25 - Winter

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„Kommt schon!", rief Hjalmar angetrunken. „Erzählt uns jetzt endlich, wie in Odins Namen ihr auf der Suche nach den Schweden dem mächtigen Fenriswolf begegnet seid!"

Sie hatten Besuch. Audgisils Familie, der Fischer Hakon und seine Gattin, der verwitwete Bauer Eivar mit seinen zwei Söhnen und Loki erbrachten dem kleinen Sveín die Ehre für seine Geburtsfeier. Es war eng, heiss und laut in der Wohnstube.

Rurik schenkte den Gästen Bier nach, sein Gesicht glühte vor Wärme. Hjalmar plauderte mit den Besuchern, während Salka fleissig die Speisen zubereitete. Aveline hatte sich in ihr eigenes Schlafgemach verkrochen, das ihr Hjalmar hinter der Kochnische zusammengezimmert hatte und kümmerte sich um den Säugling. Rurik wusste, dass sie so viel Gesellschaft nicht ertrug und jede Gelegenheit nutzte, um für sich zu sein. Seit dem Überfall der Schweden war sie sehr schweigsam geworden und zog sich ständig zurück.

Der Winter war wenige Wochen nach Sveíns Geburt über Vestervig hereingebrochen und hatte die ganze Familie in die warme Stube gezwungen. Man konnte das Haus kaum verlassen, denn der Kälteeinbruch war überwältigend gewesen. Obwohl das Wohnhaus eine beträchtliche Grösse hatte, fühlte sich die Wohnstube in den Wintertagen enger an als gewöhnlich. Mit all den Gästen platzte sie an diesem Abend förmlich aus allen Balken.

Der Raum war von Salka und Aveline für die Feier mit Tiergeweihen und Tannenästen geschmückt worden. Es roch nach Harz und Tannennadeln. Nebst dem Feuer in der Mitte hatte Salka Kerzen in der ganzen Wohnstube angezündet. Jede Wärmequelle war in dieser kalten Jahreszeit willkommen.

„Was gibt es da schon gross zu erzählen?", sagte Audgisil und zeigte sein grosses, freundliches Lächeln.

„Ihr habt nie darüber gesprochen, wie ihr die Schweden ausfindig gemacht habt", erwiderte Hjalmar und schob die Unterlippe vor, als wäre er beleidigt. „Ich möchte wissen, warum ihr blutend bei uns in der Stube standet."

Die anderen Gäste nickten zustimmend. Man hatte von dem Vorfall gehört, aber das war alles nur Klatsch und Tratsch, der sich in den Strassen rumgesprochen hatte.

„Na gut, na gut", gab Audgisil nach und setzte eines seiner Kinder auf den Schoss.

Er trug eine blaue Tunika, die hervorragend zu seinen dunkelbraunen Haaren und seinem Bart passten. Sein linker Arm war seit seiner Verletzung lahm. Man vermutete, dass ihm die Sehnen an den Schultern durchtrennt worden waren. Der Arm lag in einer Binde.

Für einen Krieger war eine solche Verletzung tragisch, denn es machte es unmöglich, in einer Schlacht ehrenhaft zu sterben, um nach Walhalla zu kommen. Aber Audgisil nahm es locker. Er meinte, er würde sich auch in Helheim wohlfühlen, wohin jene geschickt wurden, die in ihren Strohbetten starben. Dort würde er mit seiner Familie wiedervereint werden. Das war für ihn genauso gut wie die goldenen Hallen Odins. 

„Die Legende beginnt damit, dass Rurik eine schöne Jungfrau verführte. Diese wollte ihm so gefallen, dass sie für ihn die Schweden im Wald ausfindig gemacht hat", begann Audgisil.

Die Zuhörer lachten. Rurik schüttelte grinsend den Kopf. Sein Freund musste auch immer übertreiben. 

„So kam es nun denn, dass der tapfere Rurik seine Männer zusammentrommelte und in den Wald beorderte. Zwei Gruppen sollten sie bilden. Die eine schlich sich von Norden heran, die andere Gruppe von Süden. Dichter Nebel plagte die Krieger. Sie konnten nicht mal ihre eigene Hand vor dem Gesicht mehr sehen." Audgisil fuchtelte dramatisch mit seinem gesunden Arm vor seinem Gesicht. „Unser Held Rurik wusste, dass er sich nicht auf sein Augenlicht verlassen konnte. So horchte er in den Wald hinein, wie er es schon immer auf der Jagd getan hatte. Er hörte alles. Wie der Wind die Bäume streichelte, wie die Vögel ihre Nester machten und wie die Pflanzen aus der Erde wuchsen. Kein Geräusch entging dem guten Gehör dieses prachtvollen Jägers."

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