Aveline sammelte die Pilze auf der Bettdecke zusammen und versteckte sie unter dem Fell. Niemand sollte ihr kleines Geheimnis entdecken. Sie würde Salka heute bitten, die Suppe besonders heiss zu kochen, sobald sie von der Stadt heimkehrte. Dann konnte sie die Pilze darin einweichen und besser herunterschlingen. Erschöpft legte sie sich hin und wartete.
Die Zeit verstrich, aber Salka kehrte nicht zurück. Aveline vernahm, wie das Holzhacken draussen aufhörte und wie Hjalmars schwere Schritte durchs Wohnzimmer gingen. Das rote Tuch wurde zur Seite geschoben. Hjalmar lugte vorsichtig hinein, als ob er befürchtete, dass er die leidende Gehilfin stören könnte. Er sah, dass Aveline wach war und öffnete das Tuch ganz, blieb jedoch im Türrahmen stehen.
„Hat dir Salka heute Morgen gesagt, wohin sie gegangen ist?", fragte er etwas zögerlich.
Aveline schüttelte den Kopf. Sie wusste von nichts. In seinem Gesicht sah sie allerdings die Sorge. Seine Frau war normalerweise zuverlässig und kam nie spät nach Hause. Es beunruhigte ihn, dass sie noch nicht zurückgekehrt war.
„Ich geh' in die Stadt, um nachzuschauen, ob sie dort ist. Kannst du ... Könntest du vielleicht das Feuer anmachen? Nur falls ... Naja, falls ..." Er sprach nicht weiter und seufzte tief. „Ach, vergiss es!"
Aveline liess ihre Füsse auf den Boden gleiten und stand zum ersten Mal seit Tagen auf wackeligen Beinen. Die Berührung der kalten Erde auf ihre geschundenen Fusssohlen fühlte sich überraschend gut an. Ein leichtes Brennen spürte sie dennoch in den Sohlen. Sie stütze sich an der Wand ab, um die Wunden zu schonen.
„Mache ich", antwortete sie mit rauer Stimme.
Er bedankte sich mit einem Kopfnicken und machte sich auf den Weg, seine verlorene Frau in Vestervigs Gassen zu suchen.
Derweilen bereitete Aveline mit grösster Mühe das Feuer an der Kochstelle zu. Ihre Beine waren vom tagelangen Liegen schwach und ihre Sohlen schmerzten schon nach kurzer Zeit. Sie kniete sich hin und rutschte auf den Schienbeinen vor und zurück. So konnte sie sich etwas mühsam, aber schmerzfrei durch den Raum bewegen.
Während die Flammen an der Feuerstelle wuchsen, drehten sich ihre Gedanken um die Pilze, welche sie auf dem Bett zurückgelassen hatte. Sie hoffte, dass sie einen guten Zeitpunkt erwischen würde, um sie in ihre Suppe zu geben. Ächzend robbte sie ihren geschwächten Körper auf ein Wolfsfell und wartete.
Aveline staunte nicht schlecht, als sie ihren Blick durch das Wohnzimmer schweifen liess. Der Raum war von Hjalmar wieder hergerichtet worden. In der Zeit, in der sie wie ein Häufchen Elend rumgelegen war, hatte er ganze Arbeit geleistet. Zwei lange Eichenbänke und einen brandneuen Esstisch hatte er gezimmert. Die demolierte Küchenecke war von Hjalmar durch eine neue Bretterwand mit Regalen und Aufhängevorrichtungen ersetzt worden.
Es schien, als ob alle Spuren von diesem Tag verwischt worden waren. Dieser schreckliche Tag, der Aveline die letzte Würde und ihre Hoffnung auf Freiheit genommen hatte. Bei den Erinnerungen rollte sie sich auf dem Wolfsfell zusammen und zog die Knie an.
Da sprang die Eingangstür auf und liess sie aufzucken. Aveline musste so tief in Gedanken versunken gewesen sein, dass sie die herannahenden Pferde nicht gehört hatte. Eine fremde Frau im grünen Kleid und hellbraunen Haaren kam herein, dicht gefolgt von Hjalmar, der seine Frau stützte.
Aveline erhob sich sofort. Salka stand gekrümmt da und sah überhaupt nicht gut aus. Ihre Haare klebten an ihrer Stirn. Sie schwitzte stark.
„Das Kind. Es kommt!", verkündete die Fremde.
Avelines Gedanken schwirrten in ihrem Kopf. Das Kind? Das Kind!
Hjalmar brachte Salka ins Schlafgemach und legte sie aufs Bett. Aveline folgte den beiden hinkend und half ihrer Herrin aus dem Umhang, den sie noch trug. Sie fühlte ihre Stirn.
DU LIEST GERADE
Plünderung
Fiksi SejarahBand I Die junge Fränkin Aveline verliert an einem Tag alles: Ihr Zuhause und ihre Familie. Wikinger fallen über ihre Stadt her. Sie wird vom flinken Krieger Rurik entführt und ihrer Heimat entrissen. In einer fremden Welt kämpft sie um ihr Überlebe...