„Hörst du mir nicht zu, Aveline?", fragte Salka und wippte den kleinen Sveín in ihren Armen.
„Oh, was?"
Aveline hing mit ihren Gedanken noch am Vortag, an welchem ihr Rurik von seinem Gespräch mit Inga erzählt hatte und wie diese es nicht glauben wollte, dass er das Kind nicht wolle und nicht zu ihr zurückkommen würde. Er hatte Aveline gebeten, Abstand von Inga zu nehmen und während seiner Abwesenheit ein besonders aufmerksames Auge darauf zu werfen, was sie trieb. Sie war eine Schlange und konnte ihr Gift der Nächstbesten ins Gesicht spucken, wenn ihr danach war. Aveline graute es bei dem Gedanken an diese furchtbare Pute.
Salka stand im Eingang und wollte sich von ihrer Gehilfin verabschieden. Sie und Hjalmar waren gerade auf dem Sprung, um Hjalmars Bruder für ein paar Tage in Viborg zu besuchen. Sveín sollte seinem alten Onkel vorgestellt werden und sie wollten in der Grossstadt noch neue Waren und Werkzeuge für den Hof besorgen, bevor sie wieder rechtzeitig zurück sein würden, um Rurik in seine Abenteuer zu verabschieden. Aveline sollte für die Zeit auf die Hoftiere aufpassen und den Haushalt schmeissen.
„Denkst du, du kommst alleine zurecht?", wiederholte Salka ihre Frage.
„Selbstverständlich."
Aveline verabschiedete beide mit einem Winken von der Türschwelle aus und machte sich an die Hausarbeit. Es war später Nachmittag und das Abendessen musste aufgesetzt werden. Geschmortes Rindfleisch sollte es geben, nach fränkischer Art. Aveline hätte das eigentlich für die ganze Familie kochen wollen, aber Salka und Hjalmar hatten sehr spontan entschieden, den Bruder besuchen zu gehen. Sie wollten die milden Tage für einen kleinen Ausflug nutzen.
Aveline war froh, dass somit etwas Ruhe im Haus einkehrte. Sie war von ihren vielen Kundenbesuchen erschöpft und sie nahm es Salka nicht übel, dass sie mit dem kleinen Sveín für ein paar Tage verreiste. Der quirlige Junge sog ihr die letzte Energie aus den Knochen.
・・・
Rurik kehrte erst spät am Abend ins Wohnhaus zurück. Er verbrachte seine letzten Tage in Vestervig hauptsächlich damit, gemeinsam mit Ragnar und den anderen Anführern Schlachtstrategien und Plünderungstaktiken auszuhecken. Aveline wusste, dass dies zu seiner neuen Aufgabe als Hauptmann gehörte, doch sie mochte es nicht, mitanzusehen, wie sehr es ihn auslaugte. Dabei waren sie noch nicht einmal losgezogen.
Als er sich ans Feuer setzte und Aveline ihm einen Becher mit Wasser reichte, informierte sie ihn über die Abwesenheit seiner Schwester und seines Schwagers. Er nahm dies nickend zur Kenntnis.
Sie assen schweigend an der Feuerstelle. Aveline hielt sich den Teller nahe ans Gesicht, so als ob sie sich dahinter verstecken wollte. Sie schämte sich noch immer für ihr kleines Malheur vor ein paar Tagen, als Rurik sie sturzbetrunken nach Hause geschleppt hatte und sie im Delirium irgendwelche Sachen gelallt hatte, an die sie sich jetzt nicht mehr erinnerte. Sie hatte danach Rurik kaum in die Augen schauen können, so peinlich war ihr das gewesen.
Rurik rückte näher an sie heran und blickte ihr neugierig ins Gesicht. Er musste es gemerkt haben, dass sie irgendwelche Gedanken plagten. Mit beiden Händen hielt er seinen Teller vor sich zwischen den Knien, der Dampf stieg sanft vom heissen Schmorbraten hoch.
„Wo bist du gerade?", fragte er.
„Hm?"
„Du bist nicht wirklich anwesend, das sieht man dir an." Er stupste sie mit seiner Schulter an. „Wo bist du?"
„In meinem Gedankenschloss", antwortete sie und starrte auf ihren Teller.
„Erzähle es mir", meinte er.
DU LIEST GERADE
Plünderung
Fiction HistoriqueBand I Die junge Fränkin Aveline verliert an einem Tag alles: Ihr Zuhause und ihre Familie. Wikinger fallen über ihre Stadt her. Sie wird vom flinken Krieger Rurik entführt und ihrer Heimat entrissen. In einer fremden Welt kämpft sie um ihr Überlebe...