Szene 6

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In Momenten, wie diesen, weiß ich genau wohin ich gehe.

Zu einer Bank, außerhalb der Stadt, wo es ruhig ist und wo keine Menschenseele vorbei kommt.

Ich gehe dort immer hin, wenn ich nachdenken muss, und das ist sehr oft der Fall.

Nach etwa 20 Minuten Laufzeit komme ich außer Puste an. Ich lasse mich auf der Bank nieder, bekomme wenig Luft. Asthma. Das habe ich schon seit ich denken kann, doch ernst nehme ich das nicht. Bisher habe ich nur wenige Anfälle gehabt, der letzte ist schon länger her. Deswegen habe ich auch nie mein Asthmaspray oder sowas dabei.
Kurz versuche ich meinen Atem wieder ruhig unter Kontrolle zu bekommen und atme tief ein und aus. Ich öffne meine Augen wieder.

Der Ausblick ist wie immer wunderschön.

Man blickt auf einen kleinen Teil Hamburgs, vor allem nachts, wenn die Stadt in tausend Lichtern leuchtet, ist die Sicht unbezahlbar.

Hinter mir Wald, vor mir eine Wiese und die Stadt. Einfach perfekt zum allein sein.
Man sagt, das hier früher alles flacher war und es wenig Natur gab. Aber nach diesem Projekt, die sie für eine bessere Umwelt geplant haben, entstand hier ein ganzer Wald. Und ich bin anscheinend die einzige Person, die das ausnutzt.

Ich hatte diesen Ort rein zufällig vor etwa 8 Jahren entdeckt, als ich mich mit meinem Fahrrad verfahren hatte. Seitedem verbringe ich eine Menge Zeit hier.

An diesem Ort kann ich einfach nur für mich sein.
Ich stecke die Kopfhörer in meine Ohren und mache die Musik an.
Herrlich, 1000 mal besser als mir diesen dummen Streit anzuhören.

Ich weiß andere feiern ihren 16. Geburtstag mit ihren Freunden, Familien und Alkohol...ich brauch das alles nicht.

Was ist schon so toll an diesem Tag?

Besonders wenn man nicht mal weiß wo man her kommt... oder wer man ist...

Ich weiß noch nicht mal mit wem ich, außer meinen Eltern, feiern könnte.

Freunde, die habe ich nicht. Ich komme zwar mit allen in der Schule gut klar, aber Freunde sind das nun wirklich nicht.Ich bin was das Thema Freundschaft angeht eher schüchtern und verschlossen, Julia nennt mich immer eine Einzelkämpferin, weil ich lieber für mich selbst bin.

Oh mann, wenn ich so genau nachdenke fühle ich mich echt alleine auf dieser Welt.

Wen hab ich schon, außer meinen Eltern und Julia? - keinen.

Und selbst diese Personen benehmen sich in letzter Zeit echt anders.

Manchmal würde ich gerne meine leiblichen Eltern kennenlernen, was nicht heißen soll, dass mir  meine Pflegeeltern egal sind. Im Gegenteil, ich liebe sie und sie lieben mich.

Ich schaue auf das Bild im Amulett und denke an meine verheulte, aufgelöste Mutter. Sie musste einen schlimmen Grund haben, dass sie sich vor mir so schwach zeigte.

Was habe ich nur getan?

In den letzten 13 Jahren sind sie immer für mich da gewesen...immer.

Und ich? Ich habe einen Streit angefangen über etwas, worüber ich nicht mal etwas weiß.

Ich hasse meine Sturrheit!

Noch nie habe ich meinen Eltern so aufgelöst gesehen, wie heute.Und das nur wegen mir.

Ich sitze noch ein paar Stunden auf der Bank und vergesse ganz die Zeit, es müsste schon Nachmittag sein.

Doch dann fängt es plötzlich an zu regnen. Und durch die grauen Wolken am Himmel, die ich erst jetzt bemerke, wird es dunkler.

Na super, jetzt fängt auch noch mein Handyakku an zu streiken.

Ich nehme die Kopfhörer aus den Ohren und knuddel sie in meine Jackentasche.

Anscheind ist das ein Zeichen nach Hause zu gehen. Mit meinen Eltern zu reden und mich zu entschuldigen...das ist das Mindeste.Ich stehe auf ziehe meine Jackenkaputze hoch und will losgehen...

doch irgendwie fühle ich mich beobachtet. Nichts Neues...ich habe oft Verfolgungswarn. Ich gucke um mich herum...nix.Hier kann niemand sein, hier kommt höchstens mal ein Traktor vorbei.

Doch ich bin nicht alleine, soviel ist klar.

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