Salka kniete am Fluss und schrubbte ihre Kleider, welche sie für den Waschtag mitgebracht hatte, im klaren Wasser. Sveín hatte sie sich mit einem Tuch an den Rücken gebunden, sodass ihre Hände frei waren und sie die Gewänder auswringen konnte. Ihre langen Haare wurden durch einen Dutt im Nacken in Schach gehalten.
Es war ein milder Frühlingstag und die Vögel zwitscherten in den Büschen. Knospen sprossen an ihren Ästen. Die Sonne strahlte am wolkenbehangenen Himmel und eine sanfte Brise strich über die Landschaft.
„Mit ihren baren Händen hat sie Sveín in meinem Bauch gedreht!", fuhr Salka fort.
Sie sass mit den Waschweibern am Fluss und erzählte von ihrer unglaublichen Geburt. Die Frauen staunten über ihre detaillierten Schilderungen, wie Aveline ihr bei der Niederkunft beigestanden hatte, gleichzeitig die Fleischwunde Audgisils mit einem glühenden Schwert verarztet und den in Ohnmacht gefallenen Hjalmar aufgepäppelt hatte — und das alles, während ihre eigenen Wunden kaum verheilt gewesen waren.
„Am Schluss hat sie uns allen eine Hühnersuppe gekocht! Das Huhn hat sie auch noch selber geschlachtet und gerupft, als hätte sie an dem Tag nicht schon genug Blut gesehen!"
Die Zuhörerinnen machten grosse Augen.
„Warum verfügt sie über solche Heilkräfte?", wollte die dicke Gudrun wissen. „Haben unsere Götter ihr diese Gabe geschenkt, obwohl sie eine Ungläubige ist?"
„Hat sie Zaubersprüche gesprochen?", fragte die alte Valdis.
Salka schüttelte den Kopf. „Genau das ist ja das Verwunderliche an der ganzen Sache!", murmelte sie und blickte jedem Waschweib in die Augen. „Sie benutzt keine Zaubersprüche. Sie sagt, in der Natur liege die Heilkraft. Ihre Mutter habe ihr das beigebracht. Sie verwendet Kräuter und Wurzeln um allerlei Pasten, Salben und Trunke zuzubereiten. Mir hat sie schon mit so vielen Sachen geholfen. Es nützt wirklich!"
Ein Murmeln und Tuscheln ging durch die Frauen.
„Meinem Gatten hat sie auch schon mal etwas gegeben, damit er im Ehebett seine Manneskraft wieder unter Beweis stellen konnte", gluckste Drifa — die Ehefrau des Schmiedes. „Ich schwöre euch, es war, als hätte ich einen neuen Liebhaber in meinem Bett! Er war wie neugeboren."
Die Frauen kicherten aufgeregt. Das hatte die Waschweiber nun endgültig überzeugt. Sie fragten Salka, ob sie bei ihrer Gehilfin mal vorbeikommen könnten, um für ihre kleinen Wehwehchen eine dieser wunderwirkenden Salben oder kräftigenden Trunke zu ergattern.
Salka schmunzelte. Ihr Plan war aufgegangen. Die Waschweiber hatten ihre kleine Anekdote als Köder gefressen. Sie gab ihnen zu verstehen, dass sie doch in den nächsten Tagen bei ihnen Zuhause vorbeischauen sollten. Aveline würde sie in der Wohnstube empfangen und sich um ihre Bedürfnisse kümmern.
Mit einem zufriedenen Grinsen ging Salka den schmalen Weg entlang zurück zum Hof. Seit Beginn von Avelines neuem Leben als echte Normannin hatte sich Salka sehr dafür eingesetzt, den Ruf ihrer Gehilfin in der nordjütländischen Gemeinschaft zu etablieren. Die Leute sollten sehen, welchen Mehrwert die junge Fränkin für die Stadt erbringen konnte.
Das Gerücht würde sich wie ein Lauffeuer verbreiten, denn die Waschweiber waren der Knotenpunkt der sozialen Netze der Stadt. Innert kürzester Zeit würden die Bewohner vor ihrem Haus Schlange stehen, dessen war sich Salka sicher.
Sie selbst hatte zur Genüge die Fähigkeiten ihrer Gehilfin gesehen, um davon überzeugt zu sein. Es war wirklich faszinierend, Aveline bei der Arbeit zuzusehen, wie sie Kräuter verrieb, mit irgendwelchen Flüssigkeiten vermischte und daraus eine heilende Paste fabrizierte.
Seit Anbruch des Frühlings war Aveline auf Wanderschaft im tiefen Wald und in den umliegenden Feldern, immer den Stock in der Hand, den ihr Hjalmar als Gehhilfe geschnitzt hatte. Sie ging alleine auf den Markt und kaufte Lebensmittel, die sie für ihre Heilkunde brauchte. Es war, als hätte sie mit ihrer neuen Freiheit auch ihre Bestimmung gefunden. Sie ging in der Arbeit auf. Den ganzen Tag konnte Aveline vor dem grossen Kessel in der Wohnstube hocken und merkwürdig riechende Dinge zusammenbrauen.
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Plünderung
Ficción históricaBand I Die junge Fränkin Aveline verliert an einem Tag alles: Ihr Zuhause und ihre Familie. Wikinger fallen über ihre Stadt her. Sie wird vom flinken Krieger Rurik entführt und ihrer Heimat entrissen. In einer fremden Welt kämpft sie um ihr Überlebe...