20 - Herbst

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Die Gruppe ritt im Trab den Waldweg entlang. Loki und Audgisil befanden sich wieder einmal in einer hitzigen Diskussion, ob die Streitaxt wirklich die beste Kriegswaffe darstellte, oder ob nicht eher das Langschwert besser fürs Schlachten geeignet wäre. Sie waren munteren Gemütes.

Rurik hockte ermüdet auf seinem Pferd. Er wollte nur noch zurück und in seinem Bett seinen Kater ausschlafen. Er hatte es bitter nötig.

Hjalmar ritt schweigend der Gruppe voran. Rurik vermutete, dass sein Schwager noch immer an die Entscheidung am Thing zurückdachte, dass im nächsten Frühling schon wieder Raubzüge geplant waren. Raubzüge, welche Hjalmar aufs Bitterste verabscheute.

Rurik hingegen war über die Pläne Ragnars sehr erfreut gewesen. Er wollte die Welt entdecken und die Abenteuerlust seines Jarls machte dies nun mal möglich. Allerdings war er deswegen auf dem Heimweg in einen Streit mit seinem Schwager geraten und nun schwiegen sie sich seit einer Weile stur an.

Die Gruppe bog in die letzte Abzweigung. Am Ende des Weges wurde der Waldrand und dahinter der Hof sichtbar. Mit einem Mal blieb Hjalmars Pferd stehen. Rurik riss überrascht seine Zügel zurück und stoppte seinen Hengst. Auch Loki und Audgisil hielten an, blieben aber in ihrer Diskussion vertieft.

Hjalmar starrte zum Hof. Rurik steuerte sein Pferd bis zur Höhe seines Schwagers und blickte ihn fragend an. „Was gibt's?"

„Da vorne", antwortete Hjalmar und deutete mit seinem Kinn zum Hof. „Da vorne liegt was." Rurik folgte seinem Blick.

Tatsächlich! 

Da lag jemand auf dem Hofplatz! Rurik wollte sogleich sein Pferd antraben, da hielt Hjalmar seine Hand hoch und signalisierte ihm, zu warten. „Da stimmt was nicht."

Loki und Audgisil stoppten ihre Diskussion prompt. Rurik kniff seine Augen zusammen, während er den leblosen Körper von der Ferne zu identifizieren versuchte. Sein Magen verkrampfte sich.

„Richard!", stiess er aus. „Es ist Richard, der da liegt!"

Hjalmar fluchte laut, dann sprangen sie alle von ihren Pferden.

Rurik knirschte mit den Zähnen. Irgendetwas war in seiner Abwesenheit passiert. Seine böse Vorahnung hatte sich bestätigt. Wenn er doch bloss auf sein Bauchgefühl gehört hätte!

„Wir lassen die Pferde hier und gehen zu Fuss", beschloss Hjalmar. Sein Ausdruck so ernst, wie ihn Rurik schon lange nicht mehr gesehen hatte. „Zückt eure Waffen", fügte er an. „Wir wissen nicht, womit wir es hier zu tun haben."

Mit Axt und Schwert bewaffnet schlichen sich die Männer an den Hof heran. Als sie näher kamen, sahen sie die Blutlache, in der Richard lag. Er war tot. 

Hjalmar biss wütend die Zähne zusammen. „Verdammt!", knurrte er. „Wir kommen zu spät."

Rurik verstärkte den Griff um seine Axt. Wer auch immer das getan hatte, der würde bitter dafür bezahlen. Sein Blick richtete sich auf das Wohnhaus. Wenn Richard hier lag, dann mussten seine Schwester und Aveline nicht weit weg sein. Seine Brust wurde eng bei dem Gedanken, was den beiden Frauen zugestossen sein könnte. 

Zusammen näherten sie sich dem Wohnhaus. Vor dem Eingang lagen Scherben, die Tür war geschlossen, doch Rauch stieg sowohl aus dem Wohnhaus, als auch aus dem Arbeiterhaus empor. Rurik runzelte die Stirn.

Jemand hatte das Feuer angemacht.

Als Hjalmar die Tür zu seinem Haus öffnen wollte, durchschnitt ein gellender Schrei die Stille auf dem Hofplatz.

Rurik riss den Kopf herum. „Das ist Aveline!", zischte er so leise wie möglich. Ihre Stimme kam vom Arbeiterhaus.

Hjalmars Ausdruck wurde finster, tödlich. Von seinem sonst so friedfertigen Wesen war rein gar nichts mehr zu sehen. Die Wut glühte in seinen braunen Augen. Rurik verstand ihn. Auch er fühlte den blanken Zorn ihn sich aufsteigen. 

PlünderungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt