der Stühle heraus, um mir Platz zu machen, damit ich an den Tisch rücken konnte. Ich nickte dankbar und schlüpfte auf meinen Platz.


Mutti zündete die einzelne Kerze auf dem runden Marmorkuchen an. Wir sangen „Weil heute dein Geburtstag ist" und dann pustete Oskar sie sofort aus, damit sie nicht zu lange brannte. Kerzen sind ja im Moment wie alles andere kostbar.

Während sich alle ein Stück Kuchen schnappten, sagte ich entschuldigend: „Nur ein einfacher Rührkuchen. Für die Sahnetorte reichte die Sahne nicht ... und die Eier ... und der Zucker ... na ja, eben alles."

Das löste Gelächter am Tisch aus, obwohl die Nahrungsmittelknappheit alles andere als lustig ist.

„Ist doch dufte geworden", meinte Gerhard mit vollen Backen.

Anton nickte bestätigend.

„Anton und Gerhard sind aus Breslau und haben sich bis hierher durchgeschlagen", verkündete Oskar stolz seinen Freunden, während wir aßen. Für ihn war das wohl eine riesengroße Abenteuer.

„Wie war das so, als Wehrmachtshelfer?", fragte Oskar die beiden älteren Jungen.

Ich sah, wie Antons Miene sich verschloss. Gerhard zuckte die Schultern. „Ziemlich ereignislos und jeden Tag die gleiche Schufterei", wiegelte er ab.

„Musstet ihr nicht kämpfen?", fragte einer der anderen Jungs.

„Nein", kam es einsilbig zurück.

„Ich hab gehört, dass sie auch Jungen ab vierzehn beim Volkssturm zulassen", sagte Oskar hoffnungsvoll. „Vielleicht müssen wir hier in Leipzig bald kämpfen. Wenn das passiert, stehe ich bereit." Er streckte seine Schultern nach hinten.

„Oskar, red nicht so ein dummes Zeug", schimpfte Mutti.

Ich wechselte einen Blick mit Anton und sah ihn entschuldigend an.

„Wie wäre es mit einem Geburtstagsständchen, Luise?", fragte Mutti, ganz offensichtlich, um das Thema zu wechseln.

Ich schluckte den Bissen herunter, den ich gekaut hatte, und nickte eilig. Doch bevor ich aufstehen und zum Flügel gehen konnte, hörte ich ein tosendes Geräusch von draußen, das wie Motorengebrumm klang. Ich dachte mir nichts weiter dabei, da die Sirenen ja nicht geheult hatten. Wahrscheinlich war es nur ein Auto, das vorbeifuhr.

Das Brummen schwoll an. Auch Anton und Gerhard hatten auch die Köpfe gehoben. Sie blickten sich an und ich sah, wie sich ihre Augen weiteten.

„Alle auf den Boden", brüllte Anton

Wir waren einen Augenblick lang wie gelähmt. Da ergriff Anton meinen Arm und - ich wusste kaum, wie mir geschah - zog mich vom Stuhl und unter den Tisch, wo Gerhard bereits hockte.

Ich kauerte neben Anton auf dem Boden und schaute ihn fragend an. Wir saßen wie in einer kleinen Höhle, halb von der Tischdecke verborgen. Mein Herz klopfte, vermutlich von dem Schreck, den er mir eingejagt hatte. In diesem Moment wünschte ich, wir wären allein.

Aber dann steckte Oskar seinen Kopf unter den Tisch und wollte wissen, was los war. Das Motorengeräusch war inzwischen verklungen.

Gerhard rappelte sich als Erster wieder auf. Er sah ein wenig blasser aus als noch vor einigen Minuten.

„Ich dachte, das wäre ... hat sich so angehört wie ...", stammelte er verlegen.

„Wie Tiefflieger", ergänzte Anton. Er schaute mir nicht in die Augen, als er sich unter dem Tisch hervorzwängte und mir die Hand reichte. Ich ergriff seine eiskalte Hand und sagte nichts. Auch die Jungs waren still. Mutti trocknete sich ihre Hände an der Schürze ab, obwohl sie gar nicht nass waren.

Ich suchte Antons Blick, um ihm zu zeigen, dass ich ihm das nicht übelnahm oder mich gar über ihn lustig machte. Aber er wich mir immer noch aus.

Was müssen die beiden erlebt haben, dass sie so ein Geräusch direkt in Panik versetzt? Vielleicht will ich es gar nicht wissen.

Luises Tagebuch - Meine Welt in TrümmernWo Geschichten leben. Entdecke jetzt