„Wer ist das?", fragte Salka ihren Bruder und deutete auf die vor Nässe triefende Frau.
„Das, liebe Schwester", antwortete Rurik mit diesem stolzen Schmunzeln auf den Lippen, „ist ab heute deine neue Hilfskraft."
Er umkreiste die Sklavin und nahm ihr den schwarzen Umhang mit seiner Brosche von den Schultern. Augenblicklich verschränkte die junge Frau die Arme vor der Brust. Sie schlotterte vor Kälte.
„Meine neue Hilfskraft, sagst du?", hakte Salka nach. Sie legte den Kopf schief und musterte den zierlichen Körper der Fremden. Sie war klein und fein, wirkte gar etwas zerbrechlich.
Rurik schob die Sklavin näher zu seiner Schwester. „Ja, genau. Habe sie für dich mitgebracht."
„Sie ist sehr jung", stellte Salka fest, während sie das Gesicht der Frau betrachtete.
Rurik nickte. „Sie wird dir lange erhalten bleiben, Salka. Sie ist von der Reise auf dem Schiff zwar etwas geschwächt, aber sie wird schnell zu Kräften kommen, wenn du sie mit deinen Suppen verpflegst. Dann kannst du dich entspannen, bis das Kind kommt." Er stützte die Hände in die Hüfte und blickte seiner Schwester in die Augen. „Was meinst du?", bohrte er nach.
Neugierig umrundete Salka die Sklavin, welche totenstill und so starr wie ein Eisklotz im Raum stand. „Hm, ja", dachte Salka laut, „ich werde sicher von ihr Gebrauch machen können." Sie blieb direkt vor der jungen Frau stehen und lächelte sie an. „Bis zur Geburt kann sie mir beim Kochen helfen und danach mich mit dem Kind unterstützen." Sie drehte sich zu Rurik um. „Danke, mein Bruder, das ist wirklich lieb von dir!", sagte sie und schenkte ihm eine Umarmung. „Wo hast du sie aufgelesen?"
Rurik löste sich von ihr und zog die Sklavin etwas näher zum Feuer. Sie schlotterte noch immer fürchterlich. Salka gab ihr zu verstehen, dass sie sich auf den Hocker neben dem Feuer setzen solle. Die Frau gehorchte wortlos.
„Am Strand, als wir im Frankenreich gelandet waren, habe ich sie gesehen", erwiderte Rurik. „Sie wollte von mir wegrennen und war wirklich schnell für ein Mädchen, aber ich habe sie eingeholt. Dann, als ich sie gefangen hatte, dachte ich, dass ich sie für dich mitbringen könnte."
Er zuckte mit den Schultern und rieb sich dabei am Kinn. Das tat ihr Bruder immer dann, wenn er verlegen war. Salka schmunzelte. Ihr Bruder hatte ein grosses Herz und es war seine Art, ihr dafür zu danken, dass Hjalmar und sie ihn bei sich wohnen liessen.
Da kam Hjalmar durch die Tür, ein Stapel Holzscheite in der Hand. Sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich augenblicklich, als er das Mädchen erblickte. Er warf Rurik einen wütenden Blick zu.
„Hjalmar ...", versuchte Salka ihren Mann gleich zu besänftigen.
„Was soll das?", wollte dieser wissen. Er stampfte zum Feuer und beförderte die Holzscheite auf den Boden.
„Ich habe Salka eine Sklavin mitgebracht. Aus dem Frankenreich", erklärte Rurik.
Hjalmar prustete laut auf und deutete mit dem Finger auf die Fränkin. „Für Salka", fauchte er. „Dass ich nicht lache! Schau dir doch dieses junge Ding an! Ein wunderschönes Mädchen." Er wurde lauter. „Wahrscheinlich sind die Götter sogar neidisch. Ich glaube kaum, dass du sie bloss für Salka hierher gebracht hat. Du hast sie für dich geholt, damit du was Schönes zum Spielen hast."
Die Sklavin machte sich kleiner, das konnte Salka aus den Augenwinkeln sehen. Für sie musste Hjalmars beherrschende Stimme sehr angsteinflössend sein. Salka wollte aber nicht, dass sie sich fürchtete. Sie sollte sich hier schliesslich wie zuhause fühlen.
„Nein, Hjalmar", wandte Rurik ein. „Das war nicht mein erster Gedanke. Seit letztem Winter fehlt es uns dringend an einer zweiten Hilfskraft. Richard schafft nicht die ganze Arbeit alleine und du und Salka werdet bald mit ganz anderen Sachen beschäftigt sein, als Haus- und Feldarbeit." Er fuchtelte mit den Armen vor seinem Körper herum. „Ausserdem können wir es uns nicht leisten, einen Sklaven hier beim Händler zu kaufen. Darum habe ich mir eine Sklavin genommen und auf dem Schiff Anspruch auf sie erhoben. Das war die beste Lösung für uns alle." Er wirkte gereizt.
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Plünderung
Ficción históricaBand I Die junge Fränkin Aveline verliert an einem Tag alles: Ihr Zuhause und ihre Familie. Wikinger fallen über ihre Stadt her. Sie wird vom flinken Krieger Rurik entführt und ihrer Heimat entrissen. In einer fremden Welt kämpft sie um ihr Überlebe...