46 - Frühling

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Aveline hielt die Haarnadel ihrer Mutter in den Händen, als sie an die Tür von Lokis Schuppen klopfte. Vor zwei Tagen hatte Rurik ihr dieses Schmuckstück geschenkt. Er hatte beteuert, dass nicht er diese Nadel im Frankenreich gefunden hatte, sondern Loki. Obwohl sie sich zwar erst erschreckt hatte, war sie dann nicht einmal böse auf Rurik gewesen. Im Gegenteil, sie hatte sich sogar gefreut, denn die Nadel war ein Erinnerungsstück an ihre Mutter und ihr Herz hatte einen kleinen Sprung gemacht, als sie das silberne Stück in den Händen halten durfte.

Dennoch hatte Aveline wissen wollen, wo Loki diese gefunden hatte. Einfach aus Neugierde und weil ihr 'zwischen Stühlen und Bänken' doch nicht als Antwort von Rurik ausgereicht hatte.

Nun stand sie vor dem klapprigen Schuppen und wartete, bis ihr der Lockenkopf die Tür öffnete.

„Aveline?" Loki blinzelte verdutzt, doch liess er sie herein.

Er bot ihr einen Stuhl an, auf welchen sie sich niederliess. Dann hielt sie ihm die Haarnadel hin.

„Rurik hat mir das gegeben. Ich wollte dich fragen, wo du sie gefunden hast. Erinnerst du dich daran?"

Loki hob überrascht die Augenbrauen und richtete seinen Blick auf das silberne Schmuckstück.

„Ah", sagte er und hielt sich die Hand an sein Kinn, „lass mich überlegen. Das ist schon eine Weile her."

Er tippte mit dem Zeigefinger an sein Kinn und starrte auf den Boden. Aveline wartete geduldig, die Hände im Schoss und die Haarnadel fest mit ihren Fingern umklammert. Ein Geistesblitz fuhr durch Loki, dann blickte er sie an.

„Ja, jetzt erinnere ich mich. Also, das war so ...", begann er zu erzählen.

— Letzten Sommer —

Der Weg, den die zwei Wikinger eingeschlagen hatten, führte direkt in die fränkische Stadt. Auf halbem Weg trafen sie auf ein altes umzäuntes Steinhaus mit Garten. Zwei Gestalten am Eingang hatten sie kommen sehen und flüchteten ins Innere. Loki blieb stehen und grinste seinen Freund erwartungsvoll an. Rurik öffnete die Gartentür, liess Loki mit einer eleganten Handbewegung vor und zog seine Axt vom Rücken. 

Von Weitem konnte man die Schreie und den Lärm der anderen schon hören. Loki schwang seine Axt in die Luft und blies gleichzeitig in sein Horn. Ein ohrenbetäubender Ton schmetterte aus dem Instrument.

„Lauft doch, lauft, wenn ihr könnt!", brüllte er und stürmte ins Haus, Rurik mit gezückter Waffe hinterher.

Die Tür knallte auf und krachte gegen die Wand, sodass die Wände zitterten und kleine Staub- und Schmutzpartikel von den Dachgiebeln in die Wohnstube rieselten. Die Bewohner des Hauses schrieen panisch auf und krochen in eine Ecke. Loki lachte schallend, als er über die Türschwelle sprang. Lange war es her gewesen, seit er das letzte Mal auf Plünderung gegangen war. Endlich konnte er wieder mal so richtig die Sau rauslassen! Er schwang seine Axt und blickte sich im Inneren des Häuschen um.

Sie hatten ein sehr bescheidenes Haus betreten, das war an der spartanischen Ausstattung sofort zu erkennen. Die Feuerstelle war klein, der Kessel, in welchem etwas zu brodeln schien, wies deutliche Russflecken auf, die Betten waren mit mottenzerfressenen Decken bedeckt. Da würde es wohl nicht viel zu plündern geben. Ausserdem stank es nach Fisch und Algen. Loki rümpfte die Nase.

„Igitt, diese Franken stinken widerlich", sagte er an seinen Freund gerichtet, welcher das Haus nun auch betreten hatte und sich neugierig umschaute.

„Hast du nicht die Netze draussen gesehen? Die fischen hier", antwortete Rurik.

„Darum der Gestank. Hier wird es wohl nicht viel zu plündern geben." Loki spürte die Enttäuschung in sich hochkommen, denn er hatte auf glitzernde und glänzende Ausbeute gehofft.

PlünderungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt