21 - Herbst

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Der Aquavit zeigte volle Wirkung und liess Aveline in einen traumlosen Schlaf abdriften. Rurik hatte nicht zu wenig versprochen. Sie schlief tief und fest. So fest, dass Salka im Zimmer bleiben wollte, um ihre Atmung zu prüfen. Währenddessen löschte Hjalmar mit der Hilfe von anderen Dorfbewohnern das Feuer am Arbeiterhaus.

Rurik bot seiner erschöpften Schwester an, die Nachtwache zu übernehmen, denn sie hatte dunkle Ringe unter den Augen und wirkte niedergeschlagen. Dieser schreckliche Tag hatte schon genug an ihren Kräften genagt und in ihrem Zustand sollte sie sich nicht verausgaben.

Rurik schob Salka aus dem Zimmer, legte sich ein Fell auf dem Boden seines Schlafzimmers zurecht und lehnte seinen Rücken an den Rahmen seines Bettes. Seufzend legte er den Kopf in den Nacken und starrte an die Decke, während er Avelines Atemzügen zuhörte. Seine Gedanken kreisten im Rhythmus ihrer Atmung.

Sein Kater und seine Kopfschmerzen waren durch die ganze Aufregung verflogen. Er war hellwach. Hellwach und immer noch so unglaublich wütend. Der Boden, auf dem er sass war hart und unbequem. Viel Schlaf würde er in dieser Nacht wohl nicht bekommen. Er warf einen Blick über die Schulter. Avelines vor Schmerz und Schock verzerrtes Gesicht wirkte beinahe friedlich, jetzt, wo sie endlich zur Ruhe gekommen war. Bei dem Anblick flaute die Wut in ihm allmählich ab.

Sie lebte und atmete. Wie Hjalmar gesagt hatte: Das war alles, was in dem Moment gerade zählte.

Rurik wandte sich von der Sklavin in seinem Bett ab und starrte auf seine Hände. Sie waren blutig und schmutzig. Selbst unter seinen Fingernägel klebte Dreck. Er würde ein langes Bad nehmen müssen, um den Rauch und die Überreste des Kampfes von seinem Körper zu waschen.

Ein leises Stöhnen liess ihn aufhorchen. Aveline bewegte sich auf der Liege. Den Kopf warf sie von einer Seite auf die andere. Ihr Stöhnen wurde lauter. Rurik richtete sich auf und setzte sich auf die Bettkante.

Sie schlief noch. Ein schlechter Traum musste sie plagen. Er griff ihr an den Oberarm und schüttelte sie wach.

Ihre Lider flatterten.

„Nimm noch einen Schluck", sagte er und hielt ihr den Beutel Aquavit an die Lippen.

Sie legte ihre Hand auf seine und trank drei grosszügige Schlucke. Immerhin war ihr Leib nicht mehr so kalt, wie davor, bemerkte Rurik. Wimmernd liess sie sich wieder in die Kissen fallen.

Salka hatte ihm von den schlimmen Brandwunden an ihren Fusssohlen erzählt. Diese schwedischen Hunde mussten ihr die Füsse verglüht haben. Vorsichtig schob er die Decke über ihre Beine, nur bis zu den Knien, sodass der Rest ihres Körpers in der Wärme blieb. Ihre Füsse waren in dicke Verbände gewickelt worden. Salka hatte ganze Arbeit geleistet.

An den Flecken auf dem Leinen sah er jedoch, dass ihre Wunden durch den Stoff nässten. Er musste den Verband wechseln, sonst riskierte sie an einer Entzündung zu sterben.

Er legte seine Hand an ihr rechtes Schienbein. Sie zuckte leicht zusammen, ihre Augen richteten sich sofort auf ihn.

„Keine Angst", flüsterte er. „Ich will dir nicht wehtun." Ihre Augen lagen noch immer auf ihm, als wiege sie seine Worte ab. Die Angst glänzte darin. „Ich will nur deine Wunden abtupfen", fügte er hinzu.

Rurik gab ihr Zeit, sich an seine Berührung zu gewöhnen. Als sie keine Anstalten machte, ihn davon abzuhalten, führte er seine Hand zu ihrem Fuss und wickelte seine Finger um ihren Knöchel. Sie liess ihn gewähren.

Den Fuss hob er etwas hoch, während er mit konzentrierten Bewegungen den Verband aufwickelte. Das Wundwasser hatte sich fest in den Stoff eingesogen. Avelines Fuss zitterte, als sich der Verband von ihrem verbrannten Fleisch löste.

PlünderungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt