17 - Herbst

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Nachdem die Reiter im Wald verschwunden waren, bat Richard Aveline, ihm auf dem Feld auszuhelfen. Hjalmar erwartete, dass bei seiner Rückkehr der Acker gepflügt war, damit sie Karotten für den Winter anbauen konnten.

Aveline versuchte, Richard weiszumachen, dass sie noch dringend in den Wald müsse, um für Salka ein paar Kräuter zu sammeln, aber er liess keine Ausrede gelten. Die Arbeit auf dem Feld konnte nicht warten.

Widerwillig half sie ihm beim Anschieben des Ochsen. Sie hielt das Biest mit einem Seil in Schach. Der Pflug, den Richard stiess, grub sich tief in die Erde. 

„Wann kehren sie zurück?", wollte sie wissen.

Sie war mit ihrem Kopf nicht bei der Arbeit. Schon zum zehnten Mal hob sie den Blick und starrte zum Waldrand. Sehnsuchtsvoll. Ungeduldig.

Ihre Freiheit wartete dort auf sie und es trieb sie schier in den Wahnsinn, dass sie nicht einfach losmarschieren konnte. Dass sie mit den Füssen tief im nassen Acker steckte und diese körperlich anstrengende Arbeit erbringen musste. Sie wünschte sich, dass sie Richard davon erzählen könnte. Dass er sie gehen lassen würde ...

„Morgen oder übermorgen sind sie zurück", erhielt sie die Antwort.

Aveline löste den Blick von ihrer Freiheit, die hinter den Baumkronen lauerte. „Was, schon?" Sie hatte damit gerechnet, dass die Wikinger mindestens zwei ganze Tage weg sein würden.

Richard keuchte, als er den Pflug anstiess, dieser sich aber nur mühsam durch die schwere Erde schieben liess. Er schien nichts von ihrer Erschütterung gemerkt zu haben.

„Bis nach Thisted ist es nur ein halber Tagesritt." Er presste die Zähne fest aufeinander, während er weiterhin versuchte, den Pflug aus der lehmigen Erde zu hieven. „Heute Nachmittag beginnt der erste Teil des Things. Morgen werden die Entscheide getroffen und beschlossen. Wenn es schnell geht, sind sie morgen Abend schon wieder zuhause. Oder dann spätestens übermorgen." Der Ochse setzte sich endlich in Bewegung, sodass sich der Pflug löste. Richard stöhnte erleichtert auf. „Warum?

Aveline führte den Ochsen am Seil durch den Acker. „Ach, nur so", versuchte sie möglichst beiläufig zu sagen.

Richard musterte sie von der Seite. Sie schwieg jedoch eisern, während in ihrem Kopf die Gedanken rasten. Wenn Rurik und Hjalmar am nächsten Tag bereits zurückkehren würden, dann bedeutete das für sie, dass sie heute oder spätestens am nächsten Morgen in der Früh los musste. 

„Warum willst du das wissen, Aveline?", wiederholte Richard seine Frage. Sie spürte, wie er sie fragend taxierte. Ob er ihre Unruhe bemerkt hatte?

„Ach", sagte sie und zuckte mit den Schultern. „Ich mache mir nur Sorgen, dass die Männer die Geburt verpassen könnten." Eine Halbwahrheit. Die Geburt stand tatsächlich bald vor der Tür, doch rechnete Aveline nicht damit, dass sie in den nächsten Tagen beginnen würde. „Das wäre doch wirklich schade", fügte sie hinzu und lächelte Richard an. Sie hoffte inständig, dass er ihr die Lüge abnehmen würde.

Zu ihrer Erleichterung nickte er.

„Die werden schneller wieder da sein, als dir lieb ist", sagte er, ohne zu wissen, wie wahr seine Worte doch waren. Aveline seufzte leise, sodass Richard es nicht hörte und zog den Ochsen weiter über das Feld. „Salka hat uns übrigens heute Abend zum Speisen im Wohnhaus eingeladen."

Aveline runzelte die Stirn. „Wirklich? Wozu?"

Es war ungewöhnlich, dass sie zum Essen eingeladen wurden. Normalerweise assen sie ihre Speisen immer in ihrem eigenen Arbeiterhäuschen.

Schweiss setzte sich auf Richards Stirn ab, den er mit dem Ärmel wegwischte.

„Sie mag es nicht, alleine zu sein", erwiderte er. „Vor allem jetzt, kurz vor Niederkunft des Kindes. Sie möchte Menschen um sich herum haben. Das gibt ihr Sicherheit."

PlünderungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt