Die Möwen am Hafen jauchzten. Ragnar stand am Steg und betrachtete zufrieden seine Kriegsschiffe, die ihm der Schiffsbauer Holrik vorführte. Die zahlreichen Boote lagen am Hafen von Vestervig vor Anker und wippten leicht in der Brise. Das Wasser am Steg gluckste. Die Sonne glitzerte auf der Meeresoberfläche.
„Wir haben beim Bau mit der Aussenhaut begonnen und danach das innere Gerüst eingebaut. Edelstes Kiefernholz aus den nordjütländischen Wäldern wurde verwendet. Für dich, Ragnar, nur das Beste, natürlich. Für den Kiel haben wir jeweils einen besonders langen und kräftigen Eichenstamm genommen", erklärte Holrik und lief vor einem seiner Schiffe auf und ab.
Er zeigte mit seinen dicken Handwerkerfingern auf das Holz „Hier und hier haben wir den Eichenstamm mit dem vorderen und hinteren Steven verbunden. Der Zimmermann hat die Verzierungen auf den Steven nach deinen Wünschen geschnitzt und die Drachenköpfe gefertigt. Es fehlen nur noch die Segel, dann sind die Schmuckstücke für ihre Jungfernfahrt ins Frankenreich bereit. Was sagst du? Gefällt dir, was du siehst?"
Ragnar nickte zufrieden und stieg in den breiten Schiffsrumpf.
„Die Reling ist nicht so hoch, sehe ich. Warum?", wollte er wissen und strich mit seiner Hand über das frisch bearbeitete Holz.
„Du hattest mir gesagt, ihr werdet durch Flüsse navigieren wollen. Die niedrige Reling erlaubt es den Männern, einfacher aus den Schiffen zu springen. Das Boot ist viel leichter und wendiger und hat ausserdem niedrigen Tiefgang, was euch in den Flussmündungen zugute kommen wird. Wir wollen ja nicht, dass ihr an Land läuft und stecken bleibt. Zudem kann der Mast während der Fahrt abmontiert werden, falls ihr unter tiefen Brücken hindurchmüsst."
„Sehr einfallsreich, wirklich. Und was passiert mit meinen Männern auf stürmischer See? Zerschellen die nicht gleich bei der nächsten grossen Welle?" Ragnar musterte den Bug skeptisch.
„Diese Schönheiten sind fest und elastisch zugleich, darauf habe ich beim Bau grossen Wert gelegt. Sie bieten genügend Platz für deine Männer und das ganze Raubgut, ohne dabei in zu niedrigen Tiefgang zu geraten. Ich habe mein ganzes Wissen und meine Erfindungskraft in den Bau dieser Schiffe investiert, mein Jarl. Im Winter habe ich dieses Modell einer Belastungsprüfung in rauen Gewässern unterzogen. Dort, wo der Skagerak und der Kattegat aufeinandertreffen und die Wellen masslos und wild an den Bug schlagen — dort habe ich die Segel gehisst. Beim mächtigen Njörd, ich stehe noch vor dir. Ihr werdet mit diesen Schönheiten jedem Wetter und jedem Seegang trotzen können!"
Ragnar grunzte zufrieden und kletterte aufs Führerdeck. „Das ist wirklich gut", murmelte er. „Wir können also rechtzeitig in See stechen, nicht wahr?"
„Ja, mein Jarl."
Ragnar blickte zum Horizont und träumte bereits von den siegreichen Schlachten, die er im Frankenreich führen würde. Holrik stand neben seinem Anführer und kratzte sich am Bart. Eine Möwe landete auf dem Drachenkopf am vorderen Ende des Schiffes und watschelte im Kreis, den Schnabel leicht geöffnet. Mit einem zufriedenen Schütteln ihres Hinterns legte sie sich nieder und begann sogleich auf dem Drachenkopf zu dösen.
„Mein Jarl. Es gibt etwas, das ich mit dir besprechen wollte", sagte Holrik nach einem kurzen Moment des Schweigens.
Ragnar blickte ihm überrascht in die Augen. „Warum höre ich Besorgnis in deiner Stimme? Fehlt es dir noch an etwas? Sind die Schiffe doch noch nicht bereit?"
Holrik schüttelte den Kopf. „Nein, das ist es nicht. Mein Jarl, die Sache ist nicht geschäftlicher Natur, es betrifft viel mehr eine persönliche Angelegenheit meinerseits."
Ragnar atmete erleichtert aus. „Ich bin ganz Ohr", sagte er und begann, über die Ruderbänke zu balancieren. Er sprang von einer Bank zur anderen und prüfte die Stabilität der Balken, indem er darauf wippte. Das Holz knarzte unter seinem Gewicht, hielt aber stand.
DU LIEST GERADE
Plünderung
Historical FictionBand I Die junge Fränkin Aveline verliert an einem Tag alles: Ihr Zuhause und ihre Familie. Wikinger fallen über ihre Stadt her. Sie wird vom flinken Krieger Rurik entführt und ihrer Heimat entrissen. In einer fremden Welt kämpft sie um ihr Überlebe...