28 - Winter

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Wochen vergingen und es fiel von Tag zu Tag mehr Schnee. Die Nächte waren bitterkalt und die eisige Brise liess die Welt erstarren. Es schien, als hätte der Winter die Zeit eingefroren. Die Tage waren kürzer, da sich die Sonne nicht lange am Horizont blicken liess, aber die Zeit schien nicht vergehen zu wollen. Es gab viel zu wenig zu tun und gleichzeitig war es zu kalt, um irgendwas draussen zu unternehmen. 

Man verbrachte die Tage damit, Essen zuzubereiten, die Wohnstube zu entstauben, Brettspiele zu spielen und Holz zu hacken. Da das Feuer so oft und lange brannte, konnte der Rauch nur noch schlecht aus dem Dach entweichen und so biss er den Menschen in den Augen. Es war die Jahreszeit, in welcher die Kleidung und die Haare immer nach Rauch stanken.

Hjalmar blieb in der Nacht wach, um regelmässig Holzscheite in die Flammen zu legen. Salka half ihm dabei, wenn der kleine Sveín sie einmal mehr aus dem Schlaf gerissen hatte. Auf Dauer war das lange Aufbleiben über Nacht nicht auszuhalten, so entschloss Hjalmar an einer Vorrichtung zu tüfteln, die dafür sorgen würde, dass die Holzscheite selbst ins Feuer fielen, ohne dass er dabei wach bleiben müsse. Er fällte eine kleine Birke und zimmerte zwei schienenförmige Balken, die er schräg vor dem Feuer montierte. Auf die Schienen legte er Holzscheite, die langsam ins Feuer rutschten, jedes Mal wenn das unterste Stück abgebrannt war. Das Problem war jedoch, dass nach ein paar Versuchen auch die Holzschienen Feuer fingen und er weiter tüfteln musste. Am Ende entschied er sich, mit seiner Idee zum Schmied zu gehen und von ihm zwei dünne Eisenschienen machen zu lassen. Dies funktionierte viel besser und so froren sie in der Nacht nicht mehr und keiner musste aufbleiben, damit das Feuer warm blieb.

Aveline nächtigte in ihrem eigenen, bescheidenen Zimmer hinter der Küchenecke und ignorierte Ruriks Existenz die meisten Tage. Seit der kleinen Rauferei draussen im Schnee, schaffte sie es nicht mehr, seinem Blick standzuhalten. Das war ihm sofort aufgefallen.

Hjalmar hatte recht gehabt. Rurik war an dem Tag tatsächlich schwach geworden und es wurmte ihn unglaublich. Für nur einen Herzschlag war seine Fleischeslust stärker als seine sonst so scharfen Sinne gewesen. Avelines kleiner Körper hatte sich unter ihm richtig gut angefühlt. Die Wärme zwischen ihren Beinen, ihr voller Busen, den er an seiner Brust gespürt hatte. Es hatte ihn fast wahnsinnig gemacht. Diese zarte Haut, die honigbraunen Augen, ihr Geruch und ihre verspielten Locken hatten ihm einen Streich gespielt.

Es war nicht seine Anziehung zu Avelines schönem Körper, die ihn störte, sondern vielmehr die Tatsache, dass sie seine Schwäche in seinen Augen erkannt hatte. Und sie hatte das gnadenlos ausgenutzt. Er war in ihre Falle getappt.

Es fiel ihm schwer, sich gegen diese Instinkte zu wehren. Doch sein Verstand zwang ihn zur Gehorsam. Er misstraute der Fränkin noch immer und hatte an dem Tag beschlossen, sie bei Gelegenheit zur Rede zu stellen. 

Allerdings fehlte ihm im Moment die Zeit dafür, denn Rurik war auf Befehl von Ragnar täglich auf der Jagd. Die halbe Stadt musste mit zusätzlichen Fleischrationen versorgt werden und so war er gezwungen, im Akkord Rehe, Hasen und Wildschweine zu erlegen. Er war von den langen Tagen immer müde, sodass er am Abend erschöpft in seine Felle fiel. Da er so oft unterwegs war, blieb ihm kaum Zeit, ein Auge auf Avelines Machenschaften zu werfen. Bei dem Schnee konnte sie sowieso nicht fliehen und Salka liess selten jemand anderes an die Kochecke. Essen zubereiten war ihre Leidenschaft, insbesondere jetzt, wo es sonst nichts anderes zu tun gab. Es war demnach sehr unwahrscheinlich, dass Aveline sie alle irgendwie vergiften konnte. Kein tödliches Kraut war in dem Schnee noch zu finden.

An einem sonnigen Tag machte sich Rurik auf, um hinter dem Ørumsee auf den weiten Feldern auf Jagd zu gehen. In letzter Zeit war er im Wald kaum einem Reh begegnet und so wollte er sein Jagdrevier erweitern, um auf den weitsichtigen Feldern Fallen für die Feldhasen aufzustellen. Das Problem mit dem Fallenstellen zu der Jahreszeit war allerdings, dass ihm Wölfe oder Füchse zuvorkommen und die Beute aus der Falle fressen könnten. Sie waren hungrig, man hörte sie in den Nächten heulen. Wenn er eine Falle aufstellte, musste er spätestens am nächsten Tag vorbeikommen, um zu kontrollieren, ob ein Tier reingetreten war.

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